Am Sonntag bestreitet die Seleção das Confed-Cup-Finale, ihr erstes Pflichtspiel im neuen Maracanã-Stadion. Doch für viele Brasilianer ist der mythenumrankte Fußball-Tempel längst entweiht.

Rio de Janeiro. Wer wissen will, wie das alte Maracanã war, muss heute ins Museum gehen. Im Museu do futebol in São Paulo haben sie dem größten Trauma der brasilianischen Fußball-Geschichte einen eigenen, dunklen Raum gewidmet. 200.000 Fans sind dort zu hören, wie sie 1950 dem WM-Titel entgegenfiebern – und wie ihr Jubel nach dem Tor von Alcides Ghiggia plötzlich erstirbt. „Es gab nur drei Leute, die das Maracanã zum Schweigen gebracht haben“, sagte der Uruguayer einmal: „Der Papst, Frank Sinatra – und ich.“ Doch das stimmt nicht mehr. Es ist ein Vierter hinzugekommen: Eike Batista.

Der bis vor Kurzem noch reichste Mann Brasiliens ist beteiligt an einer Aktion, die für viele Brasilianer noch schlimmer ist als die „größte Tragödie der brasilianischen Neuzeit“, wie der Anthropologe Roberto da Matta die Niederlage gegen Uruguay im Maracanã nannte. Wie fast immer bei einer Privatisierung in Rio de Janeiro hatte der Sohn einer Deutschen bei der des Maracanã die Finger im Spiel. 5,5 Millionen Reais im Jahr (1,9 Mio. Euro) lässt sich ein Konsortium um den Baukonzern Odebrecht, AEG und Batista die Betreiberrechte bis 2048 kosten. Viel Geld, doch wenig verglichen mit den 1,2 Milliarden Reais Steuergeldern (420 Mio. Euro), die der Tempel-Umbau kostete.

„Das Maracanã kann man nicht privatisieren, es gehört dem Volk!“, schimpft Taci. Die Universitätsdozentin ist Fan von Flamengo, dem beliebtesten Klub Brasiliens. Früher, erzählt sie, sei sie oft ins Maracanã gegangen. Zico, Bebeto und viele andere Helden hat sie da spielen sehen. Am Sonntag, wenn die Seleção im Finale des Confed Cups erstmals ein Pflichtspiel im neuen Maracanã bestreitet, wird sie fehlen. Taci gehört der Mittelschicht an, Fußball aber ist für sie eine Sache des ganzen Volkes, aller Schichten. Im neuen Stadion habe aber nicht mehr jeder Platz. Zu teuer – auch wegen Eike.

Nur noch Platz für 76.804 Fans

Die Stehplätze, für die Taci früher „keine fünf Reais“ bezahlt hatte, sind bunten Sitzschalen gewichen. Ein Wasser kostet bei der „Mini-WM“ sechs Reais, eine Karte für Ligaspiele soll demnächst 80 Reais kosten. Statt 200.000 Zuschauern bietet die auch mit Hilfe deutscher Ingenieurskunst modernisierte Arena beim WM-Finale 2014 nur noch 76.804 Fans Platz. Die Reichen und Schönen sitzen vor 125 Logen in schweren Sesseln und prosten sich mit Champagnergläsern zu.

Und das im Maracanã! Sein Standort wurde 1950 nicht zufällig gewählt. Hier trafen reicher, weißer Süden und armer, schwarzer Norden aufeinander. Das Maracanã – ein Schmelztiegel der Schichten und Kulturen. Die Architektur – im Rund sollte jeder gleich gute Sicht auf den Rasen haben. Das Maracanã sollte egalitär sein, nicht elitär. Für viele war es ein Symbol der Demokratie. Manche hatten Tränen in den Augen, als sie das neue Stadion erstmals betraten.

650 Familien wurde umgesiedelt

Die Verantwortlichen weisen die Kritik zurück. Man hätte das Maracanã den Erfordernissen des modernen Fußballs anpassen müssen, sagt Bauleiter Ícaro Moreno. Aus der Vogelperspektive sehe es noch fast so aus wie früher. Und die Privatisierung? „Das Stadion wird nur privat betrieben, es gehört noch dem Staat.“ Der Weltverband Fifa beglückwünschte Brasilien zum neuen Maracanã. „Hier herrscht immer noch derselbe Geist“, sagte Präsident Joseph S. Blatter.

Dabei spielte auch die Fifa bei der Renovierung eine unrühmliche Rolle. Um die von ihr geforderte Anzahl Parkplätze zu schaffen, musste eine Favela weichen. 650 Familien – umgesiedelt. Schwimmbad und Leichtathletik-Arena vor dem Maracanã sollen ebenfalls weg, die Kioske sind es schon. Das erste Indianerzentrum in Lateinamerika, einen Steinwurf entfernt, wurde kürzlich zwangsgeräumt. Die Polzei rückte mit schwerem Gerät an und setzte Tränengas ein.

Auch deshalb sind heute so viele Brasilianer auf der Straße. „O Maraca é nosso!“, rufen sie. Das Maracanã gehört uns. Doch das war einmal.