Sabine Lisicki scheitert im Endspiel an der starken Marion Bartoli und ihren Nerven. Zwischenzeitlich hatte die 23-Jährige sogar Tränen in den Augen, weil sie ihre Leistung aus den Matches zuvor nicht abrufen konnte.

London. Sie ist dem Desaster begegnet auf dem Centre Court in Wimbledon, der Triumph entschied sich für Marion Bartoli. Aber Sabine Lisicki benahm sich so, wie es das Gedicht von Rudyard Kipling über dem Eingang zum berühmtesten Tennisplatz der Welt fordert: „Verhalte dich in beiden Fällen gleich“. Und so war vielleicht das schönste Bild dieses für die Berlinerin so niederschmetternden wie lehrreichen Nachmittags am Sonnabend als beide Finalistinnen Arm in Arm die Ovationen der 15.000 Zuschauer entgegen nahmen. Die eine für ihren glatten 6:1, 6:4-Sieg und den ersten Wimbledon-Titel. Die andere für zwei großartige Wochen, in denen sie die Herzen der Fans gewann - in Deutschland wie in London und überall. Und auch als Trost für das Versagen der Nerven im größten Match ihrer Laufbahn.

„Ich war einfach überwältigt von der Situation. Ich bin mir aber sicher, dass ich noch einmal die Chance bekommen werde, diesen Titel zu holen“, sagte Lisicki: „Ich möchte meinem ganzen Team danken. Ihr wart immer für mich da.“ So enttäuschend das Finale für die Zuschauer gewesen sein muss, so ergriffen waren sie von der Verliererin, die aus Enttäuschung über ihr schlechtes Spiel schon während des ersten Satzes in Tränen ausbrach. Auch Bartoli, die in ihrem ersten Endspiel vor sechs Jahren ebenso glatt an Venus Williams gescheitert war, fühlte mit. „Ich weiß, wie es dir geht, ich bin sicher, du wirst irgendwann hier gewinnen“, sagte die Französin: „Glaube mir!“

Ausgerechnet im Endspiel ihres Lieblingsturniers, ausgerechnet im bislang größten Match ihrer Karriere, verließen Sabine Lisicki die Stärke beim Aufschlag, die Präzision in den Schlägen, vor allem aber die gedankliche Frische und Coolness. „Der Weg ins Finale hat mehr Kraft gekostet, auch mental, als ich mir eingestehen wollte“, sagte sie gegenüber der Weltpresse zwei Stunden nach ihrem bemerkenswerten Auftritt bei der Siegerehrung. Auf dem Podium des größten Interviewraums fand sie auch ihr Lachen wieder, mit dem sie die Menschen auf der Insel so verzückt hatte. „Es war trotzdem ein großartiges Turnier. Es waren zwei wunderbare Wochen. Ich habe mein bestes Tennis gespielt“, sagte sie. Außer im Finale.

Blumen beim Einmarsch vor dem Match, Interviews, der Herzog von Kent und die Größten des Sports in der Königlichen Loge, eine Atmosphäre, wie sonst nirgends auf der Welt in einem Tennisstadion. Und die ungeheure Bedeutung dieses Titels, der einen als Sportler unsterblich macht. Es war alles zu viel, diesmal, aber es machte Lust auf mehr. „Wimbledon hat mich als Mensch und als Profi stärker gemacht“, sagte die 23-Jährige nach dem Endspiel: „Es war etwas komplett Neues für mich. Aber ich lerne daraus und werde so viel aus diesem Finale mitnehmen. Ich hoffe, dass es mir nächstes Mal helfen wird, den einen Schritt weiter zu gehen.“ Unterstützung, Aufmunterung und Lob gab es von allen Seiten, Fed-Cup-Kollegin Andrea Petkovic brachte es in einem Tweet zum Ausdruck: „Schade, Sabine, aber du hast so Großes geleistet. Wir sind trotzdem immer noch krass stolz!“

Was hatte Lisicki nicht alles ausgelöst. Sportprominenz von Steffi Graf und Boris Becker über Dirk Nowitzki bis zu Lukas Podolski würdigten ihre Leistung. In Deutschland wollten plötzlich alle das Endspiel einer Sportart, die zuletzt in den Nischen von Spartensendern entschwunden war, live und unverschlüsselt im Fernsehen erleben. Nach „Focus“-Informationen habe die ARD am Freitag 500.000 Euro an Rechtehalter Sky für eine Liveübertragung geboten. Zu wenig. Der Pay-TV-Sender maß bei seiner Direktsendung 590.000 Zuseher, so viele wie noch nie außer bei Fußball-Übertragungen. ARD und ZDF wollen sich nun um Wimbledon-Livebilder ab 2014 bemühen.

Alles wegen dieser jungen Deutschen mit Star-Appeal, die auf den Rasenplätzen von London immer ihr bestes Tennis spielt und dort 2011 schon einmal im Halbfinale stand, ansonsten aber bislang erst drei Titel in ihrer Karriere gewann und sich in der Weltrangliste am Montag von Platz 24 auf 18 verbessern wird. „Es hat Riesenspaß gemacht zuzuschauen und mitzufiebern!“, erklärte die siebenmalige Wimbledon-Gewinnerin Steffi Graf auf ihrer Facebook-Seite. „Ich hoffe, dass sich andere deutsche Spieler und Spielerinnen an dir ein Beispiel nehmen, um das Feuer, das du entfacht hast, am Brennen zu halten. Damit wir in Deutschland wieder einen nachhaltigen Tennis-Boom erleben“, schrieb der dreimalige Wimbledon-Champion Boris Becker in der „Bild am Sonntag“.

Nun aber muss Lisicki auch auf anderen Belägen und bei anderen großen Turnieren zeigen, dass sie keine Rasen-Saisonarbeiterin ist. Dass sie nicht nur in Wimbledon die ganz Großen wie diesmal Serena Williams im Achtelfinale schlagen kann. Ende August stehen in New York die US Open an, der nächste Höhepunkt. „Ich werde mich erstmal gut erholen. Das ist das A und O. Den Körper ruhen lassen und Energie auftanken“, sagte Sabine Lisicki und schob sofort hinterher: „Dann werde ich eine gute Vorbereitung auf die Hartplatzsaison machen.“