Der deutsche Golfprofi holt beim Ryder-Cup den entscheidenden Punkt für Europa gegen die USA und spricht vom besten Tag seines Lebens.

Medinah/Hamburg. Es wurde mucksmäuschenstill still auf Bahn 18 des Medinah Country Club in der Nähe von Chicago, als Martin Kaymer den Putter in die Hand nahm. 40 000 Menschen auf der Anlage stockte der Atem. 1,80 Meter lag der Ball vom Loch entfernt. Würde er fallen, hätte Europa den Ryder-Cup nach einer historischen Aufholjagd gegen die USA verteidigt. Und ausgerechnet der Deutsche hatte die Entscheidung in der Hand.

Golf ist ein Einzelsport - bei der 39. Auflage des traditionsreichen Ryder-Cups jedoch, dem Teamwettbewerb zwischen den Kontinenten, herrschte wieder eine Stimmung wie beim Fußball. Die Massen durften jubeln, johlen, jauchzen und belagerten die Grüns. Bei diesem Wettkampf geht es nicht um die Summe der Schläge, sondern in sogenannten Matchplays um das Duell Mann gegen Mann. 6:10 lag Europa nach den Vierer-Wettkämpfen vor dem Schlusstag zurück. Erst einmal - 1999 -war es den USA gelungen, solch einen Rückstand noch aufzuholen.

Als Kaymer seinen mutmaßlich letzten Putt ansetzte, stand es sensationell 13:13, und die Strategie von Europas Kapitän José María Olazábal war fast vollendet. Um die USA unter Druck zu setzen, ließ er seine stärksten Spieler Ian Poulter, Luke Donald und Rory McIlroy zu Beginn starten. Das gelang. Kaymer, der gegen Steve Stricker antreten musste, platzierte er zwangsläufig weiter hinten, im vorletzten Einzel. Große Erwartungen setzte der Spanier offensichtlich nicht in den Deutschen, schließlich war Kaymer am Freitag und Sonnabend nur einmal eingesetzt worden. Symptomatisch für seine durchwachsen verlaufene Saison. Doch an der 16. Bahn ging Olazábal zum 27-Jährigen und sagte ihm unmissverständlich: "Wir brauchen deinen Punkt. Egal wie." Als Titelverteidiger würden 14 Punkte reichen, aber der nachfolgende Francesco Molinari lag gegen Tiger Woods zurück.

Kaymer erzählte später, dass er beim Begutachten der richtigen Putt-Linie an Bernhard Langer, 55, dachte. 1991, im legendären "War by the Shore" (Krieg an der Küste), hatte der größte deutsche Golfer aller Zeiten aus kürzester Distanz das Loch verfehlt und somit den Sieg verspielt. "Aber ich habe mir gesagt: Das wird nicht noch mal passieren. Es wird einfach nicht passieren."

Am Freitag hatten sich Langer und Kaymer noch lange unterhalten. "Wir haben über den Ryder-Cup gesprochen. Meine Einstellung war nicht richtig", erzählte der ehemalige Weltranglistenerste von dem Treffen mit dem Altmeister. "Aber Bernhard hat mir sehr geholfen, einfach weil er sich mit mir hingesetzt und darüber geredet hat."

Alle seine Mitspieler standen vor seinem letzten Putt nun um das Grün, die Gesichter von der nervlichen Anspannung verzerrt. Dabei ging es nicht um Millionen, sondern um Ruhm. Der gebürtige Rheinländer wusste, dass er mit einem Putt zum Helden werden könnte - aber genauso zum Deppen.

Der Ball rollte los. "Ich war so nervös, aber ich hatte nur diese eine Wahl: Er muss fallen", sagte Kaymer später. "Aber wenn man mich jetzt fragt, wie der Ball gelaufen ist, dann habe ich keine Ahnung." Egal wie, der Ball fand sein Ziel - und was folgte, war eine Eruption der Gefühle. Kaymer riss die Arme hoch und jubelte, wie man es noch nie von ihm gesehen hat. Ausgelassen sprang er in die Arme des heranstürzenden Sergio García, schnell bildete sich ein Knäuel der Glückseligkeit. "Davon werde ich noch meinen Enkeln erzählen", sagte Kaymer, "das ist der beste Tag meines Lebens." Bei der Siegerehrung wurde der sonst so kontrolliert-zurückhaltende Golfprofi mit der Goldtrophäe in der Hand sogar auf den Schultern getragen.

Selten war dieser Wettkampf so emotional besetzt wie an diesem Wochenende, weil das Team Europa nicht nur für den Kontinent spielte, sondern auch für Severiano Ballesteros. Der 2011an Krebs verstorbene Spanier war überall präsent, die Spieler hatten sein Logo auf den Taschen und auf ihren Oberarmen angebracht. "Sein Geist war immer bei uns", sagte García. "Olazábal hatte in seiner Ansprache nach dem missglückten Sonnabend an seinen Freund und Spielpartner erinnert: Er hat uns gelehrt, nie aufzugeben."

Noch vor einigen Wochen, als Kaymer zu den Schüco Open nach Alveslohe kam, hatte er einen Einblick in sein Seelenleben gewährt und zugegeben: "Es ist das erste Mal in meiner Karriere, dass ich kämpfen muss." Zwei Jahre darf sich Kaymer nun, wenn es mal wieder schlecht laufen sollte, an diese Tage in Illinois erinnern, die auch überschwänglich als das "Wunder von Medinah" tituliert wurden. 2014 kommt es im schottischen Gleneagles zum nächsten Duell der Kontinente. Egal wer dann Europas Käpt'n sein wird - er sollte Kaymer in den vorletzten Flight stecken. Damit wieder der Spruch des Wochenendes die Runde machen kann: "He Kaym, he saw, he conquered!" ("Er kam, sah und siegte").