Der Besucher der Haupttribüne streitet den Wurf jedoch ab. Dem FC St. Pauli drohen Strafen durch den DFB. Trainer Stanislawski in Rage.

Hamburg. Nach dem Abbruch des Spiel gegen den FC Schalke 04 wegen eines Becherwurfs drohen dem FC St. Pauli empfindliche Strafen durch den Deutschen Fußballbund (DFB). Zu Wochenbeginn will der DFB seine Ermittlungen aufnehmen, teilte der Verband am Sonnabend mit. Nach Abschluss soll das DFB-Sportgericht über das Ausmaß der Strafe entscheiden. Wahrscheinlich sind eine Geldstrafe, ein "Geisterspiel“ oder eine Platzsperre für den Hamburger Bundesligisten. Die Entscheidung fußt auf Ermittlungen des DFB-Kontrollausschusses. „Dem müssen und dem werden wir uns stellen“, sagte St. Paulis Sportchef Helmut Schulte. Schiedsrichter Deniz Aytekin hatte das Bundesliga-Heimspiel der Kiezkicker am Freitag gegen Schalke beim Stande von 0:2 in der 89. Minute abgebrochen, nachdem sein Assistent Thorsten Schiffner von einem gefüllten Bierbecher im Nacken getroffen worden war. Es gehe ihm den Umständen entsprechend, berichtete Aytekin am Freitag über seinen Linienrichter.

Eine knappe Stunde nach Spielende wurde noch im Millerntorstadion ein Tatverdächtiger dingfest gemacht und auf einer benachbarten Polizeistation vernommen. Sitznachbarn auf der Haupttribüne hatten den Ordnern Hinweise auf den mutmaßlichen Becherwerfer gegeben. Der 43 Jahre alte Mann streitet die Tat bislang ab, nun werden weitere Zeugen gesucht, die den Verdacht durch ihre Aussagen erhärten können. Der FC St. Pauli will selbst zur raschen Aufklärung beitragen. "Wir sammeln alle Hinweise", sagte Pressesprecher Christian Bönig am Sonnabend. Dazu gehörten auch Videoaufzeichnungen aus dem Stadion. Sollte dem 43-Jährigen bewiesen werden, den Becher geworfen zu haben, wolle der Verein sämtliche Regressansprüche geltend machen.

+++ Berühmte Spielabbrüche +++

Als wahrscheinlich gilt eine hohe Geldstrafe. Ein Wiederholungsspiel am Millerntor wäre nur in Betracht gekommen, wenn die Gastgeber beim Spielabbruch in Führung gelegen oder es Unentschieden gestanden hätte. Auch über die endgültige Wertung des Spiels wird am grünen Tisch entschieden werden. Am Endstand von 0:2 für Schalke dürfte sich allerdings nichts ändern. Dass Schiedsrichter Aytekin mit dem Abbruch des Spiels richtig lag, bestätigte der ehemalige Schiedsrichter-Lehrwart des DFB, Eugen Strigel. Wenn der Schiedsrichter oder einer seiner Assistenten durch Fremdeinwirkung zu Boden gehe, sei das Spiel abzubrechen, sagte Strigel. Auch sonst habe Aytekin bei seinen Entscheidungen in der schwierig zu leitenden Begegnung richtig gelegen. Auch Aytekin selbst stellte klar, er habe "keine andere Wahl“ gehabt, als das Match vorzeitig zu beenden. Und der Referee kündigte an, den zum Spielabbruch führenden Vorfall im Spielbericht zu dokumentieren. "Alles andere wird dann das Sportgericht entscheiden“, ergänzte er.

Die Verantwortlichen des FC St. Pauli haben sich unterdessen für die Vorfälle entschuldigt. „So etwas geht gar nicht, da gibt es null Toleranz. Ich kann mich nur bei dem Linienrichter entschuldigen“, sagte St. Paulis Trainer Holger Stanislawski am Freitagabend nach der Begegnung.

+++ Sportchef Schulte: "Wir werden nicht die Flinte ins Korn werfen" +++

"Ich bin sehr enttäuscht, dass das passiert ist und kann mich im Namen des FC St. Pauli nur entschuldigen“, betonte auch Sportchef Helmut Schulte. Er wies in dem Zusammenhang aber auch darauf hin, dass gerade die St. Pauli-Fans in Fußball-Deutschland einen guten Ruf genießen. "Für sie muss ich hier auch eine Lanze brechen. 99 Prozent von ihnen sind absolut in Ordnung, natürlich ist aber auch immer mal das eine oder andere schwarze Schaf darunter“, erklärte Schulte.

Stanislawski will sich keinen Illusionen hingeben, das Verhalten der "Vollpfosten" ändern zu können. Dennoch richtete er klare Worte an die Störenfriede. "An alle weltweit, die sich nicht unter Kontrolle haben: Bleibt zuhause, schaut dort das Spiel und werft Euer Bier gegen den Fernseher!" Ungeachtet der Würfe einzelner Zuschauer, die sich in Form von Münzen, Feuerzeugen und Bechern über das ganze Spiel ereigneten, hatte Stanislawski gegen Schalke die "beste Stimmung erlebt, an die ich mich seit Langem erinnern kann".

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Dass Schalke, das zum Zeitpunkt des Abbruchs durch Tore von Raul (26. Minute) und Julian Draxler (66.) geführt hatte, die sportlich fast schon gewonnenen Punkte nachträglich am Grünen Tisch zugesprochen bekommt, gilt als sicher. Dem FC St. Pauli, der nach der sechsten Niederlage in Serie tief im Abstiegsstrudel steckt, droht dagegen weiteres Ungemach: Eine saftige Geldstrafe und möglicherweise ein sogenanntes „Geisterspiel“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

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Schluss! Aus! Vorbei! In der 88. Minute signalisierte Schiedsrichter Deniz Aytekin das vorzeitige Ende mit einer eindeutigen Handbewegung. Spielabbruch am Millerntor, nachdem Schiedsrichter-Assistent Thorsten Schiffner von einem vollen Bierbecher am Hinterkopf getroffen worden war, zu Boden fiel und danach benommen am Spielfeldrand stand.

"Die Spieler werden marschieren, bis ihnen die Augen nach hinten klappen", hatte Holger Stanislawski vor der Partie prophezeit. Eine Fehleinschätzung. Man ließ sie nicht bis zur 90. Minute kämpfen. Ein unrühmliches Ende, dem mindestens ein Feuerzeug und weitere als Wurfgeschosse zweckentfremdete Plastikbecher folgten. Den FC St. Pauli erwartet ein empfindliches Nachspiel.

Verloren war die Partie gegen den FC Schalke 04 zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon. Nach Toren von Raúl und Draxler hatte es zum Zeitpunkt des Abbruchs 0:2 gestanden, die Hamburger waren nach den Platzverweisen gegen Jan-Philipp Kalla (Gelb-Rot, 68.) und Fin Bartels (Rot, 79.) ohnehin nur noch zu neunt. Doch die sechste Niederlage in Serie mündete nicht in Enttäuschung, sie endete mit einem Eklat. "Das ist ärgerlich und traurig", resümierte ein sichtbar niedergeschlagener Helmut Schulte. Der Sportchef des FC St. Pauli versuchte gar nicht erst, das peinliche Ende schönzureden oder die Entscheidung des Unparteiischen zwei Minuten vor dem regulären Abpfiff gar infrage zu stellen. "So etwas geht gar nicht. Ich kann mich nur bei Thorsten Schiffner für diesen Vollhonk entschuldigen", fand auch Stanislawski die richtigen Worte, während Schulte im Namen des Klubs in der Schiedsrichterkabine vorstellig wurde. Schiffner wurde dort sofort von einem Arzt versorgt. "Es geht ihm den Umständen entsprechend gut", berichtete Aytekin, der "den Vorgang erst mal verarbeiten" muss.

Der siebte Spielabbruch der Bundesligageschichte und erste in der langen Millerntor-Historie wird den Verein Sympathien kosten, wenngleich Schulte versicherte, "dass 99 Prozent der Besucher hier ein Fest feiern wollten. Es wäre falsch, jetzt alle unsere Fans in Sippenhaft zu nehmen." Dass diese unmittelbar nach der Aktion ein stimmungsvolles "Wir sind Zecken, asoziale Zecken" anstimmten, wollte da nicht in das von allen Beteiligten gezeichnete Bild von Demütigkeit und Schuldbewusstsein passen. "Eine Atmosphäre wie hier gibt es kaum woanders in Deutschland. Das sind englische Verhältnisse. Ich habe mich immer gefreut, hier Gast sein zu dürfen", sagte Schalkes Trainer Ralf Rangnick, der eine Lanze für die braun-weiße Anhängerschaft brach: "Es wäre bedauerlich, wenn wegen dieser Idioten die ganze Fankultur in Mitleidenschaft gezogen wird. Ich habe diese Fans hier am Millerntor immer sehr geschätzt. Das ist wirklich schade."

Nicht ausgeschlossen, dass diese beim kommenden Heimspiel in drei Wochen gegen Werder Bremen vor verschlossenen Türen stehen werden. Ein sogenanntes Geisterspiel vor leeren Tribünen oder die Austragung einer Heimpartie auf neutralem Platz sind zwei von vielen möglichen Varianten, die als Konsequenz drohen. "Ich glaube, dass uns da nichts passiert", hofft Torwart Benedikt Pliquett, der sich nach dem Abbruch wild gestikulierend mit dem eigenen Anhang anlegte und die Schiedsrichter schützte. "Wir werden abwarten, was da vom DFB kommt. Ich bin nicht so regelsicher, als dass ich jetzt abschätzen kann, was genau da jetzt wahrscheinlich ist. Aber mittlerweile ist es ja gang und gäbe, dass in deutschen Stadien Gegenstände auf das Feld fliegen und Verletzungen von Beteiligten in Kauf genommen werden", kritisierte Stanislawski.

Sechs Niederlagen, sieben verletzte Abwehrspieler und ein eindeutiger Trend in Richtung Zweite Liga. Es sind schwere Zeiten, die der Kiezklub aktuell durchmacht. Der unrühmliche Vorgang vom Freitag bedeutet den vorläufigen Tiefpunkt. Immerhin: Ein Verdächtiger, bei dem es sich um den Werfer von der Haupttribüne handeln soll, wurde bereits gefasst, muss nun aber noch anhand von Zeugenaussagen und möglicherweise Videoaufnahmen identifiziert werden.

Mit Material von dpa und sid