Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel im Interview mit dem Abendblatt über seine Chancen und Sorgen um die Sicherheit.

Melbourne. Mit dem Rennen in Melbourne startet an diesem Wochenende für Weltmeister Sebastian Vettel, 23, die Operation Titelverteidigung. Im Abendblatt-Interview zeigt er sich höchst zuversichtlich.

Abendblatt:

Sie haben mit 19 Jahren in der Formel 1 debütiert, ein Jahr später, 2008, gewannen Sie Ihr erstes Rennen. In der darauffolgenden Saison waren es schon vier Siege, und im Vorjahr holten Sie Ihren ersten WM-Titel. Haben Sie manchmal Angst davor, dass es für Sie nicht immer weiter nach oben gehen kann?

Sebastian Vettel:

Ich schaue nicht auf meine Karriere zurück und denke: Toll, was ich schon alles erreicht habe. Ich weiß, dass ich weiter an mir arbeiten muss. Ich habe im Vorjahr Fehler gemacht, und ich habe mir das Ziel gesteckt, dass ich diese Fehler nicht mehr mache und überhaupt Fehler vermeide. Man sagt, dass es für einen leichter wird, wenn man einmal Weltmeister geworden ist. Ich glaube auch, dass mich der Titel innerlich viel lockerer gemacht hat.

Ist die Jagd nach Titeln der größte Ansporn für Sie?

Vettel:

Nein. Mich macht mein Job sehr zufrieden. Das ist mir nach der letzten Saison bewusst geworden, die physisch und psychisch sehr stressig war. Als die Räder im Januar stillstanden, habe ich gemerkt, wie sehr ich das Rennfahren vermisst habe, die Atmosphäre an der Strecke, mein Team. Schon während der Testfahrten hat es bei mir wieder gekribbelt.

Was haben Sie genau vermisst?

Vettel:

Die Leute denken wahrscheinlich, was hat der für einen monotonen Job, bis auf das Reisen vielleicht. Aber die Arbeit mit einem Rennauto ist total abwechslungsreich. Ständig werden neue Teile eingebaut und Details verändert. Als Fahrer musst du eine Vorstellung davon bekommen, wie neue Teile miteinander funktionieren könnten. Die Formel 1 ist deshalb so spannend für mich, weil selbst das schnellste Auto noch irgendein Problem haben kann. Das zu lösen motiviert mich.

Michael Schumacher schlug nach seinen anfänglichen Erfolgen im Fahrerlager auch Antipathie entgegen. Sie sind trotz des Erfolges beliebt. Wie erklären Sie sich das?

Vettel:

Ich bin noch jung und fahre für ein junges Team, das vor ein paar Jahren noch niemand ernst genommen hat. Vielleicht liegt unsere Beliebtheit daran, dass man uns unterschätzt hat. Vielleicht wird sich das jetzt ändern. Ich denke, dass es die generelle Tendenz gibt, mit dem Underdog zu halten.

Wie beurteilen Sie Ihr Standing unter Kollegen?

Vettel:

Es gibt einen großen Respekt, einen netten Umgang untereinander. Da wurden früher im Fahrerlager vielleicht mehr Spielchen gespielt. Heute macht jeder sein Ding. Das soll nicht abwertend klingen, aber unser Job ist mittlerweile so komplex geworden, dass wir kaum Zeit haben für tiefer gehende Kontaktpflege.

Finden Sie das schade?

Vettel:

Es ist so, wie es ist. Ich kann nicht mit den Kollegen in die Kneipe gehen, wie das offenbar vor 30, 40 Jahren der Fall war. Wir Fahrer sind uns nicht mehr so nah, jeder führt sein eigenes Leben, aber ich will mich nicht beklagen. Dafür müssen wir nicht ständig im Cockpit um unser Leben fürchten.

Man sieht Sie im Fahrerlager oft im Laufschritt. Fühlen Sie sich verfolgt?

Vettel:

Sieht das so aus? Nein, überhaupt nicht. Ich habe nur so wenig Zeit, und es gibt so viele Leute, die etwas von mir wollen. Ich bin ein Harmoniemensch, aber leider kann ich nicht die Wünsche aller Fans erfüllen, das macht mich manchmal traurig, der Laufschritt ist wohl die Konsequenz daraus.

Wie kommen Sie mit diesem Stress klar?

Vettel:

Ich habe positiven Stress. Wer kann schon behaupten, in seiner Heimatstadt von Zehntausenden empfangen zu werden oder vor Hunderttausenden vor dem Brandenburger Tor eine Ehrenrunde zu drehen. Aus diesen Erinnerungen schöpfe ich viel Energie.

Sie sind der jüngste Weltmeister der Formel-1-Geschichte, verdienen Millionen und werden von Millionen bewundert. Fühlen Sie sich als Vorbild?

Vettel:

Nein, das will ich nicht sein, und ich weiß auch nicht, ob ich dazu tauge. Ich hoffe, dass mich die Leute so natürlich wahrnehmen, wie ich bin. Ich habe nicht vergessen, wo ich herkomme und wer meine wahren Freunde sind. Es gibt mir nichts, wenn ich Poster oder Plakate von mir auf der Straße sehe. Wenn mir die Leute zujubeln, macht es mich stolz. Und zu den Millionen: Ich habe mit diesem Sport nicht angefangen, weil man da viel Geld verdienen kann.

Ein Held möchten Sie auch nicht sein?

Vettel:

Das bin ich noch weniger. Helden haben etwas Großes geleistet für ihren Sport oder für eine andere wichtige Sache. Michael ist ein Held für mich. Er hat der Formel 1 viel gegeben, sie hat sich durch ihn weiterentwickelt. Ich bin erst einmal Weltmeister geworden.

In dieser Saison sehen sich die Fahrer besonders großen Herausforderungen gegenüber: die neuen Reifen, der verstellbare Heckflügel.

Vettel:

Die vielen Knöpfe im Cockpit sind eine Herausforderung. Es gibt jetzt viel mehr, worauf du achten musst. Bei Tempo 300 kann das gefährlich werden. Wenn es von der Sicherheit Bedenken gibt, müssen wir Piloten sofort unseren Mund aufmachen. Ich bin mir sicher, dass wir auch bei der Fia (Automobilweltverband, d. R.) Gehör finden.