Bald könnte der Traum vom EM-Titel wahr werden. Die deutsche Nationalmannschaft der Frauen hat das Endspiel erreicht.

Mönchengladbach. Eine elementare Zutat dafür, dass der Sport in der Lage ist, Massen zu begeistern, ist der Fakt, dass spielentscheidende Momente bei genauer Betrachtung oft so banal wirken, dass sich jeder Beobachter in sie hineinzudenken vermag. Am Donnerstagabend, als die deutschen Hockeyfrauen bei der EM in Mönchengladbach im Halbfinale gegen Spanien antraten, gab es wieder so einen Moment, und diejenige, die in der 62. Spielminute zur Heldin wurde, brauchte nur wenige Worte, um zu erklären, was passiert war.

„Als ich den Ball das zweite Mal auf dem Schläger hatte, habe ich nicht nachgedacht, sondern wusste, dass er rein muss. Und als er drin war, habe ich nur eins verspürt: Erleichterung!“, sagte Natascha Keller. Die 34 Jahre alte Torjägerin vom Berliner HC hat wahrlich schon einige geschichtsträchtige Momente erlebt auf dem Hockeyfeld, sie war 2004 in Athen Olympiasiegerin und 2007 in Manchester Europameisterin, gegen Spanien absolvierte sie ihr 396. Länderspiel. Und doch wird ihr dieser 2:1-Siegtreffer in Erinnerung bleiben als eines der wichtigsten Tore, die sie jemals erzielt hat.

Wie Eileen Hoffmann vom deutschen Meister Uhlenhorster HC, die in der elften Minute zum 1:0 getroffen hatte, sich auf links durchsetzt, den Ball flach durch den Schusskreis passt, direkt auf Kellers Schläger, wie sie sich dreht und zunächst eine Spanierin anschießt, den Abpraller dann erneut auf den Schläger bekommt und mit einem flachen Vorhandschlag der starken Torhüterin Maria Lopez de Eguilaz keine Chance lässt, diese Bilder, sagte Keller, „werde ich nicht vergessen.“ Verstehen kann man das umso mehr in dem Wissen, dass der Sieg über Spanien nicht nur die Chance eröffnete, im Finale am Sonnabend (15.00 Uhr) gegen die Niederlande um den zweiten kontinentalen Titel nach 2007 zu spielen, sondern vor allem die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2012 in London bedeutete.

An der Teilnahme am wichtigsten Sportereignis der Welt hängen für den Deutschen Hockey-Bund (DHB) die Fördergelder des Innenministeriums. In der Zielvereinbarung für das kommende Jahr sind zwei Medaillen im Hockey festgeschrieben worden, eine davon soll golden glänzen. „Natürlich ist das ein hoher Anspruch, aber jetzt haben wir die Chance, ihm gerecht zu werden, und dafür werden wir alles tun“, sagte Damen-Bundestrainer Michael Behrmann. Die Herren, deren Halbfinalmatch gegen Titelverteidiger England bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet war, hatten die Reise nach London bereits durch den Halbfinaleinzug buchen können, da sich bei ihnen drei anstatt zwei Teams plus Gastgeber England qualifizierten.

Die Erleichterung, auf den Umweg über eins der drei Qualifikationsturniere im Frühjahr 2012 verzichten zu können, war Stephan Abel am Donnerstag kurz vor Mitternacht anzusehen. Der DHB-Präsident lobte seine Bundestrainer, die beide bis London 2012 unter Vertrag stehen, für ihre Arbeit, wohl wissend, dass die Vorbereitung auf Olympia nun optimal geplant werden kann. Das Geld, das für Reisen nach Japan oder Chile, wo die Qualifikationsturniere stattfinden, hätte ausgegeben werden müssen, kann nun in Trainingslager investiert werden. Zudem müssen die Nationalspieler nicht aus der Vorbereitung auf die Bundesliga-Rückrunde gerissen werden. „Wir können jetzt das Olympiajahr planen, und das gibt uns Freiräume“, sagte Abel, der versprach, mehr Geld in die Juniorenteams zu investieren, um vor allem den Damen einen solideren Unterbau zu ermöglichen.

Dass dieser notwendig ist, war im Warsteiner Hockey-Park bisweilen zu sehen. Auch wenn Behrmanns Team gegen Spanien von Beginn an die Initiative ergriff und nicht so nervös wirkte wie zum Gruppenfinale gegen Belgien, waren die Schwächen im Spielaufbau und im Umschalten nicht zu überdecken. Die in die Jahre gekommene Führungsriege wird indes von nachrückenden Talenten nicht in der Form unter Druck gesetzt, dass Behrmann eine ähnliche Auswahl wie sein Herren-Pendant Markus Weise hat. „Wir müssen daran arbeiten, die Strukturen zu verbessern und die Leistungsdichte zu verbreitern“, sagte Abel.

Zunächst einmal gilt die ganze Konzentration nun jedoch dem Finale gegen den Erzrivalen. Am Freitag stand für die Spielerinnen nur lockeres Auslaufen und Pflege auf dem Programm. Insgeheim hatten viele auf eine Halbfinal-Niederlage der Niederlande gegen England gehofft, um im Endspiel das 0:2 aus der Vorrunde tilgen und die schwarze Serie von acht Pleiten gegen die Britinnen in Folge stoppen zu können. „Andererseits wäre es auch toll, diese Serie bei Olympia in London zu beenden“, sagte Behrmann.

Natascha Keller, die die Anzahl ihrer Duelle mit Oranje nicht einmal mehr schätzen kann, freut sich auf die Herausforderung. „Europameister ist man erst, wenn man im Turnierverlauf Holland geschlagen hat“, sagte sie, „und ich denke, dass wir eine gute Chance haben, denn die sind nicht mehr so übermächtig wie vor ein paar Jahren.“ Wichtig sei vor allem, „dass wir keine Angst mehr vor ihnen haben.“

Solange im Sturm noch Spielerinnen wie Natascha Keller zur Verfügung stehen, muss Deutschland keinen Gegner fürchten. In London erlebt sie, wenn der Körper mitspielt, ihre fünften Olympischen Spiele, danach soll endgültig Schluss sein. Der DHB und Behrmann wären gut beraten, schnellstmöglich nach geeignetem Ersatz zu suchen. Denn wichtige Tore, wie banal sie auch zustande kommen, werden auch in der Nach-Keller-Ära gebraucht.