Präsidenten-Wahl findet trotz Skandalen statt. DFB-Chef Zwanziger will Untersuchung der Vergabe an Katar, Blatter das Verfahren ändern.

Zürich. Mit radikalen Reformen will Verbandschef Joseph Blatter seine taumelnde Fifa vor dem Untergang retten. „Ich bin ein Kapitän in turbulenten Zeiten. Wir haben Schläge eingesteckt und ich persönlich einige Ohrfeigen“, sagte der 75 Jahre alte Schweizer am Mittwoch in seiner mit Spannung erwarteten Grundsatzrede auf dem Kongress des Fußball-Weltverbandes in Zürich. Der Antrag seiner englischen Kritiker, die Wahl des Präsidenten zu verschieben, war zuvor mit klarer Mehrheit abgeschmettert worden. Der erneuten Inthronisierung des angeschlagenen Königs stand nichts mehr im Weg.

„Unser Schiff ist in Schieflage geraten, vielleicht hat es sogar etwas Wasser. Wir müssen alles daran setzen, dass wir auf Kurs bleiben und der Präsident ist dafür bereit“, sagte Blatter in seiner kämpferischen Ansprache zu den Delegierten der 208 Mitgliedsverbände. Auf dem riesigen Podium im Hallenstadion auf dem Züricher Messegelände wirkte der kleine Walliser fast ein wenig verloren, doch lange nicht mehr so angespannt wie noch in den vergangenen Tagen, als er eine Pressekonferenz erbost abbrach und aus dem Saal stürmte.

All die Vorwürfe der Korruption gegen seine Person, gegen hochrangige Mitglieder des Exekutivkomitees, all die Gerüchte um Bestechung bei der Vergabe der WM 2022 an Katar lasteten wie Bleigewichte auf den Schultern des kleinen Mannes. Kritik von Sponsoren, der Öffentlichkeit, einiger Regierungen und die Rufe nach einer kompletten personellen Erneuerung in der schlimmsten Krise der 107-jährigen Fifa-Geschichte hatten Blatter geschwächt.

Am zweiten Kongresstag aber präsentierte sich der ehemalige Mittelstürmer entschlossen und überraschte endlich mit dem einen oder anderen Reformvorschlag. „Ich möchte, dass in Zukunft die Organisation der WM vom Kongress der Fifa beschlossen wird“, sagte er. Also nicht mehr im obskuren Hinterzimmer-Gemauschel des 24-köpfigen Exekutivkomitees, das immer wieder von Korruptionsvorwürfen erschüttert wird und deren Mitglieder Mohamed bin Hammam und Jack Warner zuletzt vorläufig suspendiert wurden. „Es geht jetzt darum, radikale Schritte zu unternehmen und nicht nur kleine kosmetische Verbesserungen“, sagte Blatter.

Weitere Punkte auf der Blatterschen Reformagenda: im Kampf gegen Korruption und Bestechung eine „Lösungskommission“, eine Art Rat der Weisen mit Experten aus verschiedenen Bereichen – allerdings aus der Fußball-Familie, wie es Blatter nannte. Ob dieser Schritt ausreicht, darf nach den jüngsten Skandalen und der Schlammschlacht um Posten, WM-Vergaben oder Geldübergaben ernsthaft bezweifelt werden.

Eine externe Untersuchungskommission, wie sie das Internationale Olympische Komitee nach dem 1998 bekanntgewordenen Skandal um die Vergabe der Olympischen Winterspiele an Salt Lake City 2002 ins Leben gerufen hatte, wäre ein echter Blatter-Befreiungsschlag gewesen. Offen bleibt, wie sich diese Kommission von der Disziplinar- und Ethikkommission abgrenzen und was genau sie untersuchen soll.

Auch die zuletzt wegen der nicht enden wollenden Korruptionsanschuldigungen überarbeitete Ethikkommission soll „gestärkt werden“, wie es Blatter recht vage formulierte. Die Mitglieder des Gremiums sollen nach des Präsidenten Willen künftig ebenfalls vom Kongress gewählt werden. „Die Ethikkommission hat von der Null-Toleranz gesprochen. Aber reicht es, darüber zu sprechen? Nein, es müssen Taten folgen“, rief der Verbandsboss in das Auditorium. „Es muss ein für allemal Schluss sein mit diesen hässlichen Kritiken, der Ruf von uns allen steht auf dem Spiel.“

Die kleine Gruppe der Demonstranten vor dem Gebäude hatte sich da längst verzogen. Im strömenden Regen hatte etwa ein Dutzend Menschen am Morgen Plakate in die Höhe gehalten mit der Aufschrift „Play fair Fifa“ oder „Rote Karte für die Fifa“. Auf einem kleinen Plakat stand: „Sepp verpiss dich, keiner vermisst dich.“ Das wiederum sahen einige Vertreter vor allem kleiner Verbände gänzlich anders.

In einem flammenden Appell richtete sich der Präsident Haitis an den ganzen Saal. Mit bewegter Stimme sagte Yves Jean-Bart: „Wir glauben, dass dieser Mann, der da sitzt, die Kompetenz mitbringt, die Vision mitbringt. Herr Blatter kann der Fifa den Impuls zurückgeben, der nötig ist, um unsere Probleme zu lösen.“ (dpa)

+++ Der Fifa-Kongress im Liveticker +++

Die skandalträchtige Wahl zum Präsidenten des Fußball-Weltverbandes findet wie geplant statt. Der Antrag des Englischen Verbandes (FA), die Abstimmung wegen der Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige Fifa-Funktionäre zu verschieben, wurde von den Delegierten auf dem Kongress in Zürich abgelehnt. Der FA-Antrag erhielt 17 Ja-Stimmen, 172 Delegierte votierten dagegen. Damit steht Amtsinhaber Joseph Blatter vor der Wiederwahl. Verfolgen Sie hier das aktuelle Geschehen im Liveticker:

12.50 Uhr: Alles zur Rede von Joseph Blatter vor dem Kongress: Blatters Reformrede: Kongress soll WM vergeben

12.03 Uhr: Der Fußball-Weltverband wird immer reicher: Im WM-Jahr 2010 verzeichnete die Fifa einen Gewinn von 202 Millionen US-Dollar. Einnahmen in Höhe von 1,291 Milliarden standen 1,089 Milliarden an Ausgaben gegenüber. Alleine aus den TV-Rechten generierte der Weltverband in 2010 718 Millionen US-Dollar. Zudem hat die Fifa noch Rücklagen von 1,28 Milliarden US-Dollar.

11.40 Uhr: Präsident Joseph Blatter setzt im Fall seiner Wiederwahl bei der Reform des kriselnden Fußball-Weltverbandes auch auf die Hilfe der brasilianischen Fußball-Legende Pelé. Der 75 Jahre alte Schweizer habe am Dienstagabend mit dem dreimaligen Weltmeister telefoniert, hieß es am Mittwoch vonseiten der Fifa. Pelé habe Blatter seine „enge Zusammenarbeit“ vor allem bei der Vorbereitung der WM 2014 in Brasilien zugesichert.

11.32 Uhr: Mit einem revolutionären Vorschlag hat Fifa-Präsident Joseph Blatter die Delegierten auf dem Kongress des Fußball-Weltverbandes überrascht. „Ich möchte, dass in Zukunft die Organisation der WM vom Kongress der Fifa beschlossen wird“, sagte der 75 Jahre alte Schweizer am Mittwoch in seiner mit Spannung erwarteten Rede vor den Vertretern der 208 Mitgliedsverbände. Bislang wurden die Weltmeisterschaften vom 24-köpfigen Exekutivkomitee vergeben, was immer wieder zu Korruptionsvorwürfen führt. „Es geht jetzt darum, radikale Schritte zu unternehmen und nicht nur kleine kosmetische Verbesserungen“, sagte Blatter.

11.20 Uhr: Dem suspendierten Mohamed Bin Hammam wurde der Zutritt zum Kongress verwehrt. Der Katarer, der ursprünglich bei der Präsidentschaftswahl gegen Amtsinhaber Joseph S. Blatter antreten wollte, konnte bislang keinen Einspruch gegen seine Suspendierung einlegen. Bereits vor der Suspendierung hatte Bin Hammam seine Kandidatur zurückgezogen. „Ich bin sehr traurig darüber, was in den letzten Tagen passiert ist. Ich werde nie akzeptieren, wie ein Name und mein Ruf beschädigt wurden. Ich werde um mein Recht kämpfen“, sagte der 62-Jährige und fügte hinzu: „Ich wurde bestraft, bevor ich schuldig gesprochen bin. Das geht nicht.“ Das Ethik-Komitee der Fifahatte Bin Hammam und Jack Warner, Präsident der Concacaf-Konföderation (Nord- und Mittelamerika und Karibik), am Sonntag wegen Verstößen gegen den Fifa-Ethikcode suspendiert, Blatter dagegen von allen Vorwürfen freigesprochen. Bin Hammam und Warner wird vorgeworfen, Stimmen von Mitgliedern der karibischen Fußball-Union CFU gekauft zu haben.

10.50 Uhr: Die Wahl des Fifa-Präsidenten findet statt. Ein Antrag des Englischen Fußballverbandes (FA) auf Wahlverschiebung scheiterte am Vormittag. 172 der 206 Stimmberechtigten votierten auf dem Fifa-Kongress in Zürich gegen den Antrag. Der amtierende Präsident Blatter ist der einzige Kandidat. FA-Präsident David Bernstein hatte den Antrag damit begründet, dass eine Wahl mit einem Kandidaten wie ein Rennen mit nur einem Pferd sei. „Wir sollten die Wahl verschieben, damit wir einen zusätzlichen Kandidaten finden können. Nur so erhält die Fifa ihre Glaubwürdigkeit zurück“, sagte er. Rückhalt erhielt Blatter unter anderem von den Vertretern aus Haiti, Kongo, Benin, Zypern und den Fidschi-Inseln, die sich mit teils flammenden Appellen für eine Wahl aussprachen.

9.00 Uhr: DFB-Präsident Theo Zwanziger fordert indes eine Überprüfung der skandalumwitterten Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar, bleibt aber auch bei seiner Unterstützung für Fifa-Präsident Joseph S. Blatter. „Ich muss nach dem, was ich höre und lese, davon ausgehen, dass es einen beachtlichen Grad an Verdächtigungen gibt, den man nicht einfach wegschieben kann“, sagte Zwanziger wenige Stunden vor der Wahl des Fifa-Präsidenten im Interview mit dem "ZDF-Morgenmagazin".

Er müsse davon ausgehen, „dass man unter diesem Gesichtspunkt die Vergabe der WM noch einmal überprüfen muss. Wie das zu geschehen hat, dazu will ich mich erst äußern, wenn ich mehr über den Sachverhalt weiß. Ich komme von außerhalb und war nicht Mitglied der Exekutive.“ Mehrere Mitglieder der Fifa-Exekutive, die über die Vergabe der WM-Endrunde an das Emirat entschieden haben, stehen unter Korruptionsverdacht.

Trotz der immer größer werdenden Krise in der Fifa will Zwanziger als Kopf des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am Mittwoch bei der Präsidenten-Wahl in Zürich für Amtsinhaber Joseph S. Blatter stimmen. „Ich kann doch nicht aufgrund von Verdachtsmomenten, die bisher in gar keinem Fall über die Person Blatter sich haben bewahrheiten lassen, sagen, nun ist er nicht mehr wählbar. Er hat sich ordnungsgemäß beworben, er ist der einzige Kandidat, und der Gegenkandidat ist der Korruption verdächtig, nicht Blatter. Solange dies so ist, muss eine Wahl stattfinden, damit die Fifa in der Lage ist aufzuklären“, sagte Zwanziger.

Er erwarte von Blatter „klare Worte“, eine Strukturveränderung und Transparenz. „Ich hoffe, und darin vertraue ich Blatter, dass er bereit und in der Lage ist, dies auch umzusetzen. Eine Alternative gibt es nicht, wir können niemand anderen wählen.“

Eine Enthaltung kommt für Zwanziger nicht infrage. Die englische Initiative sei keine wirkliche Alternative, sagte Zwanziger, „sie macht die Fifa monatelang führungslos und bietet damit keine Grundlage, den Skandal sachgerecht aufzuarbeiten“. Im Interview auf "dfb.de" ergänzte er: „Wir brauchen jetzt sofortige Aufklärung und keine Führungslosigkeit.“

Der DFB-Boss warnte Blatter, sich in Zürich per Akklamation und nicht in einer geheimen Abstimmung wählen zu lassen. „Wir brauchen einen Präsidenten, der mit der Mehrheit der Stimmen gewählt wird, und nicht in einer geheuchelten Wahl. Eine Mehrheit würde Blatter auch helfen und ihn stärken, diese ganz schwere Aufgabe, vielleicht die schwierigste seiner Amtszeit, auch verantwortungsbewusst anzugehen“, sagte Zwanziger. Nach den Eindrücken, die er in Zürich gewonnen habe, gehe er auch bei einer geheimen Abstimmung von einer Mehrheit für Blatter aus.

Unabhängig davon hat die Aufarbeitung der Affäre für Zwanziger absoluten Vorrang. „Es geht meiner Meinung nach vorerst darum, sämtliche Bestechungs- und Korruptionsvorwürfe, die seit Wochen rund um die Fifa kursieren, gründlich zu untersuchen und, so sich Beweise ergeben, konsequent zu handeln“, sagte Zwanziger.

Zudem müssten Prozesse in Bewegung gesetzt werden, um einen solchen Imageschaden, wie er inzwischen entstanden ist, in Zukunft auszuschließen: „Es geht schließlich um die Glaubwürdigkeit der Fifa, ihres Präsidenten und somit des Fußballs auf der ganzen Welt. Da kann und darf es keine Kompromisse geben.“

Zwanziger nimmt am Mittwoch in der Exekutive, der „Regierung“ der Fifa, offiziell den Platz von Franz Beckenbauer ein. Ganz wohl ist ihm dabei nicht. „Natürlich ist da ein etwas ungutes Gefühl. Ich würde schon lieber in ein Gremium einziehen, das auch in der Öffentlichkeit über jeden Zweifel erhaben ist und nur gute Kritiken bekommt. Das ist doch normal. Aber das kann ich mir in meiner Funktion nicht aussuchen“, sagte Zwanziger. Er wolle mitarbeiten, die Fifa transparent zu machen und sprach vom „Krebsgeschwür der Korruption“.

Sollte er aber feststellen, dass das „ernsthafte Bemühen um Aufklärung und Transparenz“ in der Exekutive „an unüberwindbare personelle und strukturelle Grenzen stößt, dann werde ich ganz gewiss mit dem DFB und der Uefa sprechen, ob mein Mitwirken im Exekutivkomitee wirklich sinnvoll ist“, sagte Zwanziger: „Denn verbiegen lasse ich mich auf keinen Fall.“ (sid/dpa)

Joseph Blatters wunderbare Welt des Fußballs

Von Lars Wallrodt

Sepp Blatter ist ein honoriger Mann, wer könnte das bestreiten? 55 Auszeichnungen und Titel zählt der Fußballweltverband Fifa auf, die dem Präsidenten in seiner beeindruckenden Funktionärskarriere verliehen wurden. Unter anderem ist Blatter Ritter der französischen Ehrenlegion, Träger des Bundesverdienstkreuzes, Ehrenmitglied des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und von Real Madrid, dazu Ehrendoktor diverser Universitäten. Hoch dekoriert allerorts auf der Welt.

Ein Titel fehlt auf der hauseigenen Liste: 1999 erhielt er den "Humane Order of African Redemption" des Staates Liberia. Vielleicht liegt die Nichterwähnung des Ordens an seinem Verleiher: Charles Taylor, damaliger Staatspräsident und derzeit wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag angeklagt, überreichte damals Schärpe und Brustschmuck.

Vielleicht hat Blatter das Händeschütteln mit dem Diktator verdrängt. Vielleicht hat der oberste Hüter des Weltfußballs aber auch getan, was er am besten kann: die Realität beschönigen und modellieren, Fakten weglassen oder hinzufügen; kurzum: eine eigene Wirklichkeit entstehen lassen, die "Blatter-Welt". Welche Gesetze hier gelten, hat er gerade erst wieder gezeigt. Angeschlagen zwar, aber eben erprobt krisenfest. Blatters Aussage "Die berühmte Fifa-Pyramide schwankt, sie ist in ihren Grundfesten erschüttert", mit der er am Dienstagabend den 61. Weltkongress eröffnete, hätte eine prächtige Situationsbeschreibung sein können. Aber schon waren es wieder die bösen anderen: "Wir leben in einer gestörten Welt. Es herrschen kein Respekt und kein Fair Play mehr."

Zum vierten Mal wird sich Blatter an diesem Mittwoch um den höchsten Posten im Fußball bewerben. Anders als vor vier Jahren, als er mangels Gegenkandidaten per Akklamation im Amt bestätigt wurde, musste er diesmal die Schienbeinschoner anlegen. Mohamed Bin Hammam, Geschäftsmann aus Katar und Präsident der asiatischen Fußball-Konföderation, hatte ihm die Stirn geboten und sich zur Wahl gestellt. Für Blatter ist jeder andere Kandidat automatisch ein Feind, die bloße Kandidatur grenzt an Majestätsbeleidigung. Er würde sich sehr wundern, wenn Bin Hammam tatsächlich antreten würde, sagte der Fifa-Präsident im März. Er sollte recht behalten.

Die Chronologie der Fifa-Bestechungsaffäre

In der vergangenen Woche meldete sich US-Funktionär Chuck Blazer beim Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke. Er berichtete von Informationen, nach denen Bin Hammam seine Wahl durch Schmiergeldzahlungen an karibische Funktionäre vorbereitet habe. Der Beschuldigte dementierte umgehend und sprach von einer "Verschwörung". Generalsekretär Valcke aber aktivierte die verbandseigene Ethikkommission. Bevor die allerdings ermitteln konnte, zerrte Bin Hammam auch Blatter vor den internen Kadi. Der Präsident habe von den Bestechungszahlungen gewusst, aber nichts unternommen.

Am vergangenen Sonntag suspendierte die Ethikkommission Bin Hammam und Fifa-Vizepräsident Jack Warner, der das Treffen in der Karibik organisiert hatte. Bin Hammam war den Richtern allerdings zuvorgekommen und hatte schon seinen Rückzug bekannt gegeben. "Ich kann es nicht zulassen, dass das Ansehen der Fifa mehr und mehr in den Schmutz gezogen wird", sagte er. Eine reichlich späte Erkenntnis. Aber nicht das Ende des Skandals. Im Gegenteil: Blatter wurde - wenig überraschend - von allen Anklagepunkten freigesprochen und wird ohne Gegenkandidaten antreten.

Dass eine interne Kommission über derlei brisante Vorwürfe richtet, ist unter anderem dafür verantwortlich, dass die Fifa als Sauhaufen ohne Regulativ angesehen wird. Günter Hirsch, der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs, trat im Januar 2011 aus der Kommission zurück und warf dem Verband vor, kein wirkliches Interesse bei der Aufklärung von Verstößen gegen das Ethikreglement zu haben. DFB-Präsident Theo Zwanziger rügte: "Wenn Leute so ein Fazit ziehen, die die ihnen angedachte Rolle offensichtlich nicht sonderlich intensiv und ernsthaft angegangen sind und anschließend aus ihrem Nichtstun heraus so ein Fazit ziehen, halte ich das nicht für anständig", sagte Zwanziger der "Welt".

Der Ton wird rauer in Zürich. Angesichts der Korruptionsvorwürfe forderte am Dienstag der englische Fußballverband FA eine Verlegung der Wahl. FA-Präsident David Bernstein erklärte, damit solle die Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses gewahrt bleiben und einem möglichen Gegenkandidaten die Chance zur Kandidatur gegeben werden. Währenddessen haben asiatische Delegierte den Kongress "tief empört" verlassen, um gegen die Suspendierung Bin Hammams zu protestieren.

Einige Sponsoren des Weltfußballverbands haben sich besorgt über die Schlammschlacht geäußert. Coca-Cola nannte das Führungschaos "beunruhigend und schlecht für den Sport". Adidas-Sprecher Jan Runau sagte: "Der negative Tenor der öffentlichen Debatte ist weder gut für das Image des Fußballs noch der Fifa und seiner Partner." Auch die Fluglinie Emirates und die Kreditkartenorganisation Visa gaben sich "enttäuscht". Alle wollen jedoch ihre Partnerschaft fortsetzen.

Eine für gestern angekündigte Pressekonferenz, bei der ein ehemaliger hochrangiger Fifa-Offizieller Beweise für die Bestechung von Exekutivmitgliedern im Zusammenhang mit der Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 nach Katar vorlegen wollte, fand zunächst nicht statt. Das Hotel, in dem sie hätte stattfinden sollen, verweigerte angeblich kurzfristig die Bereitstellung eines Saals.

Zu allem Überfluss rief der suspendierte Jack Warner die mittelamerikanischen Fifa-Mitglieder jetzt dazu auf, für Blatter zu stimmen. Am Montag hatte er noch gefordert, der Schweizer müsse "gestoppt" werden. Zudem legte Warner eine E-Mail vor, die ihm Generalsekretär Valcke geschickt hatte. Darin heißt es: "Bin Hammam dachte wohl, er könnte die Fifa kaufen, wie sie die Weltmeisterschaft gekauft haben." Ein eindeutiger Hinweis auf unlautere Geschäfte, die seit der Vergabe des Weltturniers 2022 an den Wüstenstaat Katar als Gerüchte durch die Fifa-Flure geistern? Mitnichten, sagte Valcke, er habe nur gemeint, dass Katar seine "finanzielle Kraft" eingesetzt habe, um Lobbyarbeit zu betreiben.

Dass Blatter trotz der beispiellosen Verwerfungen im Weltverband nicht das Gewissen drückt, erstaunt nur auf den ersten Blick. 1998 wurde der damalige Fifa-Generalsekretär von seinem Vorgänger Joao Havelange in den Posten komplimentiert. Diesen Großmeister der Intrigen wollte Blatter vier Jahre zuvor noch vom Thron stürzen. Damals machte Lennart Johansson, der Präsident des europäischen Verbands Uefa, die Geheimpläne öffentlich und damit zunichte. Havelange arrangierte sich mit Blatter - der soll zu viele schmutzige Details über den Brasilianer gekannt haben, heißt es.

Trotzdem war es ein hartes Unterfangen für Blatter, Fifa-Präsident zu werden. Johansson hatte die jahrzehntelangen Mauscheleien im Weltverband satt und trat an, um für mehr Transparenz zu sorgen. Doch am 8. Juni 1998 gewann Blatter die Wahl überraschend mit 111 zu 80 Stimmen. "Wir haben über Nacht 30 Stimmen verloren. Da muss etwas passiert sein", sagte der Schwede. Tatsächlich behauptete ein Funktionär, er habe gesehen, wie Delegierte vor der Wahl im Pariser Hotel Meridien um Geld angestanden hätten. Der Mann wurde später von einem Schweizer Gericht dazu verurteilt, diese Aussage nicht mehr zu wiederholen. Widerrufen musste er sie nicht. Ausgezahlt haben soll das Geld übrigens Mohamed Bin Hammam; damals noch fest an der Seite Blatters, weil der ihm offenbar sein Erbe versprochen hatte.

Das Gebaren rund um Blatters Inthronisierung steht symptomatisch für die Art und Weise, wie die Fifa funktioniert, seit Havelange 1974 den Verband übernahm. Der Mitbesitzer einer Waffenfabrik etablierte etwas in der Fifa, was er wohl Politik nennen würde, was in Wirklichkeit aber die Perversion davon ist. Als Fußballstar Pelé einst Havelanges Schwiegersohn Ricardo Teixeira, Präsident des brasilianischen Fußballverbands, der Korruption bezichtigte, lud ihn der Fifa-Präsident von der Auslosung der WM 1994 aus.

Unter Havelange wurde die Fifa zum wirtschaftlichen Dickschiff, obwohl sie von der Rechtsform her ein gemeinnütziger Verein und damit nach Schweizer Recht von Steuern befreit ist. Der Verband ist im Besitz des wertvollsten Sportereignisses nach den Olympischen Spielen: der Fußball-Weltmeisterschaft. Alleine für die TV-Rechte der WM 2010 in Südafrika kassierte die Fifa 1,6 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass im vergangenen Jahr ein Gewinn von 140 Millionen Euro übrig blieb.

Die mächtigen Geldströme schafften Begehrlichkeiten, zumal im 24-köpfigen Exekutivkomitee auch Länder wie Kamerun, Trinidad und Tobago, Papua-Neuguinea und die Elfenbeinküste vertreten sind. Zehn der 24 Mitglieder stehen derzeit unter Korruptionsverdacht.

Am Montag sagte Blatter: "Wir sind nicht am Boden, wir sind nur in ein paar Schwierigkeiten. Wir werden die Probleme innerhalb der Fifa-Familie lösen." Ein Schelm, wer dabei an den Film "Der Pate" denkt. Denn es gibt einen Unterschied zur Mafia: Don Corleone hatte seine "Familie" im Griff ...