WM-Teilnehmer Stefan Schwab ist Sprinter aus Leidenschaft. Seine Brötchen verdient er allerdings in einer Kfz-Zulassungsstelle.

Elmenhorst. Die Kollegen gehen schon mal vor. "Bestellt bitte für mich mit", ruft ihnen Stefan Schwab nach. Nudelsalat und ein Stück Fleisch, wie immer in der Mittagspause am langen Donnerstag. Bis 18 Uhr ist Schwabs Büro mit der Nummer 105 in der Kfz-Zulassungsstelle des Kreises Herzogtum Lauenburg heute noch für den Publikumsverkehr geöffnet. Vor 20 Uhr wird er kaum zu Hause sein, zu spät, um noch eine Trainingseinheit einzulegen. Aber Schwab will nicht klagen. "Man macht es ja gern."

Zulassen, Abmelden, Export, Import. 41 Stunden pro Woche beträgt seine Dienstzeit. Schwab ist zuständig für Kennzeichen mit der Endziffer 1. Es ist seine Zahl. Der 22-Jährige vom TSV Schwarzenbek ist derzeit der schnellste Mann in Deutschland, aufs Jahr gesehen. Auf 10,19 Sekunden hat er sich über 100 Meter gesteigert, und wenn bis zum letzten Nominierungswettkampf am 2. August in Bochum nichts Dramatisches passiert, dann darf er bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin (15. bis 23. August) im Einzel starten. "Ein emotionaler Höhepunkt", sagt Schwab, "eine WM im eigenen Land bedeutet noch einmal zehn Prozent zusätzliche Motivation."

Noch einmal will er nicht nur Zuschauer sein. Womöglich hätte er schon bei den Olympischen Spielen in Peking dabei sein können, aber als die deutsche Sprintstaffel im Trainingslager die Wechsel proben sollte, stand gerade Schwabs Abschlussprüfung zum Verwaltungsfachwirt an. Er entschied sich gegen die vage sportliche Perspektive und für die berufliche. Die WM in Berlin habe ja schon vor der Tür gestanden, und London 2012 sei auch nicht unerreichbar. Die entsprechenden Nummernschilder, "RZ-WM 2009" und "RZ-OS 2012", hat Schwab bereits reserviert.

Die Zukunft gehöre ihm, habe der Bundestrainer zu ihm gesagt. Und dass er seine Lebenssituation überdenken solle. Schwab hat es getan, aber er ist keiner, der sich nur über den Sport definiert, die Laufbahn neben der Laufbahn ist ihm wichtig. Seine Kollegen sind Vollprofis oder Studenten. Trotzdem beneidet er sie nicht. Er würde ungern alles aufgeben, das Elternhaus in Schulendorf, in dem er eine Etage für sich besitzt, und vor allem seine Arbeit: "Die Kollegen, der Kontakt mit den Menschen, das alles würde mir fehlen." Und außerdem: Wer zahle denn sonst in die Rentenkasse ein?

Arbeiten, Essen, Arbeiten, nach Hause, Training, Duschen, Schlafen: So sehe derzeit sein Tagesablauf aus. "Im Prinzip habe ich zwei Full-Time-Jobs", sagt der gebürtige Hamburger. Bisher ist es gut gegangen, aber wer weiß, ob es nicht noch besser gehen könnte. In Schwarzenbek fehlen ihm die Annehmlichkeiten eines Großvereins. Jeden Termin beim Physiotherapeuten muss sich Schwab selbst organisieren. Vater Hans-Jürgen ist sein Trainer, Mutter Gudrun kümmert sich um den Ernährungsplan. Im Training muss schon mal ein Stapel Bananenkartons als Hürde herhalten. Und doch war von den deutschen Topsprintern keiner in seinem Alter so schnell wie er. Nicht einmal Tobias Unger, der ihm bei den deutschen Meisterschaften in 10,18 Sekunden die Saisonbestleistung abnahm.

Wenn Schwabs Karriere weiter auf der Beschleunigungsspur verläuft, wird er auch diese Zeit bald unterbieten. Aber irgendwo gebe es mit seinen 1,79 Metern und 69 Kilogramm sicher eine natürliche Grenze. Die Frage, warum manche Nebenleute im Rennen doppelt so große Oberarme haben wie er, stelle er sich lieber nicht. Nur eines: "Ich glaube nicht, dass im WM-Endlauf alle sauber sind." Stefan Schwab will in Berlin jeden Lauf wie ein Finale angehen, "volle Möhre durch". Er will keine Show machen und keine großen Gesten. Das mit dem Victory-Zeichen neulich im Fernsehen sei nur ein Gruß an den Freundeskreis zu Hause gewesen. Und an die Kollegen im Amt.