Dem Fifa-Chef ist längst der Sinn für die Realität abhanden gekommen. Dennoch wurde er für weitere vier Jahre in seinem Amt bestätigt.

Hamburg/Zürich. Nun ist es durch: Joseph S. Blatter ist als Fifa-Präsident für weitere vier Jahre wiedergewählt worden. Die Delegierten des Fifa-Kongresses in Zürich wählten den 75 Jahre alten Schweizer am Mittwoch mit 186 der 203 abgegebenen Stimmen für eine vierte Amtszeit. Wahlberechtigt waren 206 der 208 Landesverbände. Blatter hatte bei der Wahl keinen Gegenkandidaten, nachdem Mohamed bin Hammam seine Kandidatur am Wochenende zurückgezogen hatte. Wegen Korruptionsvorwürfen war der Katarer anschließend vorläufig suspendiert worden.

Seinen letzten Fifa-Kongress erlebte dagegen Franz Beckenbauer. Der "Kaiser" ist am Mittwoch offiziell aus dem Exekutivkomitee ausgeschieden und wurde feierlich verabschiedet. "Ich fühle mich jetzt frei wie ein Vogel. Ich werde Ihnen den Engel Aloisius schicken, der normalerweise die bayerische Regierung berät. Ich wünsche der Fifa für die Zukunft weise Entscheidungen“, sagte Beckenbauer. Der Ehrenpräsident des FC Bayern München scheidet auf eigenen Wunsch aus persönlichen Gründen aus der Fifa-Regierung aus. Sein Nachfolger wird DFB-Präsident Theo Zwanziger.

Wer Blatter in diesen skandalösen Tagen von Zürich beobachtet, fühlt sich unweigerlich an die Spätphase historischer Potentaten, Diktatoren und Wirtschaftsmagnaten erinnert. Männer wie Erich Mielke und Muammar al-Gaddafi, oder auch literarisch geformte Gestalten wie Nero und Citizen Kane: Im Moment, da ihr Imperium ins Wanken gerät, wird plötzlich ein Sprung sichtbar. Ein Riss in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit, der für alle anderen offensichtlich ist, aber nicht mehr für sie selbst.

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Als das mutmaßlich hochkorrupte Machtsystem des Fußball-Weltverbandes (Fifa) und seine inneren Verwerfungen in den vergangenen Tagen immer sichtbarer wurden, sagte der 75 Jahre alte Fifa-Präsident: "Wenn jetzt sogar schon die Natur eine Revolte anstrengt, dann ist es auch normal, dass die Menschen eine Revolte anstrengen.“ Ein so bizarrer Vergleich, ein derart wirrer Gedanke, dass man seine Wurzeln lieber gar nicht genauer ergründen möchte. Die verblüffte Weltöffentlichkeit lässt sich mit solchen Aussagen aber womöglich suggerieren, dass die offensichtlich strukturellen Probleme der Fifa demnächst ohne dessen Chef angegangen werden – wer soll diese Skandale, und in diesem angeschlagenen Zustand, schon politisch überleben?

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Das trotz allem zu schaffen, dafür ist kaum jemand besser gerüstet als Joseph Blatter. In 36 Jahren bei der Fifa, davon 17 Jahre als Generalsekretär und 13 Jahre als Präsident, hat er jeden wichtigen Funktionär in 208 Mitgliedsländern kennen- und behandeln gelernt. Er hat Skandale, Ermittlungen und Prozesse unter der für ihn gefährlichen Schwelle gehalten, hat wirtschaftliche und politische Interessen so fein austariert, dass er stets über sichere Mehrheiten verfügte.

Das ruinierte Image der Fifa wird bei diesem Vorhaben kaum stören, aber es ist Blatter nicht egal. Sein eitles Interesse an der Verleihung eines Friedensnobelpreises für die segensreiche Wirkung des Fußballs – und, nebenbei, seines Anführers – ist verbürgt und für Blatter-Kenner auch gar nicht überraschend. Seine über Jahrzehnte geübte Friedens- und Freundschaftsrhetorik ist ebenso sehr das Kalkül eines PR-Experten wie innere Überzeugung. Dass Blatter dieses derzeit eher monströs wirkende Gebilde namens Fifa am liebsten als „Fußball-Familie“ abbildet, ist sehr aufschlussreich. Familie will im Kern Gutes, sie spendet Liebe und Geborgenheit, und wenn es kriselt, wird sie es intern abmachen. Von außen schaut man lieber nicht so genau hin.

Auch an diesem Punkt zeigt sich Blatters Realitäts-Riss. „Wir leben in einer gestörten Welt“, brachte er nach heftigen Angriffen von Journalisten hervor. „Es herrschen leider kein Respekt und auch kein Fair Play mehr“. Beim Thema „Respekt“ sprach der angegriffene Patriarch, der Unterordnung und Verehrung verlangen darf – die Ähnlichkeiten mit dem Bild des Mafia-Paten aus dem Film könnten ihm entgangen sein. Das „Fair Play“ schließlich ist ein schwacher Nachhall aus romantischen Sportzeiten, den auch Blatter selbst nicht mehr ernst nehmen kann.

Wer könnte Joseph Blatter stoppen? Die mehr oder minder ehrenwerten Mitglieder der „Familie“ werden es nicht tun. Neben Fragen der persönlichen Integrität von Fifa-Mitgliedern und Geschäftspartnern kommt auch das System in den Blick. Von Blatters Vorgängern – mit vielen Parallelen zum Internationalen Olympischen Komitee (IOC) – eingerichtet, von Blatter perfektioniert, handelt es sich um ein globales Gebilde mit eigener Legitimität und Rechtsprechung; Supra-National, undurchsichtig, kaum kontrollierbar. Fifa und IOC sind, obwohl sie Milliarden bewegen und globale Machtfaktoren sind, formal Vereine nach dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch. Das hat für beide Organisationen erfreuliche Konsequenzen; vor allem steuerliche und juristische.

Am Ende können nur die großen Landesverbände und die Sponsoren - durchweg „Global Player“ der Wirtschaft – eine Reform der Fifa erzwingen. Genau deshalb unterhält Blatter zu ihnen ein besonders fein gesponnenes Netzwerk, ein besonders haltbares dazu.

+++ Der Fifa-Kongress im Liveticker +++

Die skandalträchtige Wahl zum Präsidenten des Fußball-Weltverbandes findet wie geplant statt. Der Antrag des Englischen Verbandes (FA), die Abstimmung wegen der Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige Fifa-Funktionäre zu verschieben, wurde von den Delegierten auf dem Kongress in Zürich abgelehnt. Der FA-Antrag erhielt 17 Ja-Stimmen, 172 Delegierte votierten dagegen. Damit steht Amtsinhaber Joseph Blatter vor der Wiederwahl. Verfolgen Sie hier das aktuelle Geschehen im Liveticker:

18.04 Uhr: Joseph Blatter bleibt für weitere vier Jahre Fifa-Präsident. Die Delegierten wählten den 75-Jährigen mit deutlicher Mehrheit für eine vierte Amtszeit.

12.50 Uhr: Alles zur Rede von Joseph Blatter vor dem Kongress: Blatters Reformrede: Kongress soll WM vergeben

12.03 Uhr: Der Fußball-Weltverband wird immer reicher: Im WM-Jahr 2010 verzeichnete die Fifa einen Gewinn von 202 Millionen US-Dollar. Einnahmen in Höhe von 1,291 Milliarden standen 1,089 Milliarden an Ausgaben gegenüber. Alleine aus den TV-Rechten generierte der Weltverband in 2010 718 Millionen US-Dollar. Zudem hat die Fifa noch Rücklagen von 1,28 Milliarden US-Dollar.

11.40 Uhr: Präsident Joseph Blatter setzt im Fall seiner Wiederwahl bei der Reform des kriselnden Fußball-Weltverbandes auch auf die Hilfe der brasilianischen Fußball-Legende Pelé. Der 75 Jahre alte Schweizer habe am Dienstagabend mit dem dreimaligen Weltmeister telefoniert, hieß es am Mittwoch vonseiten der Fifa. Pelé habe Blatter seine „enge Zusammenarbeit“ vor allem bei der Vorbereitung der WM 2014 in Brasilien zugesichert.

11.32 Uhr: Mit einem revolutionären Vorschlag hat Fifa-Präsident Joseph Blatter die Delegierten auf dem Kongress des Fußball-Weltverbandes überrascht. „Ich möchte, dass in Zukunft die Organisation der WM vom Kongress der Fifa beschlossen wird“, sagte der 75 Jahre alte Schweizer am Mittwoch in seiner mit Spannung erwarteten Rede vor den Vertretern der 208 Mitgliedsverbände. Bislang wurden die Weltmeisterschaften vom 24-köpfigen Exekutivkomitee vergeben, was immer wieder zu Korruptionsvorwürfen führt. „Es geht jetzt darum, radikale Schritte zu unternehmen und nicht nur kleine kosmetische Verbesserungen“, sagte Blatter.

11.20 Uhr: Dem suspendierten Mohamed Bin Hammam wurde der Zutritt zum Kongress verwehrt. Der Katarer, der ursprünglich bei der Präsidentschaftswahl gegen Amtsinhaber Joseph S. Blatter antreten wollte, konnte bislang keinen Einspruch gegen seine Suspendierung einlegen. Bereits vor der Suspendierung hatte Bin Hammam seine Kandidatur zurückgezogen. „Ich bin sehr traurig darüber, was in den letzten Tagen passiert ist. Ich werde nie akzeptieren, wie ein Name und mein Ruf beschädigt wurden. Ich werde um mein Recht kämpfen“, sagte der 62-Jährige und fügte hinzu: „Ich wurde bestraft, bevor ich schuldig gesprochen bin. Das geht nicht.“ Das Ethik-Komitee der Fifahatte Bin Hammam und Jack Warner, Präsident der Concacaf-Konföderation (Nord- und Mittelamerika und Karibik), am Sonntag wegen Verstößen gegen den Fifa-Ethikcode suspendiert, Blatter dagegen von allen Vorwürfen freigesprochen. Bin Hammam und Warner wird vorgeworfen, Stimmen von Mitgliedern der karibischen Fußball-Union CFU gekauft zu haben.

10.50 Uhr: Die Wahl des Fifa-Präsidenten findet statt. Ein Antrag des Englischen Fußballverbandes (FA) auf Wahlverschiebung scheiterte am Vormittag. 172 der 206 Stimmberechtigten votierten auf dem Fifa-Kongress in Zürich gegen den Antrag. Der amtierende Präsident Blatter ist der einzige Kandidat. FA-Präsident David Bernstein hatte den Antrag damit begründet, dass eine Wahl mit einem Kandidaten wie ein Rennen mit nur einem Pferd sei. „Wir sollten die Wahl verschieben, damit wir einen zusätzlichen Kandidaten finden können. Nur so erhält die Fifa ihre Glaubwürdigkeit zurück“, sagte er. Rückhalt erhielt Blatter unter anderem von den Vertretern aus Haiti, Kongo, Benin, Zypern und den Fidschi-Inseln, die sich mit teils flammenden Appellen für eine Wahl aussprachen.

9.00 Uhr: DFB-Präsident Theo Zwanziger fordert indes eine Überprüfung der skandalumwitterten Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar, bleibt aber auch bei seiner Unterstützung für Fifa-Präsident Joseph S. Blatter. „Ich muss nach dem, was ich höre und lese, davon ausgehen, dass es einen beachtlichen Grad an Verdächtigungen gibt, den man nicht einfach wegschieben kann“, sagte Zwanziger wenige Stunden vor der Wahl des Fifa-Präsidenten im Interview mit dem "ZDF-Morgenmagazin".

Er müsse davon ausgehen, „dass man unter diesem Gesichtspunkt die Vergabe der WM noch einmal überprüfen muss. Wie das zu geschehen hat, dazu will ich mich erst äußern, wenn ich mehr über den Sachverhalt weiß. Ich komme von außerhalb und war nicht Mitglied der Exekutive.“ Mehrere Mitglieder der Fifa-Exekutive, die über die Vergabe der WM-Endrunde an das Emirat entschieden haben, stehen unter Korruptionsverdacht.

Trotz der immer größer werdenden Krise in der Fifa will Zwanziger als Kopf des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am Mittwoch bei der Präsidenten-Wahl in Zürich für Amtsinhaber Joseph S. Blatter stimmen. „Ich kann doch nicht aufgrund von Verdachtsmomenten, die bisher in gar keinem Fall über die Person Blatter sich haben bewahrheiten lassen, sagen, nun ist er nicht mehr wählbar. Er hat sich ordnungsgemäß beworben, er ist der einzige Kandidat, und der Gegenkandidat ist der Korruption verdächtig, nicht Blatter. Solange dies so ist, muss eine Wahl stattfinden, damit die Fifa in der Lage ist aufzuklären“, sagte Zwanziger.

Er erwarte von Blatter „klare Worte“, eine Strukturveränderung und Transparenz. „Ich hoffe, und darin vertraue ich Blatter, dass er bereit und in der Lage ist, dies auch umzusetzen. Eine Alternative gibt es nicht, wir können niemand anderen wählen.“

Eine Enthaltung kommt für Zwanziger nicht infrage. Die englische Initiative sei keine wirkliche Alternative, sagte Zwanziger, „sie macht die Fifa monatelang führungslos und bietet damit keine Grundlage, den Skandal sachgerecht aufzuarbeiten“. Im Interview auf "dfb.de" ergänzte er: „Wir brauchen jetzt sofortige Aufklärung und keine Führungslosigkeit.“

Der DFB-Boss warnte Blatter, sich in Zürich per Akklamation und nicht in einer geheimen Abstimmung wählen zu lassen. „Wir brauchen einen Präsidenten, der mit der Mehrheit der Stimmen gewählt wird, und nicht in einer geheuchelten Wahl. Eine Mehrheit würde Blatter auch helfen und ihn stärken, diese ganz schwere Aufgabe, vielleicht die schwierigste seiner Amtszeit, auch verantwortungsbewusst anzugehen“, sagte Zwanziger. Nach den Eindrücken, die er in Zürich gewonnen habe, gehe er auch bei einer geheimen Abstimmung von einer Mehrheit für Blatter aus.

Unabhängig davon hat die Aufarbeitung der Affäre für Zwanziger absoluten Vorrang. „Es geht meiner Meinung nach vorerst darum, sämtliche Bestechungs- und Korruptionsvorwürfe, die seit Wochen rund um die Fifa kursieren, gründlich zu untersuchen und, so sich Beweise ergeben, konsequent zu handeln“, sagte Zwanziger.

Zudem müssten Prozesse in Bewegung gesetzt werden, um einen solchen Imageschaden, wie er inzwischen entstanden ist, in Zukunft auszuschließen: „Es geht schließlich um die Glaubwürdigkeit der Fifa, ihres Präsidenten und somit des Fußballs auf der ganzen Welt. Da kann und darf es keine Kompromisse geben.“

Zwanziger nimmt am Mittwoch in der Exekutive, der „Regierung“ der Fifa, offiziell den Platz von Franz Beckenbauer ein. Ganz wohl ist ihm dabei nicht. „Natürlich ist da ein etwas ungutes Gefühl. Ich würde schon lieber in ein Gremium einziehen, das auch in der Öffentlichkeit über jeden Zweifel erhaben ist und nur gute Kritiken bekommt. Das ist doch normal. Aber das kann ich mir in meiner Funktion nicht aussuchen“, sagte Zwanziger. Er wolle mitarbeiten, die Fifa transparent zu machen und sprach vom „Krebsgeschwür der Korruption“.

Sollte er aber feststellen, dass das „ernsthafte Bemühen um Aufklärung und Transparenz“ in der Exekutive „an unüberwindbare personelle und strukturelle Grenzen stößt, dann werde ich ganz gewiss mit dem DFB und der Uefa sprechen, ob mein Mitwirken im Exekutivkomitee wirklich sinnvoll ist“, sagte Zwanziger: „Denn verbiegen lasse ich mich auf keinen Fall.“ (sid/dpa)