400-Meter-Hürden-Legende Edwin Moses über die Anfänge seiner Karriere, die einmalige Siegesserie und den Absprung ins Leben danach.

Hamburg. Wie gut, dass Edwin Moses einverstanden ist, den Fototermin vorzuziehen. Für einige Minuten zeigt sich Hamburg noch einmal von seiner schönsten Seite, sogar die Sonne blinzelt kurz hindurch. Kaum zurück im Hotel Le Royal Meridien, zieht über der Außenalster ein Sturm auf. Sein Engagement als Vorsitzender der Laureus-Sportstiftung hat den zweimaligen US-amerikanischen Olympiasieger über 400 Meter Hürden und seine Frau Michelle in die Hansestadt geführt. Am Abend nahm Moses, 55, den "Sport Bild"-Award in der Kategorie "Beste Sportidee" entgegen (weitere Preisträger siehe unten auf dieser Seite).

Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Moses, Sie schreiben an Ihrer Autobiografie. Verraten Sie uns den Titel?

Edwin Moses: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich trage schon seit 15 Jahren Material zusammen. Ich werde Sie es wissen lassen, sobald der Titel feststeht.

Die Hürden werden wohl darin vorkommen, richtig?

Moses: Davon habe ich in meinem Leben viele nehmen müssen. Als ich am College begann, Physik und Ingenieurwesen zu studieren, gab es dort nicht einmal eine Trainingsbahn. Es gab kein Stadion, keine Trainer, ich hatte nicht einmal richtige Laufschuhe, die von Adidas konnte ich mir nicht leisten. Ich musste als Ingenieur arbeiten, denn die Leichtathletik war kein Profisport.

Sie wurden 1976 gleichsam aus dem Stand Olympiasieger.

Moses: Das war das erste Mal, dass ich für ein Rennen bezahlt wurde. Ich hatte vorher keine Ahnung von dem Geschäft. Und jetzt bekam ich Geld, Schuhe, einen Ausrüstervertrag. Ich kam zurück zum College und war reich, mit gerade mal 20 Jahren. Ich dachte: Wow, die Leichtathletik gefällt mir, das möchte ich noch viele Jahre machen. Damals haben die Topjungs 1000, vielleicht 1500 Dollar pro Start erhalten.

Hatten Sie einen Manager?

Moses: Ich hatte 1977 einen Coach am College, der mich ein bisschen gemanagt hat. Aber von 1978 bis 1983 habe ich alles allein gemacht. Wir Leichtathleten begannen gerade richtig gut zu verdienen. 1983 veröffentlichte eine Zeitung die Einkünfte der Quarterbacks der NFL-Footballteams, sie lagen zwischen 600 000 und 700 000 Dollar pro Jahr. Das waren damals die bestbezahlten Jungs im Sport. Ich habe mehr verdient als die meisten von ihnen.

Weltrekordsprinter Usain Bolt verlangt für einen Start einen sechsstelligen Betrag. Mögen Sie ihn?

Moses: Er ist ein netter Kerl und macht einen tollen Job. Ich wünschte, wir hätten fünf Superstars wie ihn, so wie es zu meiner Zeit war. Willie Banks, Renaldo Nehemiah, Evelyn Ashford, Ulrike Meyfarth kannte jeder. Das waren große Persönlichkeiten. Heute rennen viele einmal durchs Stadion, winken ins Publikum, geben ein kurzes Interview, und das war's. Man erfährt wenig über sie. Ich saß oft stundenlang mit Reportern zusammen und habe ihnen erzählt.

Sie blieben fast zehn Jahre in 122 Rennen unbesiegt. Ist eine solche Serie noch einmal möglich?

Moses: Schwer vorstellbar. Viele haben es versucht. Meine letzte Niederlage hatte ich 1977 gegen Harald Schmid erlitten, nachdem ich zuvor am Pool herumgehangen und Sekt getrunken habe. Das war mir eine Lehre. Ich bin nie wieder unvorbereitet angetreten.

Was war die größte Hürde, die Sie nehmen mussten?

Moses: Der Übergang ins normale Leben. Nur am Pult zu sitzen, sich nicht körperlich zu betätigen - ich habe Jahre gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Ich wollte nicht für eine Wall-Street-Firma, eine Investmentbank arbeiten. Vor allem das Training hat mir gefehlt. Das ist es ja, womit man die meiste Zeit verbringt. Ein Wettkampf ist nach einer Dreiviertelminute vorbei.

Erzählen Sie uns über die Projekte, die Ihre Stiftung unterstützt.

Moses: Mit sechs Projekten haben wir 2001 angefangen. Jetzt sind es mehr als 87 mit rund zwei Millionen Kindern. Das bekannteste ist wohl das Mysa-Projekt in Kenia, das schon zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert wurde. Vielen Kindern aus den Slums konnten wir dort bereits helfen und ihnen Schul- und Ausbildung ermöglichen. Unser Ziel ist immer, die Menschen dazu zu befähigen, sich selbst zu helfen.

Laureus will die Gesellschaft durch den Sport verändern. Was wäre ohne den Sport aus Ihnen geworden?

Moses: Ich wäre vermutlich Ingenieur oder in der Medizin tätig. Als Ingenieur habe ich ja bereits Waffen getestet, die erste Generation der Cruise-Missiles. Ich musste aufhören, weil ich als Athlet in Osteuropa startete.

Viele der deutschen Meetings, bei denen Sie starteten, gibt es heute nicht mehr.

Moses: Für mich trägt die Diamond League an dieser Entwicklung Schuld, sie hat viele Veranstaltungen kaputt gemacht. Dass nicht einmal das Berliner Istaf zu dieser Serie zählt, dafür habe ich kein Verständnis.

In Hamburg ist ein Sprint- und Sprung-Event in der HafenCity geplant, mit Zuschauertribünen beidseits der Bahn. Ist diese Art Wettkampf zukunftsweisend?

Moses: Klingt interessant. In den USA gab es ähnliche Ansätze. Das gibt den Veranstaltern Sicherheit, es zu refinanzieren, und ist fürs Fernsehen attraktiv.

Was sollte Deutschland tun, um die Leichtathletik zu stärken?

Moses: Ich glaube, es ist eine Frage des Coachings. Trainingsmöglichkeiten gäbe es genug. Trotzdem wollen die Kinder und Jugendlichen lieber Fußball oder etwas anderes spielen. Als ich in Deutschland lief, wollten sie noch Leichtathletik betreiben. Gerade den Familien hat der Fußball heute über das bloße Spiel hinaus mehr zu bieten.

Inwiefern hat der US-Sport unter der Finanz- und Schuldenkrise zu leiden?

Moses: Prinzipiell ist genügend Talent vorhanden, weil es spätestens in den Highschools Leichtathletikteams gibt, die allen offen stehen. Anschließend greift das College-Fördersystem. Doch gerade an den Colleges mussten etliche Sportarten aus dem Förderprogramm gestrichen werden.

Sie haben sich im Lauf Ihrer gesamten Karriere gegen Doping engagiert. Ist der Sport sauberer geworden?

Moses: Auch wenn ich dem Aufsichtsrat der US-Antidoping-Agentur angehöre, kann ich nicht stellvertretend für sie sprechen. Mein Eindruck ist aber, dass sich die Situation unter dem Einfluss der Welt-Antidoping-Agentur wesentlich verbessert hat. Viele Substanzen können über längere Zeiträume nachgewiesen werden. Die internationalen Behörden sind den Netzwerken auf den Fersen. Dass Stars wie Marion Jones überführt wurden, zeigt, dass kein Betrüger sich mehr sicher fühlen kann.