Lange Zeit galt Novak Djokovic als talentierter Tennis-Clown. Damit reizte er die Kollegen bis aufs Blut. Nun ist der Serbe Wimbledonsieger und die Nummer eins der Welt und lehrt die Konkurrenz das Fürchten.

London. „Husten, Vogelgrippe und Anthrax!“ Klarer Fall: Novak Djokovic war ein Hypochonder - zumindest in der Augen des Amerikaners Andy Roddick, der dem Serben noch vor drei Jahren jeglichen Kampfgeist absprach. Und tatsächlich: Beim kleinsten Zipperlein eilte der Physiotherapeut auf den Platz, bepackt mit Eisbeuteln, nassen Wickeln und warmen Worten. Djokovic war ein schlampiges Talent, manchmal weinerlich und weit davon entfernt, ein Champion zu sein. Heute ist der 24-Jährige Wimbledonsieger und die Nummer eins der Tennis-Welt.

Die Bewunderung kennt seit dem Final-Triumph über Rafael Nadal keine Grenzen mehr. Die Wachablösung in der Weltrangliste stand bereits nach dem Halbfinale fest, doch was wäre der Tennis-Thron ohne den Titel auf dem heiligen Rasen von Wimbledon gewesen? Nun darf die serbische Tageszeitung „Blic“ auf dem Titelblatt „Könglich! „ ausrufen. Die Zeitung „Sportski“ adelt Djokovic“ als „Duke of Wimbledon“.

Dabei war er noch bis vor wenigen Monaten der „Djoker“ gewesen - ein begabter junger Serbe, der das Pech hatte, in seiner Laufbahn auf die Ausnahmekönner Roger Federer und Nadal treffen zu müssen und damit als ewige Nummer drei in die Geschichte einzugehen. Als Tennis-Clown fand Djokovic eine Nische, in der er lange Zeit das Publikum auf seiner Seite wusste. Seine Nadal- und Scharapowa-Parodien wirkten erfrischend, allerdings nicht bei den Kollegen. Die waren „not amused“ und reagierten - wie Roddick - mit Spott auf die zahlreichen verletzungsbedingten Aufgaben des Newcomers.

Verstummt sind die kritischen Stimmen spätestens mit dem Sieg im Davis Cup im Dezember 2010. Vor 18.000 frenetisch jubelnden Fans in Belgrad führte Djokovic Serbien zum ersten Mal nach ganz oben. „Viele können sich gar nicht vorstellen, was dieser Sieg für unser Land bedeutet hat. Wir hatten einen schrecklichen Krieg, wir haben harte Zeiten hinter uns und haben sie noch immer nicht überwunden. Und wir haben ein schlechtes Image. Da kann der Sport vieles verändern“, sagte Djokovic. Es ist ihm anzumerken, dass der Team-Triumph auch seine persönliche Geburtsstunde als Champion war.

48 Siege bei nur einer Niederlage im Halbfinale der French Open gegen Federer stehen für ihn in diesem Jahr zu Buche. Es sei „alles zusammengekommen, der mentale, der körperliche und der spielerische Bereich“, erklärte Djokovic seine Leistungssteigerung.

Auf dem Center Court im All England Club war es besonders erstaunlich, dass Nadal nicht die Kraft besaß, seinen Titel zu verteidigen. Djokovic ist in die ureigensten Bastionen des Spaniers eingedrungen und läuft schneller, länger und dazu geschmeidiger als sein Gegenüber. Der enthronte Spanier konnte sich nur verneigen: „Gut gemacht!“

Ein Ende des Höhenflugs ist noch lange nicht in Sicht. Zwar erreichte Djokovic mit dem Sprung auf Platz eins sein „großes Ziel“ und erfüllte sich mit dem Wimbledonsieg seinen „großen Traum“, doch ist der Rechtshänder noch lange nicht satt. Der Grand-Slam-Sieg in London ist „erst“ sein dritter nach den Australian Open 2008 und

2011. Zum ersten Mal seit dem 2. Februar 2004 steht ein anderer Spieler als Federer oder Nadal an der Spitze der Weltrangliste, und da will Djokovic auch bleiben. Bei den US Open in New York ist er zum ersten Mal in seiner Karriere der Gejagte. Man darf gespannt sein. (sid)