Lance Armstrong fuhr ein Mountainbike-Rennen und schien ungerührt. Die Branche und Sponsoren bekunden größtenteils Solidarität.

Austin/Berlin. Den Sturz vom Denkmal hat Lance Armstrong scheinbar ungerührt verkraftet. Der 40 Jahre alte Texaner stieg nach der Bestrafung durch die US-Anti-Doping-Agentur USADA wieder auf’s Rad und landete bei einem Hobby-Mountainbike-Rennen in Colorado auf Platz zwei – hinter einem 16-Jährigen. „Niemand muss um mich weinen. Mir wird es prächtig gehen“, tönte Armstrong, der mit einer lebenslangen Sperre und dem Verlust seiner sieben Erfolge bei der Tour-de-France belegt worden war. Keine Beichte, keine Reue - Business as usual. „Der König ist nackt“, schrieb der Figaro.

Der Internationale Radsportverband UCI und die Tour-Organisation ASO haben erstmal auf Warte-Modus geschaltet. Zunächst müssten die Urteilsbegründungen in Ruhe gesichtet werden, hieß es offiziell. Dabei trägt gerade die UCI Mitverantwortung für diesen skandalösen Fall und das undurchsichtige System, in dem Armstrong trotz handfester Doping-Indizien ganz offensichtlich einen Sonderstatus genoss. Zudem ist von ihnen verwaltete und gestaltete Ordnung nicht imstande, schnelle und nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen.

Die USADA sonnt sich derweil in ihrem Aufklärungserfolg, auch wenn die drakonische Strafe mit den geltenden Regeln kaum in Einklang zu bringen sein wird. Nur die UCI kann Toursiege aberkennen, die ASO nur abnicken. Dieses Prozedere ist nach der öffentlichen Dopingbeichte von Bjarne Riis aus dem Jahr 2007 bekannt. Der Däne durfte seinen Toursieg von 1996 behalten, weil die achtjährige Verjährungsfrist, durch den WADA-Code gedeckt, angewendet worden war. Deshalb dürfte im Fall Armstrong auch nur dessen letzter Tour-Sieg von 2005 zur Disposition stehen. Die vernünftigste Regelung hatte der Nürnberger Doping-Experte Fritz Sörgel vorgeschlagen: „Ist doch nichts dabei, in den Annalen zu schreiben: ’Kein Sieger’.“ Die Tourzweiten hinter Armstrong kämen als Aufrücker alle nicht infrage: Sowohl Jan Ullrich (2000, 2001, 2003) als auch Andreas Klöden (2004), Alex Zülle (1999), Joseba Beloki (2002), noch Ivan Basso (2005) sind entweder wegen Dopings gesperrt oder staatsanwaltschaflich verfolgt worden.

+++Das Radsport-Denkmal Armstrong ist gestürzt+++

Klöden, seit Jahren eine Stütze im von Armstrong finanzierten und von seinem ehemaligen Mentor Johan Bruyneel geleiteten RadioShack-Nissan-Team, könnten schwere Zeiten bevorstehen. Wenn die deutsche Anti-Doping-Agentur NADA ebenso kompromisslos vorgeht wie die USADA gegen Armstrong, drohen dem Wahlschweizer Sanktionen. Die NADA bemüht sich zur Zeit um die Unterlagen der Staatsanwaltschaft Freiburg, die ihre Ermittlungen gegen die ehemaligen Telekom/T-Mobile-Teamärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid gerade eingestellt hatte. Klöden war acht Jahre bei dem Bonner Vorzeige-Rennstall beschäftigt.

Oberstaatsanwalt Christoph Frank stellte fest, dass auch Klöden 2006 während der laufenden Tour in Freiburg Blutdoping betrieben hätte. Der gerade bei der Pro-Challenge in Colorado engagierte Klöden hat Doping immer vehement bestritten. NADA-Chefjustiziar Lars Mortsiefer ist jedenfalls in der Spur. „Mit der Akteneinsicht sind für uns die Voraussetzungen geschaffen, um auf sportgerichtlicher Ebene zu prüfen, ob Verfahren wegen Verstößen gegen Anti-Doping-Bestimmungen auf den Weg gebracht werden können“, erklärte er in der Vorwoche.

Der noch bis 2013 gesperrte Ullrich hat kein Interesse, nachträglich zum Toursieger erklärt zu werden. „So viele Jahre später nach einer Entscheidung am Grünen Tisch noch den Titel zugesprochen zu bekommen – da bin ich nicht der Typ für. Das interessiert mich nicht“, sagte Ullrich auf einer Pressekonferenz am Samstag in Sölden - am Sonntag war er beim Ötztal-Marathon unterwegs.

Ullrich fühlt mit Armstrong. Nicht nur Amerikanern ist der verbissen und erfolgreich gegen Krebs kämpfende Mensch näher als der überführte Doper verabscheuungswürdig. „Schade, was mit ihm passiert“, meinte Ullrich. Die „Neue Zürcher Zeitung am Sonntag“ sieht in Armstrong „den Auferstandenen“. Auch deshalb falle es „vielen Menschen so schwer, ihn für seine Dopingvergehen zu verurteilen.“

Die Reihen der Armstrong-Unterstützer stehen längst fest. Die Spenden für seine Krebs-Stiftung seien nach Angaben der Verantwortlichen sprunghaft angestiegen. Im vergangenen Jahr hatte die „Livestrong“-Foundation 51 Millionen Dollar gesammelt. Für ein Tageshonorar von rund 150 000 Dollar könne Armstrong im Jahr weiter rund 20 Vorträge halten, rechnete sein Manager Bill Stapleton vor. Armstrong hatte 1996 eine Hodenkrebserkrankung überlebt und danach von 1999 bis 2005 das schwerste Radrennen der Welt dominiert.

Stiftungs-Direktor Axel Merckx zollte Armstrong „auch um Namen unserer Familie“ größten Respekt als „außergewöhnlicher Athlet, egal was andere sagen“. Armstrongs Rückzug im Kampf gegen die Doping-Verfolgungen seien nicht als Schuldeingeständnis zu werten. „Er hatte einfach genug“, sagte der Ex-Profi und Sohn der Radsport-Legende Eddy Merckx.

Die von Armstrong immer reklamierten 500 negativen Doping-Tests haben wohl allerdings keine herausragende Bedeutung. Nach Angaben der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD sei der Seriensieger während seiner Karriere vor Dopingtests oft gewarnt worden. „Die Kontrolleure hatten Probleme, Armstrong zu testen, ohne dass es eine Verzögerung von 20 Minuten gab“, sagte der wissenschaftliche AFLD-Berater Michel Rieu in einem Interview der Tageszeitung „Le Monde“. In 20 Minuten gebe es viele Möglichkeiten, zu manipulieren. Beim Tourstart 2009 in Monte Carlo hatten sich die Tester zu einem Kaffee überreden lassen und kontrollierten Armstrong so erst 45 Minuten nach ihrem Eintreffen im Fahrer-Hotel. Zudem soll er in seinem Privatjet Blut aus den USA nach Europa transportiert haben.