Deutsche Dressurreiter holen Silber und Bronze. Houssein Omar Hassan aus Dschibuti wird frenetisch gefeiert. Cundy holt doch Bronze.

London. Auf die deutschen Dressurreiter ist Verlass. Britta Näpel und Angelika Taubert sicherten sich in der Championatsaufgabe Silber und Bronze. Und auch die Leichtathleten starteten nach dem Doppelsieg der Weitspringer vom Vorabend beschwingt in den Tag, Heinrich Popow gewann über die 200 Meter Bronze.

„Das war schon beim Reiten ein unbeschreibliches Gefühl, ich bin noch nie vor so einer Kulisse geritten, einfach saugeil“, sagte Reiterin Näpel und wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. Im Sattel ihrer geliehenen Stute Aquilina zeigte die 44-Jährige, die seit einer Vergiftung durch Insektenschutzmittel an spastischen Lähmungen leidet, einen harmonischen Ritt im Viereck.

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Vor vier Jahren hatte die Langenhagenerin in der Championatsaufgabe gewonnen und dem deutschen Team die erste Goldmedaille in Hongkong beschert. „Eigentlich habe ich das Pferd aus einer Notlage heraus bekommen, weil meines zu den Weltreiterspielen 2010 nicht fit war. Dass es dann hier so klappt, ist einfach unglaublich“, sagte die Pferdewirtschaftsmeisterin.

Den deutschen Erfolg beim Sieg der Britin Natasha Baker komplettierte Angelika Taubert auf Ariva Avanti. „Wir haben das Beste aus uns herausgeholt. Ich bin total glücklich, dass es heute so gut lief“, sagte die 44-Jährige, die ohne Beine und nur mit drei Fingern an der rechten Hand auf die Welt kam. Beim Team-Test vor zwei Tagen hatten die Beiden vor den Preisrichtern im Greenwich-Park noch nicht überzeugt. „Ariva Avanti war wegen der Kulisse so nervös“, erklärte sie.

Nach dem undankbaren vierten Platz im Weitsprung gewann Heinrich Popow überraschend über die 200 Meter seine erste Medaille. „Heute Nacht hatte ich wahnsinnige Krämpfe und habe nur drei Stunden geschlafen. Dass ich dann hier heute Morgen meine Bestleistung noch mal eine Sekunde runterschrauben konnte, ist der Wahnsinn, und das auf der Innenbahn. Die Kurve hat sich so geil angefühlt“, sagte der oberschenkelamputierte Leverkusener, der mit 25,90 Sekunden Bronze holte. Aufgrund seiner Behinderung war Popow den in derselben Startklasse angetretenen beidseitig Amputierten eigentlich unterlegen, weil diese mit zwei Prothesen Laufenden in der Regel einen runderen Laufstil haben. Den Sieg holte der favorisierte Richard Whitehead aus Großbritannien, der in 24,38 Sekunden einen neuen Weltrekord aufstellte.

Doch Bronze für Cundy

Der britische Bahnradfahrer Jody Cundy hat nun doch noch seine Medaille bei den Paralympics in London gewonnen. Einen Tag nach seiner denkwürdigen Disqualifikation im Zeitfahren über 1000 m holte er im kleinen Finale der Einer-Verfolgung über 4000 m seinen Kontrahenten Diego Duenas Gomez (Kolumbien) ein und sicherte sich dadurch immerhin den dritten Platz. Das Rennen um Gold entschied der Rumäne Carol-Eduard Novak gegen Jiri Jezek (Tschechien) für sich.

Für den rechtsseitig unterschenkelamputierten Cundy dürfte die Bronzefahrt allerdings nur ein schwacher Trost gewesen sein, nachdem er am Freitag als Goldfavorit gescheitert war. Nachdem Cundy aus dem Startblock geschlingert war und den Kampf gegen die Uhr abgebrochen hatte, verweigerte die Jury dem Weltrekordler in seiner Klasse einen Neustart, da kein technischer Fehler vorgelegen habe.

Daraufhin rastete der zweimalige Paralympics-Champion auf der Bahn - hinzu kommen noch drei Triumphe im Schwimmbecken - völlig aus und beschimpfte die Offiziellen. Allerdings entschuldigte sich Cundy wenig später auf einer wegen des Vorfalls anberaumten Pressekonferenz für seine unflätigen Bemerkungen.

Frenetisch gefeiert

Sieben von acht Athleten des 1500-Meter-Laufs waren schon im Ziel und in den Katakomben des Londoner Olympiastadions verschwunden, als 80.000 Zuschauer hochsprangen und immer euphorischer klatschten und brüllten. Der Beifall galt Houssein Omar Hassan. Er war der erste Sportler aus Dschibuti, der je bei Paralympics antrat.

Der einarmige Sportler lief nur im Schritttempo, benötigte für die knapp vier Stadionrunden 11:23,50 Minuten und war damit fast dreimal so lange wie der Sieger unterwegs. Auf den beiden Schlussrunden war der 35-Jährige allein auf der Bahn – beflügelt vom frenetischen Applaus der Zuschauer, die ihn im Ziel feierten wie einen Paralympics-Champion.

Nach einem Wechselbad der Gefühle und peinlichen Fehlurteilen der Kampfrichter hat auch die deutsche Sprinterin Claudia Nicoleitzik Bronze über 200 m gewonnen. Die 22-Jährige aus Püttlingen, die in Peking vor vier Jahren zwei Silbermedaillen gewonnen hatte, war über 200 m als Vierte ins Ziel gekommen.

Danach wurde sie zunächst wegen einer Verwechslung disqualifiziert, fühlte sich dann aber schon als Dritte, als sie hörte, dass die Argentinierin, die sie blockiert hatte, stattdessen disqualifiziert wird. Die Rennleitung schloss aber zunächst in einer weiteren Verwechslung Nadia Schaus statt ihrer Landsfrau Yanina Andrea Martinez aus und führte Nicoleitzik im ersten offiziellen Endergebnis weiterhin als Vierte. Erst als der erneute Irrtum auffiel, rückte die Saarländerin auf den Bronzerang vor.

Auch für Heinrich Popow war es ein denkwürdiger Tag. Er hatte wegen Krämpfen fast die ganze Nacht nicht geschlafen, erwischte als „mieser Kurvenläufer“ die Innenbahn und war seit 19 Monaten nicht über 200 m gelaufen - und dennoch gewann Popow Bronze. „Ich hatte heute einfach Eier“, sagte der 29-Jährige schmunzelnd: „Normalerweise sterbe ich nach 120 Metern, aber die Zuschauer waren so geil, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie ich sterbe.“

Eklat bei den Paralympics

Weil kein Platz für seinen Begleithund Cosby vorhanden gewesen sei, soll einem ehemaligen Minister Großbritanniens der Eintritt zur Eröffnungsfeier verweigert worden sein. Laut der „Daily Mail“ habe das Organisationskomitee Untersuchungen aufgenommen, wie es zu dem Fauxpas kommen konnte. „Mein Beispiel zeigt, vor welchen Herausforderungen unsere Gesellschaft im Umgang mit behinderten Menschen immer noch steht“, sagte der von Geburt an blinde Parlamentarier David Blunkett der Zeitung.

Der querschnittsgelähmte Kölner Nikelis erreichte durch ein 3:0 gegen den Briten Pat Davies das Finale seiner Klasse im Tischtennis und hat damit auch mindestens Silber sicher. Um Gold kämpft er am Montag um 12.45 Uhr MESZ im Finale gegen den Franzosen Jean-Francois Ducay. Dagegen haben Stephanie Grebe und Thomas Schmidberger das Endspiel verpasst. Sie spielen nun um Bronze. Bronze verpasst hat Judoka Oliver Upmann, der in der Klasse bis 100 kg das „kleine Finale“ gegen den Russen Wladimir Fedin verlor.

Wojtek Czyz fehlten nach dem Weitsprung am Vorabend, wo er als bester Oberschenkel-Amputierter Silber hinter dem Leverkusener Markus Rehm gewonnen hatte, die Kräfte. „Es ist einfach beschissen gelaufen“, sagte der Kaiserslauterer, der über 200 m 2004 in Athen Gold gewonnen hatte: „Meine Zeit ist eine klare Enttäuschung, aber ich konnte einfach nichts mehr entgegensetzen.“ Nun will sich Czyz auf die 100 m am Freitag „in Ruhe vorbereiten und nochmal angreifen.“

Pistorius startet mit Weltrekord

Stelzen-Sprinter Oscar Pistorius hat bei seinem ersten Start bei den Paralympics in London die Zuschauer von den Sitzen gerissen. Im Halbfinale über 200 m lief der „Blade Runner“ in 21,30 Sekunden Weltrekord. Dabei blieb der 25-Jährige aus Südafrika, der bei seinem Olympia-Start im Halbfinale über 400 m ausgeschieden war, fast eine halbe Sekunde unter seiner bisherigen Bestzeit (21,76) und distanzierte die Konkurrenz in seinem Lauf um fast anderthalb Sekunden.

Im Endlauf am Sonntagabend um 21.15 Uhr Ortszeit (22.15 Uhr MESZ) steht in David Behre auch ein Deutscher. Der Leverkusener qualifizierte sich als Gesamt-Siebter für das Finale.

Mit Material von dpa, dapd und sid