Der ehemalige Sportjournalist Wolfgang Niersbach ist an der Spitze des deutschen Fußballs angekommen. Er übernimmt das Amt des Präsidenten.

Frankfurt/Main. Wolfgang Niersbach grinste nur schelmisch, als Amtsinhaber Theo Zwanziger ihn mit überraschend warmen Worten zum kommenden DFB-Präsidenten erhob. Um kurz vor Mitternacht am Dienstagabend hatten sich die starken Männer des Deutschen Fußball-Bundes in einem hitzigen Telefonat darauf geeinigt, dass der Generalsekretär Niersbach im Oktober 2012 selbst Präsident werden soll - von Zwanzigers einstigem Wunschkandidaten Erwin Staudt war keine Rede mehr. Stattdessen wird Niersbach seinen 23 Jahre währenden Aufstieg vom Sportjournalisten zum obersten Herrn von 6,8 Millionen Fußballern vollenden.

Niersbach (61) machte keinen Hehl daraus, dass seine Zusage nach SID-Informationen lange auf der Kippe gestanden hatte. „Ja, ich traue es mir zu! Ja, ich bin bereit! Aber ich gebe gerne zu, dass die Nächte seit Freitag wirklich sehr kurz waren. Mir sind 1001 Gedanken durch den Kopf gegangen. Denn für mich ist die Kandidatur ein gewaltiger Schritt. Der Präsident eines solchen Verbandes kann kein Solist sein, er kann nur ein Kapitän dieser Mannschaft sein“, betonte Niersbach. Zwanziger war in den vergangenen Monaten wegen seiner zahlreichen Alleingänge in die Kritik geraten.

Nach einem fünftägigen Machtkampf hinter den Kulissen folgte aber am Mittwoch in der Frankfurter DFB-Zentrale der Schulterschluss. Und Staudt, ehemaliger Präsident des VfB Stuttgart, durfte sich plötzlich nur noch als „Alternative“ fühlen. „Ich freue mich, dass sich mein Freund Wolfgang Niersbach nach intensiver Überlegung bereit erklärt hat, im Oktober 2012 meine Nachfolge als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes anzutreten. Ich habe ihn mir bereits für den Bundestag 2010 als meinen Nachfolger gewünscht. Damals war er dazu noch nicht bereit. Und da ich mir nicht sicher war, ob er nun bereit ist, habe ich mich natürlich auch nach Alternativen umgeschaut“, sagte Zwanziger.

Kurz war insbesondere die Nacht von Dienstag auf Mittwoch, als Niersbach und Zwanziger um die Macht pokerten. Niersbach wäre anscheinend lieber schon im März 2012 als Präsident an den Start gegangen. Daraufhin soll Zwanziger erklärt haben, er werde wohl doch bis zum Ende der laufenden Amtsperiode im Jahr 2013 im Amt bleiben. Erst am späten Dienstagabend einigten sich der Generalsekretär und der DFB-Boss darauf, dass Zwanziger (66) seinen Posten bis Oktober 2012 behält. „Ich denke, dass das der geeignete Zeitpunkt für meinen Rücktritt ist“, sagte Zwanziger.

Niersbach bestätigte zwar, dass Zwanziger im Sommer 2010 das Gespräch mit ihm gesucht und ausgelotet habe, ob er grundsätzlich bereit sei, in Zukunft DFB-Präsident zu werden. Von der aktuellen Entwicklung am vergangenen Freitag, als Zwanziger seinen Rücktritt für 2012 verkündete, war aber auch der frühere Journalist Niersbach völlig überrascht. Warum Zwanziger seinen vermeintlichen „Wunschkandidaten“ Niersbach nicht im Vorfeld schon in Kenntnis gesetzt hatte, um eine Nachfolge-Regelung einzuleiten, blieb auch am Mittwoch unklar.

„Ich bin davon ausgegangen, dass wir gemeinsam die Wahlperiode bis 2013 gemeinsam zu Ende bringen. Erst am Freitag bin ich mit der neuen Situation konfrontiert worden und habe mich anschließend aus Respekt vor den Vertretern der Landes- und Regionalverbände erst einmal nicht in der Öffentlichkeit geäußert“, sagte Niersbach, der betonte, dass es „nie sein Plan oder Lebensziel gewesen“ sei, DFB-Chef zu werden: „Schließlich wusste ich ja auch nicht: Wie ist die Stimmung? Bin ich ein Kandidat, der geeignet ist? In den letzten fünf Tagen habe ich aber sehr positive Signale erhalten, die mich bewogen haben, diese Entscheidung zu treffen“, sagte Niersbach.

+++ Staudt will Präsident werden - Rauball sagt ab +++

+++ Beckenbauer will Niersbach als Nachfolger für Zwanziger +++

Erleichterung herrschte nach der Zusage bei zahlreichen DFB-Vertretern und den Bossen der Deutschen Fußball Liga (DFL). Zumindest konnte ein lange anhaltender Machtkampf verhindert werden, nachdem der größten Sportfachverband der Welt vor einer Zerreißprobe gestanden hatte. Eine Hängepartie wäre für die Liga anscheinend untragbar gewesen.

„Niersbach ist als Mann des Ausgleichs bekannt, der die Interessen des gesamten Fußballs stets im Blick hat und großes Ansehen in allen Bereichen des DFB genießt“, sagte Liga-Präsident Reinhard Rauball, der laut Zwanziger wie auch Staudt und DFB-Vizepräsident Hans-Dieter Drewitz ebenfalls zu Alternativen für Niersbach zählte.

Niersbach selbst, der die Gewalt in den Stadien als größte Herausforderung des Verbandes in den kommenden Jahren sieht, will sich in Sachen Amtsführung Franz Beckenbauer als „Vorbild“ nehmen. „Franz Beckenbauer hat wie auch Günter Netzer keine Allüren. Und auch ich möchte einfach so bleiben, wie ich bin. Ich möchte auch in Zukunft mein Bierchen in meiner Dorfkneipe trinken gehen können. Ich möchte mich auch in Zukunft gegen jüngere Gegner beim Tennisspielen austoben“, sagte Niersbach.

Zwanziger will sich in den kommenden Monaten vor allem auf der internationalen Bühne als gewichtiges Mitglied des UEFA- und FIFA-Exekutivkomitees bewegen. Nachdem er am Mittwoch den Weg für seinen designierten Nachfolger Niersbach frei gemacht hatte, kritisierte der Jurist erneut die von Korruptionsvorwürfen begleitete Vergabe der WM 2022 an Katar.

„Die Grundvoraussetzungen für ein Gastgeberland sind pervertiert worden. Ich habe nie verstanden, wie ein so kleines Land die wichtigste Sportveranstaltung der Welt ausrichten darf, obwohl Katar vor der Entscheidung im Ranking-Raster an letzter Stelle stand“, sagte Zwanziger.

Auf Zwanzigers Nachfolger warten Großbaustellen

Auf Theo Zwanzigers Nachfolger warten einige Großbaustellen. Die zunehmende Gewalt in den Stadien, die Ermittlungen gegen Schiedsrichter wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, der Dauerzwist mit Ex-Funktionär Manfred Amerell – der künftige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes bekommt von seinem Vorgänger unangenehme Erbhöfe. Dabei hatte Zwanziger seinen überraschenden Rückzug auch mit den Worten begründet: „Ich sehe zumindest im nationalen Bereich für mich persönlich keine großen Herausforderungen mehr.“

Zwanziger hat den größten Sportfachverband der Welt (6,75 Millionen Mitglieder) in seiner siebeneinhalbjährigen Amtszeit geprägt. Als erfolgreicher Gastgeber des „Sommermärchen“ 2006 und der Frauenfußball-WM 2011 verschaffte er sich auch international Ansehen. Mit einer bewegenden Rede nach dem Suizid von Nationaltorwart Robert Enke erntete der 66-Jährige Jurist aus Altendiez bundesweit Respekt und Anerkennung. Als Krisenmanager bewies er oft sein Geschick, populäre Themen zu besetzen. Nicht immer agierte er dabei aber glücklich. Die zunächst geplatzte Vertragsverlängerung mit Bundestrainer Joachim Löw bezeichnet er heute als seinen „großen Fehler“.

Während Zwanziger im Manipulationsskandal um den Unparteiischen Robert Hoyzer noch umsichtig agierte, artete die Schiedsrichter-Affäre um Amerell und Michael Kempter zu seinem Dauerzwist aus, der den DFB immer wieder und noch belastet. Liga-Präsident Reinhard Rauball hoffte nach dem geplatzten Mediationsverfahren, dass Zwanzigers Nachfolger das Thema vom Tisch bringt.

Er sei dafür, persönliche Befindlichkeiten auf allen Seiten zurückzustellen, um eine Lösung im Sinne des Fußball zu finden. „Ich denke, dass ich auch in den internen Gremien so argumentiert habe und glaube, dass durch eine neue Positionierung in der Spitze sich auch andere Überlegungen breitmachen könnten. Aber das muss dann derjenige entscheiden, der bei dieser Wahl dann auserkoren ist“, sagte Rauball.

Der angekündigte Präsidentenwechsel fällt auch mitten in Verhandlungen über den neuen Grundlagenvertrag zwischen DFB und der Deutschen Fußball Liga. Der Kontrakt, der die Finanzflüsse zwischen DFB und DFL regelt, läuft nächstes Jahr aus. Kein Wunder, dass die DFL auf eine schnelle Nachfolgelösung beim Partner drängt.

Keine schnelle Lösung wird es bei den Fan-Krawallen geben, auch wenn der DFB eine Task Force gegründet hat. Mit 856 Verletzten bei 612 Spielen gab es in der vergangenen Saison einen Negativrekord bei Zuschauerausschreitungen. Zuletzt zeigte der Fall Dynamo Dresden, der für die Randale seiner Anhänger in Dortmund für die kommende Saison aus dem DFB-Pokal ausgeschlossen wurde, wie vielschichtig diese Problematik ist.

Nicht zuletzt wird sich Zwanzigers Nachfolger mit den Ermittlungen gegen zahlreiche Schiedsrichter wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung beschäftigen müssen. Auch wenn der DFB-Boss nicht davon ausgeht, dass es zu Strafverfahren kommt.

Als „Problem-Präsident“ und „Zickzack-Zwanziger“ musste sich Zwanziger zuletzt in den Medien kritisieren lassen, unberechenbaren Alleingänge und Eitelkeit werfen ihm Kritiker vor. Er selbst sieht den wirtschaftlich gesunden Verband auf „sehr festgefügten Grundlagen“ und mahnte dieser Tage schon mal seinen potenziellen Nachfolger, die gesellschaftlichen Aufgaben nicht zu vernachlässigen. Genug zu tun hat der künftige DFB-Präsident aber ohnehin.

Wolfgang Niersbach im Kurzportrait

DFB-Generalsekretär Niersbach: „Kaiser“-Freund

Den kaiserlichen Segen hatte er schon vor der offiziellen Kandidatenkür: Wolfgang Niersbach ist ein Freund Franz Beckenbauers, wie auch von Günter Netzer. „Er ist in meinen Augen der Beste“, sagte Beckenbauer, als Niersbach am vergangenen Wochenende erstmals als möglicher Nachfolger von DFB-Präsident Theo Zwanziger gehandelt worden war.

Der 61 Jahre alte Generalsekretär des Deutschen Fußball-Bundes gilt als Motor des größten Sportfachverbandes der Welt, genießt auch bei UEFA und FIFA enormes Ansehen und hat ein hohes Standing bei der Deutschen Fußball Liga (DFL). „Wolfgang ist eine tolle Persönlichkeit und kann Events gestalten wie kaum ein anderer“, sagte Zwanziger einmal über seinen höchsten Angestellten, der bis 2016 beim DFB unter Vertrag steht.

Als Beckenbauer mit der Nationalmannschaft 1990 Weltmeister wurde, war Niersbach DFB-Mediendirektor. Und als der „Kaiser“ als höchster Repräsentant des WM-Gastgebers 2006 glänzte, wirbelte Niersbach im Hintergrund als geschäftsführender Vizepräsident und Pressechef des Organisationskomitees. Er hat das „Sommermärchen“ mit seinen Ideen, seinen Kontakten zu Sponsoren und zum internationalen Fußball maßgeblich geprägt. Im Oktober 2007 wurde der in Nettesheim bei Düsseldorf geborene Manager als Nachfolger von Horst R. Schmidt DFB-Generalsekretär.

Seit 38 Jahren ist Niersbach im Geschäft, angefangen hat er als Sportjournalist. Kaum einer erlebte den Wandel im Fußball so hautnah mit. Wenn er bei der WM 1990 eine Pressekonferenz organisierte, erinnerte er sich einmal, dann wurden ein paar Tische zusammengeschoben: Lothar Matthäus und Andreas Brehme saßen eh noch beim Kaffee.

Keiner weiß es besser einzuschätzen als Niersbach, was an medialer Aufmerksamkeit auf ihn zukommt, wenn er vom DFB-Bundestag als Präsident gewählt werden sollte. Wohlweislich hatte sich der Funktionär, der am Mittwoch vom Präsidium und den Regionalverbänden zum einzigen Kandidaten für das Chefamt bestimmt wurde, in den vergangenen Monaten öffentlich rausgehalten, wenn Zwanziger mal wieder eine Baustelle beackern musste.

Die Amtsperiode des DFB-Präsidenten Theo Zwanziger im Zeitraffer

2001 - 2004: DFB-Schatzmeister

9. Juli 2004: Einigung mit dem damaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder auf eine Doppelspitze bis zum Außerordentlichen DFB-Bundestag 2006.

23. Oktober 2004: Auf dem DFB-Bundestag in Osnabrück wird die Doppelspitze Mayer-Vorfelder/Zwanziger gewählt.

Frühjahr 2005: Aufarbeitung des ersten Schiedsrichter-Skandals um den ehemaligen Referee Robert Hoyzer.

2005: Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland.

8. Dezember 2006: Zwanziger wird einstimmig zum (alleinigen) DFB-Präsidenten gewählt.

2008 - 2009: Rechtsstreit Zwanzigers mit dem freien Sportjournalisten Jens Weinreich.

März 2009: Wahl ins Exekutivkomitee auf dem Kongress der Europäischen Fußball-Union (UEFA) in Kopenhagen als Nachfolger von Gerhard Mayer-Vorfelder.

Dezember 2009 - heute: Juristische Auseinandersetzungen mit dem ehemaligen Schiedsrichter-Obmann Manfred Amerell, der ein sexuelles Verhältnis mit dem früheren FIFA-Schiedsrichter Michael Kempter hatte. Ende offen.

Januar 2010: Zwanziger gibt die Vertragsverlängerung mit Joachim Löw „per Handschlag“ bekannt, der Bundestrainer will davon allerdings nichts wissen und sorgt damit für eine Verbandskrise. Löw dehnt den Kontrakt bis 2014 erst nach der gelungenen WM in Südafrika aus.

Juni 2011: Zwanziger wird auf dem Kongress des Weltverbandes in Zürich als Nachfolger von Franz Beckenbauer in das 24-köpfige Exekutivkomitee der FIFA gewählt.

2. Dezember 2011: Zwanziger kündigt für 2012 seinen Rücktritt als DFB-Boss an.

7. Dezember 2012: Wolfgang Niersbach erklärt sich bereit, die Nachfolge Zwanzigers zu übernehmen.

Mit Material von sid, dpa und dapd