Das Sportliche geriet auf der 9. Etappe der Tour in den Hintergrund. Zwei schwere Unfälle sorgten für das Tour-Aus für weitere Top-Fahrer.

Saint-Flour. Alexander Winokurow wurde in den Krankenwagen gehievt, Jürgen Van Den Broeck saß benommen auf dem Asphalt, Johnny Hoogerland rollte blutüberströmt über die Ziellinie: Die unheimliche Unfallserie der Tour de France hält an. Ein böser Massensturz und die lebensgefährliche Dummheit eines Begleitauto-Fahrers prägten die 9. Etappe der Tour und zwangen zwei weitere Top-Fahrer zur Aufgabe.

Routinier Winokurow und Podiumskandidat Van Den Broeck mussten ihren Tour-Traum vorzeitig begraben. Einen Schutzengel hatte trotz eines dramatischen Unfalls Hoogerland, der von einem Auto gerammt und in hohem Bogen in einen Zaun geschleudert wurde. Die „Tour der Leiden“ zeigte am Sonntag im französischen Zentralmassiv ihre hässliche Seite.

Der Tagessieg von Luis Leon Sanchez und der Sturm ins Gelbe Trikot von Lokalmatador Thomas Voeckler gerieten zur Nebensache. Vor allem der von einem Fahrzeug des französischen Fernsehens verursachte Unfall erhitzte im Zielort Saint-Flour die Gemüter. „Die Tour wird immer größer und immer wilder, die Straßen immer enger“, monierte HTC- Teamchef Rolf Aldag. „Mir scheint, dass immer mehr unqualifizierte Leute hier rumfahren. Das muss dringend geändert werden.“

Der Fahrer des Begleitfahrzeugs hatte die fünfköpfige Spitzengruppe überholt, dann das Steuer aber verrissen und Juan Antonio Flecha gerammt. Der Spanier riss Hoogerland mit, der in einen Stacheldrahtzaun flog. Dabei verletzte er sich nach Aussage seines Teamchefs Michel Cornelisse am ganzen Körper: „Er hatte überall tiefe Schnitte. Ich hoffe, dass es sich am Ruhetag erholt und am Dienstag weiterfahren kann. Uns ging ein möglicher Etappensieg verloren.“

Für Winokoruw, der seine letzte Tour bestritt, dürfte dagegen die Radprofi-Karriere vorzeitig zu Ende sein. Bei dem Massensturz wurde Winokurow in die Böschung geschleudert, nachdem Fahrer offenbar auf nasser Straße weggerutscht waren. „Die gefährliche Kurve wurde uns nicht angezeigt – das ist unmöglich“, klagte der auf Gesamtrang vier vorgerückte Tony Martin, der auch in den Sturz verwickelt war. „Ich bin hineingefahren, als schon viele lagen und habe mich leicht am Knie verletzt. Ich hatte zehn Kilometer Schmerzen, dann ging es.“

Andreas Klöden verlor auf dem 208 Kilometer langen Teilstück acht Sekunden auf Martin und rutschte dadurch auf den achten Rang in der Gesamtwertung. Auch der Wahl-Schweizer kam mit blutenden Wunden am Ellbogen und am Bein ins Ziel. Der Radioshack-Profi wurde vorsorglich zum Röntgen in ein Krankenhaus gebracht. Dabei wurden einem Teamsprecher zufolge Hämatome am Rücken sowie eine sehr schmerzhafte Verspannung der Muskulatur festgestellt. Knochenbrüche erlitt der 36-Jährige aber nicht. „Am Montag will Andreas Klöden eine Testfahrt machen und dann entscheiden, wie es weitergeht“, sagte der Teamsprecher am Sonntagabend. Montag ist Ruhetag.

Klödens ehemaliger T-Mobile-Teamkollege Winokurow musste mit einem gebrochenen linken Oberschenkelknochen in die Klinik von Aurillac eingeliefert werden. Der Belgier Van den Broeck erlitt Kopfverletzungen und einen Schulterblattbruch.

Zum zweiten Mal in seiner Karriere ins Gelbe Trikot fuhr Voeckler, der auf der zweiten Etappe im Mittelgebirge Zweiter wurde. Im Schlussanstieg konnte er Rabobank-Fahrer Sanchez nicht folgen. Europcar-Kapitän Voeckler selbst hatte entscheidende Attacke des Tages im Anstieg zum ersten von insgesamt sieben Bergen lanciert.

Profitiert haben die Ausreißer im dramatischen Finale allerdings vom kilometerlangen Innehalten der Top-Fahrer nach dem folgenschweren Massensturz. Tour-Mitfavorit Cadel Evans erinnerte in einer ersten Reaktion an den tödlichen Unfall von Wouter Weylandt beim Giro d'Italia im Mai. „Nach dem, was in diesem Jahr passiert ist, hat mich das heute sehr mitgenommen und die ganze Etappe über beschäftigt“, sagte der Ex-Weltmeister aus Australien, der im Klassement als Dritter hinter Voeckler und Sanchez.

Hinter dem BMC-Kapitän folgen die Brüder Schleck (Leopard) und Martin. Titelverteidiger Alberto Contador hat auf seine ärgsten Konkurrenten weiter rund eineinhalb Minuten Rückstand.