Schock für die Leichtathletik: Die vier Topsprinter Tyson Gay (USA), Asafa Powell, Nesta Carter und Sherone Simpson (alle Jamaika) wurden positiv getestet.

Washington/Berlin/Amsterdam/Boston. Fünf Wochen vor dem Saisonhöhepunkt droht der Leichtathletik ein riesiger Dopingskandal: Gleich vier Superstars des Sprints wurden in A-Proben positiv auf verbotene Substanzen getestet. Die mutmaßlichen Dopingfälle der drei schnellsten 100-Meter-Läufer des Jahres, Tyson Gay (USA), Nesta Carter und Asafa Powell sowie von Sherone Simpson (alle Jamaika) erschüttern den Sport in seinen Grundfesten.

Tyson Gay, der schnellste Mann des Jahres über 100 Meter, hatte am Sonntag als Erster eine positive A-Probe gebeichtet und seinen Verzicht auf die Weltmeisterschaften in Moskau (10. bis 18 August) bekannt gegeben. Gay droht eine zweijährige Sperre.

Nur wenige Stunden später zog Powell nach. Der 30-Jährige, vor Usain Bolt Weltrekordler über 100 Meter (9,74), erklärte, dass ihm bei den Landesmeisterschaften im Juni das Stimulanz Oxilofrin nachgewiesen worden sei. Powell versicherte, das gefundene Dopingmittel nicht vorsätzlich eingenommen zu haben.

Britischen Medienberichten zufolge wurden auch beim zweimaligen Staffel-Olympiasieger Carter und der früheren 100-m-Vizeweltmeisterin Simpson verbotene Substanzen gefunden. Carter war noch am Sonnabend in Madrid zu 9,87 Sekunden gestürmt.

In einer Telefonkonferenz erklärte der 30-jährige Gay, der mit 9,69 Sekunden über 100 Meter hinter Bolt (9,58) der zweitschnellste Sprinter der Geschichte ist und bei der WM 2007 dreimal Gold geholt hatte, dass er am Freitag durch die Anti-Doping-Agentur der USA über die positive A-Probe informiert worden sei, die am 16. Mai im Training entnommen worden war. Auf welche Substanz er positiv getestet wurde, ließ er offen. Unter Tränen erklärte er, die Öffnung der B-Probe beantragt zu haben: „Ich habe jemandem vertraut und wurde wohl von diesem im Stich gelassen“, sagte Gay und beteuerte seine Unschuld.

Erinnerungen an Johnson, Krabbe und Gatlin

Sollten sich auch die B-Proben positiv erweisen, wäre ein Skandal perfekt, der in einer Reihe mit den Fällen Ben Johnson (1988), Katrin Krabbe (1992) und Justin Gatlin (2006) steht, von der Tragweite wohl nur mit der Johnson-Affäre und der Geschichte von Lance Armstrong zu vergleichen ist.

Die ersten Reaktionen reichten von Ungläubigkeit bis Unverständnis. „Wir sind schockiert und entrüstet. Für den Männer-Sprint ist das eine große Belastung. Damit werden im Grunde alle Spitzenleistungen infrage gestellt“, sagte Helmut Digel, Councilmitglied des Leichtathletik-Weltverbands IAAF. „Wenn sich der Verdacht bewahrheiten sollte, wäre das natürlich ein schwerer Schlag“, sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). „Es wäre aber auch ein ein Zeichen, dass das Kontrollsystem besser zu werden scheint.“

IAAF kommentiert Dopingfälle nicht

Der IAAF lagen Sonntagabend noch keine genauen Informationen vor. „Deshalb kann man jetzt weder etwas über die Schwere des Vergehens noch über die eingenommene Substanz sagen“, erklärte Digel und fügte hinzu: „Entscheidend ist aber, dass die positiven Tests vor der Weltmeisterschaft aufgedeckt wurden.“

Der Weltverband will die Dopingfälle zwar noch nicht kommentieren, der stellvertretende IAAF-Generalsekretär Nick Davis bekräftigte in einer Pressemitteilung aber den ungebrochenen Einsatz des Dachverbandes im Kampf gegen Doping, „weil wir eine ethische Verpflichtung gegenüber der Mehrzahl der Athleten haben, die an einen sauberen Sport glauben“.

Nur wenige Stunden, nachdem die Fälle bekanntgeworden waren, betonte Davis: „Die Glaubwürdigkeit unseres Anti-Doping-Programms und der Leichtathletik wird jedes Mal, wenn wir einen neuen Fall aufdecken, gestärkt, nicht geschwächt.“

Gay-Trainer positioniert sich gegen Doping

Derweil hat sich der Gays Trainer, Lance Brauman, nach der positiven Dopingprobe seines Schützlings eindeutig gegen die Einnahme verbotener Substanzen positioniert. „Es muss klar gesagt werden, dass wir die Nutzung von leistungssteigernden Mitteln nicht unterstützen, weder dazu anregen noch sie tolerieren. Egal, ob es absichtlich passiert ist oder nicht“, betonte Brauman am Sonntag (Ortszeit). Der Coach ist zusammen mit Gay und 13 weiteren Athleten im Trainingslager in Amsterdam.

Nachdem Gay am Freitag von der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (USADA) darüber informiert wurde, dass eine Trainingsprobe vom 16. Mai positiv sei, hätten er und sein Vorzeigeathlet kaum schlafen können, so Brauman. Gay will sich demnächst ohne Brauman mit USADA-Offiziellen treffen. „Ich nehme ihm beim Wort, wenn er sagt, dass er offen und ehrlich mit der USADA zusammenarbeiten will“, sagte Brauman.