Die deutschen Athleten haben in London auch nach dem besten Tag der Spiele mit insgesamt 16 Medaillen weiter Edelmetall gehamstert.

London. Dem Super-Mittwoch folgten der silberne Donnerstagmittag mit Birgit Kobers goldenem Highlight am Abend und ein Finaleinzug nach einem echten Krimi: Im Schatten von Oscar Pistorius’ sensationell verpasster Medaille über 100 m beim frenetisch bejubelten Sieg des Briten Jonnie Peacock haben die deutschen Athleten bei den Paralympics in London auch nach dem besten Tag der Spiele mit insgesamt 16 Medaillen weiter Edelmetall gehamstert.

+++ Kugel-Silber für Behindertensport-Ikone Buggenhagen +++
+++ Weltrekord durch Pistorius - Nicoleitzik jubelt +++

Das Ereignis des Tages und wohl auch der Spiele war jedoch das Finale über 100 m der Doppel-Amputierten, wo Olympia-Starter Pistorius nach seinem zweiten Platz über 200 m nur Rang vier blieb. Der Sieg des erst 19 Jahre alten Briten Peacock, der sich durch einen Weltrekord im Juli und die beste Vorlaufzeit schon in Stellung gebracht hatte, sorgte bei den 80.000 Zuschauern im Olympiastadion für extatischen Jubel. Pistorius zeigte sich als fairer Verlierer und fiel dem Sieger kurz nach dem Zieleinlauf in die Arme.

Kober schleuderte nach dem Speer auch die Kugel auf eine Weltrekord-Weite und gewann abermals Gold, Radsportlerin Denise Schindler beendete ihr Trauma, den Seglern verhalf eine Flaute zu Doppel-Silber und Andreas Warias holte im Straßenrennen ebenfalls als Zweiter seine erste Medaille bei den Weltspielen der Behindertensportler. Bronze gewann vier Jahre nach ihrem Triumph über 100 m in Peking die Sprinterin Katrin Green (Leverkusen) über 200 m.

Die 41-jährige Kober (Leverkusen), die wegen eines Behandlungsfehlers im Rollstuhl sitzt, dominierte die Konkurrenz nach Belieben und stieg zu einer der dominierenden Athletinnen der Spiele auf. „Sowas kann man sich nicht erträumen“, sagte sie. Ebenfalls nach Gold greifen am Freitag (22.15 MESZ) Deutschlands Rollstuhl-Basketballerinnen, es wäre ihr erstes bei Paralympics seit 1984. In einem begeisternden und dramatischen Spiel gegen den europäischen Dauer-Konkurrenten Niederlande setzte sich die Mannschaft von Bundestrainer Holger Glinicki mit 49:46 (24:29) durch und ist im Finale gegen Australien nun Favorit.

Die deutschen Korbjägerinnen sind Deutschlands letzte Hoffnung auf Gold in Mannschafts-Sportarten. Nur in drei von neun war der Deutsche Behindertensportverband (DBS) in London vertreten. Die deutschen Basketball-Männer scheiterten im Viertelfinale an den USA, die Sitzvolleyballer am Donnerstagabend im Halbfinale durch ein 0:3 an Bosnien-Herzegowina. 2008 in Peking hatte kein deutsches Team Gold in einem Mannschafts-Sportart gewonnen.

In Tischtennis-Teamwettbewerben stehen dafür die Herren der Klasse 3 um Einzelsieger Holger Nikelis (Köln) nach einem 3:0 gegen Frankreich im Finale am Freitag (13.30 Uhr MESZ) gegen China. Das Team der Klassen 6 bis 8 um Gold-Gewinner Jochen Wollmert (Solingen) schied dagegen ohne Satzgewinn gegen Spanien aus.

„Silber nervt, jetzt ist es Zeit für Gold“, sagte die Kölnerin Marina Mohnen, mit 20 Punkten beste Werferin ihres Teams: „Das war eine Schlacht, aber wir sind super drauf.“ Glinicki gab sich ebenfalls selbstbewusst. „Wir haben eine gute Chance, Gold zu gewinnen. Ich denke, unsere Chancen stehen 60:40“, sagte er: „Die Australier liegen uns. Sie werden uns hart attackieren, aber das ist eine Einladung zu gewinnen. Mit Silber wäre ich vor dem Turnier zufrieden gewesen, aber natürlich wäre es jetzt auch ein bisschen ärgerlich.“

Die Final-Revanche gegen die USA hätten die deutschen Frauen gerne bekommen. „Die Amerikanerinnen haben wir inzwischen drauf“, sagte Glinicki. „Ich persönlich hätte lieber die USA gehabt“, meinte die Hamburgerin Edina Müller: „Aber auch gegen die Australierinnen sind wir guter Hoffnung, Gold gewinnen zu können.“

Besonders erfreulich war auch das Silber für Denise Schindler (München), denn die 26-Jährige hatte als Vierte in der Einerverfolgung auf der Bahn und im Zeitfahren eine Medaille zwei Mal knapp verpasst. „Der Fluch ist begannt und ich bin überglücklich“, sagte die 26-Jährige, die bereits zweimal mit einem Mountainbike die Alpen überquert hat, nach dem Straßenrennen auf der Motorsportstrecke in Brands Hatch: „Es war ein hartes Rennen und irgendwann dazwischen dachte ich, bloß nicht wieder Vierte“. Als Glücksbringer fungierte ein Stoff-Biber, den ihr ein kanadischer Freund geschenkt hat. „Meine Freunde haben gesagt, ich soll genauso die Zähne zeigen wie der Biber, und das habe ich getan.“

Warias konnte sich auf die Unterstützung der gesamten Mannschaft verlassen, die ihn in Stellung brachte: „Das sind meine ersten Paralympics und ich habe direkt eine Medaille gewonnen. Das Gefühl ist kaum zu beschreiben“, sagte er.

Bei den Seglern bescherte der fehlende Wind und der dadurch bedingte Ausfall des letzten Rennens sowohl Heiko Kröger aus Jersbek bei Hamburg in der 2.4mR-Klasse, als auch der Berliner Sonar-Crew mit Jens Kroker, Robert Prem und Siegmund Mainka vorzeitig Rang zwei. „Die Engländerin Helena Lucas war bei diesen Bedingungen ohnehin kaum zu schlagen“, sagte der 46 Jahre alte Kröger, der 2000 in Sydney Gold gewonnen hatte: „Und meine Gegner hinter mir lagen dicht auf und waren brandgefährlich.“

Derweil haben Sportschützin Manuela Schmermund und Rollstuhltennisspielerin Sabine Ellerbrock Medaillen verpasst. Schmermund, mit Bronze mit dem Luftgewehr die erste deutsche Medaillengewinnerin in London, belegte im Dreistellungskampf mit 660,3 Punkten den fünften Platz. „Ich habe Krämpfe bekommen und konnte den Abzug nicht mehr richtig betätigen“, sagte die 40-Jährige: „Aber ich bin zufrieden mit Platz fünf.“ Die 36 Jahre alte Bielefelderin Ellerbrock unterlag im kleinen Finale der Niederländerin Jiske Griffioen nach anderthalb Stunden mit 2:6, 6:7 (6:8). „Das ist bitter. Vielleicht war ich am Anfang etwas zu nervös. Du musst es einfach akzeptieren, wenn jemand besser ist als du“, sagte Ellerbrock.

(SID)