Borussia Dortmund hat seinen Weg in Richtung Titel fortgesetzt. Doch auch nach dem 4:1 gegen Hannover 96 wehren sich die Westfalen noch immer gegen vorzeitige Glückwünsche.

Dortmund. Den Traumtoren, Standing Ovations und der Ehrenrunde der Sieger von Borussia Dortmund folgten die ersten Glückwünsche zur deutschen Meisterschaft. „Es tut mir leid Kloppo, aber ich muss dir zur Meisterschaft gratulieren“, formulierte Trainer Mirko Slomka von Hannover 96 voller Demut und Respekt nach dem 1:4 (0:0) gegen einen übermächtigen Gegner an die Adresse seines Kollegen Jürgen Klopp, dessen Mannschaft ein Signal für die restlichen sechs Saisonspiele setzte.

Dass der BVB mit dem 20. Saisonerfolg vorzeitig die Qualifikation für die Europa League perfekt gemacht hatte, interessierte niemand der 80.720 Zuschauer in der ausverkauften Arena. „Wer wird deutscher Meister, der BVB Borussia...“ dröhnte es ohrenbetäubend durch das Stadion. Coach Klopp, der weiterhin beharrlich vorzeitigen Glückwünsche verweigert, umarmte jeden seiner Youngster nach einem psychologisch sehr wichtigen Dreier nach zuletzt zwei Partien ohne Sieg.

„Wir wollten ein Zeichen setzen und Gas geben, das haben wir getan“, sagte Nationalspieler Mats Hummels. Die Erleichterung war bei den BVB-Profis, aber auch den Verantwortlichen und Fans gleichermaßen spürbar. „Das hat gut getan heute“, meinte Kevin Großkreutz, der bei der BVB-Gala mit seinem Treffer (83.) nach einer Vorlage des Doppeltorschützen Lucas Barrios (64. und 73.) per sehenswerten Hackentrick für den Schlusspunkt sorgte.

Doch für den Knackpunkt nach einer zähen ersten Halbzeit sorgte Mario Götze. Nur 134 Sekunden nach dem überraschenden Rückstand durch Mohammed Abdellaoue (54.) düpierte der 18-Jährige mit schier unbändigem Willen die gesamte Vierer-Abwehrkette der Niedersachsen und schoss zum Ausgleich ein. Er wurde zum Weckruf für das gesamte Team, dem Hannover im Kampf um einen Champions-League-Platz nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

„Nicht von ungefähr nennen wir ihn manchmal Götzinho“, verriet Hummels. Sportdirektor Michael Zorc sprach von einer „Weltklasse-Einzelleistung“ von Götze, der nach seinem Treffer unter seinem Trikot ein Hemd mit der Nummer 17 des am Saisonende scheidenden Publikumslieblings Dede präsentierte. „Das ist eine großartige Aktion, die zeigt, wie alle fühlen“, meinte Klopp.

Spekulationen über die Qualität des Restprogramms wiegelte Hummels ab: „Solange wir unserer Spiele gewinnen, interessieren uns die Ergebnisse von Leverkusen nicht“, meinte der Innenverteidiger stellvertretend. In Hamburg am kommenden Samstag wolle man „ebenso weitermachen“.

BVB-Coach Klopp war einfach nur „stolz auf die Jungs“. „Wer gesehen hat, wie bei uns nach dem 1:1 der Knopf aufgegangen ist, der hat gemerkt, dass wir uns in der entscheidenden Phase der Saison befinden. Wir versuchen, uns komplett auf uns zu konzentrieren. Das gelingt der Mannschaft in außergewöhnlicher Art und Weise“, so der 43-Jährige.

Die Mini-Krise hat seine BVB-Bubis offenbar ebenso wenig aus der Bahn geworfen wie die schockierende Nachricht am vergangenen Donnerstag vom Sprengstoff-Fund nahe des Stadions. „Das diese junge Mannschaft dann auch mal nervös wird, ist doch klar. Diese drei Punkte waren wichtig, zumindest die Qualifikation für die Champions League wird uns nunmehr schwer zu nehmen sein“, ergänzte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.

Der Zug in Richtung Königsklasse scheint für Hannover nach dem Sturz auf Platz vier hinter Bayern München abgefahren zu sein. „Das ist jetzt nicht dramatisch. Platz drei ist nicht ausgeschlossen, wir sollten ihn auch nicht einfach aus den Augen lassen“, sagte Sportdirektor Jörg Schmadtke, während Coach Slomka „nach 59 guten Minuten“ und anschließenden ungewohnten Fehlern resümierte: „Nach unseren Geschenken hat sich Dortmund in einen Rausch gespielt. Das zeigt die Klasse dieser Mannschaft.“ (von Günter Bork/sid)

Die Statistik

Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Hummels (80. Felipe Santana), Schmelzer - Sven Bender, Sahin - Götze (84. da Silva), Lewandowski (70. Blaszczykowski), Großkreutz - Barrios. - Trainer: Klopp

Hannover: Fromlowitz - Cherundolo, Haggui, Pogatetz, Christian Schulz (60. Chahed) - Schmiedebach (76. Carlitos), Pinto - Stindl, Rausch (46. Schlaudraff) - Ya Konan, Abdellaoue. - Trainer: Slomka

Schiedsrichter: Manuel Gräfe (Berlin)

Tore: 0:1 Abdellaoue (57.), 1:1 Götze (59.), 2:1 Barrios (64.), 3:1 Barrios (73.), 4:1 Großkreutz (83.)

Zuschauer: 80.720 (ausverkauft)

Beste Spieler: Schmelzer, Götze, Barrios - Pogatetz, Pinto

Gelbe Karten: Götze - Schmiedebach (7), Chahed (2)

Torschüsse: 21:8

Ecken: 4:6

Ballbesitz: 50:50 Prozent

Fouls: 5:9

Ergebnisse und Tabelle Fußball-Bundesliga, 28. Spieltag:

Freitag, 01.04.2011: FC St. Pauli – FC Schalke 04 abgebrochen – 88. Min./Stand 0:2

Samstag, 02.04.2011: Werder Bremen – VfB Stuttgart 1:1 (1:1), FSV Mainz 05 – SC Freiburg 1:1 (0:1), Borussia Dortmund - Hannover 96 4:1 (0:0), 1. FC Kaiserslautern – Bayer Leverkusen 0:1 (0:0), Bayern München – Bor. Mönchengladbach 1:0 (0:0), 1899 Hoffenheim – Hamburger SV 0:0

Sonntag, 03.04.2011: 1. FC Köln – 1. FC Nürnberg (15.30), VfL Wolfsburg – Eintracht Frankfurt (17.30)

1. Borussia Dortmund 28 20 5 3 +41 58:17 65

2. Bayer Leverkusen 28 17 7 4 +23 57:34 58

3. Bayern München 28 15 6 7 +26 60:34 51

4. Hannover 96 28 16 2 10 0 40:40 50

5. FSV Mainz 05 28 14 3 11 +8 43:35 45

6. 1. FC Nürnberg 27 12 6 9 +6 42:36 42

7. Hamburger SV 28 12 5 11 -1 43:44 41

8. SC Freiburg 28 11 5 12 -4 35:39 38

9. 1899 Hoffenheim 28 9 10 9 +3 42:39 37

10. FC Schalke 04 27 9 6 12 -2 31:33 33

11. Werder Bremen 28 8 9 11 -16 38:54 33

12. 1. FC Köln 27 9 5 13 -12 37:49 32

13. 1. FC Kaiserslautern 28 8 7 13 -8 36:44 31

14. Eintracht Frankfurt 27 9 4 14 -10 27:37 31

15. VfB Stuttgart 28 8 6 14 -3 47:50 30

16. FC St. Pauli 27 8 4 15 -18 29:47 28

17. VfL Wolfsburg 27 6 9 12 -9 31:40 27

18. Bor. Mönchengladbach 28 6 5 17 -24 38:62 23

Borussia-Dortmund-Fans ließen sich die Stimmung nicht verderben

Nach den vereitelten Sprengstoffanschlägen auf das Dortmunder Stadion haben Polizei und Sicherheitskräfte beim Fußballspiel zwischen Borussia Dortmund und Hannover 96 unauffällig, deeskalierend und gelassen agiert. Auch die Fans und Verantwortlichen der Borussia ließen sich die Stimmung am Samstag nicht verderben. Die Sicherheitskräfte hatten das Match nach intensiven Vernehmungen des Tatverdächtigen wie ein gewöhnliches Spitzenspiel der Bundesliga behandelt.

Ein Ortstermin in der Stadt, deren Verein sich anschickt, Deutscher Meister zu werden: Um elf Uhr beginnt Christian Hockenjos, Doktor der Volkswirtschaftslehre, seinen Arbeitstag entspannt. Ein paar Telefonate führt der Organisationsdirektor von Borussia Dortmund mit den Mitarbeitern, mit denen er in den nächsten Stunden in ständigem Kontakt stehen wird. Vor allem sind da der Fan- und der Sicherheitsbeauftragte, die Leute vom Ticketing und vom Vermarktungspartner sowie diverse externe Dienstleister. „Die haben das wunderbar im Griff – ich komme nur ins Spiel, wenn etwas außer der Reihe geschieht. Und heute sind wir im grünen Bereich.“

13 Uhr, Hauptbahnhof: Rolf Kesternich hat so viele Bundesligaspiele im Stadion gesehen wie wohl kein anderer Fan in Deutschland. 1963 war das erste, im vergangenen Jahr stand er zum 1500. Mal auf der Tribüne. Mittlerweile sind rund 50 Matches dazu gekommen. Kesternich kennt sich aus in der Liga. Nichts, was er nicht gesehen hätte. Er ist Mitglied bei Bayern und Bremen, er liebt die Kölner und die Schalker, er mag sie fast alle, die großen deutschen Fußballmannschaften.

Dortmund? Nee, die möge er nicht. Zu teuer, die gäben ihm nicht mal 'ne Rentnerkarte aus. 60 Euro koste ihm der Spaß gegen Hannover. Alles habe er schon gesehen: Verwaiste Stadien nach dem großen Skandal. Stadien, in denen das Tor umgefallen ist. Fußballspiele im knöcheltiefen Schnee und auf Wasserflächen. Schlägereien zwischen den Ultras, bei denen es sehr blutig zugegangen sei. Aber er sei noch nie in ein Stadion gegangen, von dem es zwei Tage zuvor geheißen habe, ein Bombenleger habe es bedroht.

Das ist ihm egal. Kesternich, der in Köln-Mülheim wohnt, sagt: „Ich habe keine Angst. Das heute Nachmittag lasse ich mir doch nicht von einem Verrückten vermiesen.“ Er reiht sich ein in die Scharen der Fußballpilger, die sich am Hauptbahnhof auf den Weg zur Arena machen.

13.45 Uhr, Borsigplatz: Ein paar Meter vor Rolf bahnen sich Tom und seine Crew den Weg. Tom ist der Richtige, eine Bresche durch Menschenmassen zu pflügen: Einsfünfundneunzig, hundertzehn Kilo. Der Tom habe gesagt, dass man sich wegen der Bomben keine Sorgen machen müsse. Das habe er beim Kölsch-Frühstück in der Zeitung gelesen. Jetzt sei Fußball. „Jetzt fegen wir Hannover vom Platz“, bellt Tom. „Prost!“ Prost! antworten die Kumpels und queren den Borsigplatz. Nicht mehr lang – dann soll hier gefeiert werden.

15 Uhr: Doktor Hockenjos zupft das Sakko zurecht, verabschiedet einen letzten Gesprächspartner und macht sich auf den Weg. Draußen scheint die Sonne auf schwarzgelbe Fanmassen – ein normaler Fußballtag. Jetzt geht Hockenjos erstmal in die Arena und wartet auf den Anpfiff. Dann geht der Puls des Mannes für die Sicherheit zum ersten Mal an diesem Tag auf 150. 90 Minuten lang.

17.05 Uhr. Gleich pfeift der Schiri ab. 4:1, nach einem Rückstand. Wer soll die Jungs eigentlich noch aufhalten? Tom hat keine Stimme mehr. Rolf hakt das Match ab – demnächst geht es zu Köln, da ist alles um die Hälfte billiger. Und Christian Hockenjos? Der macht Small Talk im VIP-Bereich. Alles super gelaufen – nicht einmal hat das Handy gefiept.

Nichts passiert. War ein guter Nachmittag. (Von Detlef Vetten/dapd)