Die HSV-Handballer gewannen das Spitzenspiel bei den Füchsen Berlin überraschend deutlich mit 35:22 (19:9) und kommen der Meisterschaft näher.

Berlin. Sieben Minuten waren noch zu spielen, da lehnte sich Berlins Nationaltorhüter Silvio Heinevetter an den rechten Pfosten, glitt langsam an ihm herunter, und als er mit dem Gesäß auf dem Hallenboden angekommen war, schüttelte er fassungslos den Kopf. Fast jeder Wurf auf seinen vernetzten Arbeitsplatz führte an diesem Nachmittag in der Max-Schmeling-Halle zu einem Treffer. Gerade vier Paraden standen am Ende in seiner Statistik, eine bei seinem Kollegen Petr Stochl zu Buche. "Das war unterirdisch von uns", bekannte Heinevetter später nach dem überraschend deutlichen 35:22-(19:9-)Erfolg des HSV Hamburg im Bundesliga-Spitzenspiel bei den Füchsen Berlin.

Heinevetters Einschätzung war nur ein Teil der Wahrheit. Der andere war die beste Saisonleistung des HSV, eine Galavorstellung zu Beginn der entscheidenden Meisterschaftsphase. Berlin, hatte HSV-Handball-Präsident Andreas Rudolph vor der Begegnung gesagt, werde der Lackmustest für die Titelreife seines Teams. Hinterher verriet seine Miene, dass die Hamburger ihn mit Bravour bestanden hatten. "Ich habe diesmal nichts zu kritisieren", sagte Rudolph, "halten wir diese Form, werden wir unsere Saisonziele erreichen." Schon während des Spiels hatte der Präsident, Sponsor und Mäzen einen ungewohnt entspannten und zufriedenen Eindruck hinterlassen.

Der Begegnung beim zu Hause zuvor unbesiegten Tabellendritten, dem ersten von vier schweren Auswärtsspielen bei den nächsten Verfolgern, hatten die Hamburger zuvor das Attribut richtungweisend verliehen. Die Art, wie der HSV diese Aufgabe löste, dürfte der Mannschaft den letzten Rest innerer Überzeugung vermittelt haben, dass sie auch mental für die im April und Anfang Mai anstehenden Aufgaben in Flensburg, Kiel und bei den Rhein-Neckar Löwen in Mannheim gerüstet ist. "Wir sind an einem übermächtigen Gegner gescheitert", sagte dann auch Berlins Geschäftsführer Hans Robert "Bob" Hanning, der bis zum 2. Mai 2005 den HSV trainiert hatte. "Wir haben eben nicht die Qualität im Kader, die der HSV hat. Das war eine zum Teil eindrucksvolle Demonstration der Stärke. Auf diesem Niveau können wir nur spielen, wenn absolut alles passt."

Diesmal passte wenig, manchmal nichts. Die HSV-Angriffe waren von einer atemberaubenden Effektivität. 35 der 42 Würfe auf das Berliner Tor fanden ihr Ziel, die Quote von 83 Prozent ist ein Saisonbestwert. Und das gegen eine Abwehr, die in der Vorrunde als eine der besten der Bundesliga galt. Gegen den HSV fehlten den Berlinern die nötige Aggressivität, Abstimmung und der Wille zum Zupacken. Die Hamburger öffneten sich immer wieder spielerisch leicht Lücken im Deckungsverbund der Füchse, allen voran Spielmacher Michael Kraus, der neunmal aufs Tor warf und achtmal traf. Pascal Hens, sechs Würfe, vier Tore, stand ihm wenig nach und brillierte zudem mit Übersicht und Anspielen. Im Unterschied zur 27:31-Niederlage im Dezember im Pokalachtelfinale in Berlin hielten die Hamburger ihre Konzentration trotz einer Halbzeitführung mit zehn Toren Vorsprung bis zum Schluss hoch. Berlins Trainer Dagur Sigurdsson sprach von einer "Lehrstunde".

"Alle wussten, worum es heute ging", sagte Kreisläufer Bertrand Gille, "und was wir uns vorgenommen hatten, keinen Meter Boden preiszugeben, haben wir dann auch hervorragend umgesetzt." Und Linksaußen Torsten Jansen ergänzte: "Alle waren am Mann, jedes Zahnrad passte ins andere. Wir waren von Beginn an wach und haben das bis zum Ende durchgezogen." HSV-Trainer Martin Schwalb verbrachte deshalb einen ruhigen Nachmittag an der Seitenlinie. Nur selten musste er korrigierend eingreifen. Entsprechend positiv fiel sein Fazit aus: "Vor der Partie hatten wir gehörigen Respekt vor den Füchsen. Zu Beginn des Spiels aber konnten wir durch eine gute Abwehrarbeit viele Bälle gewinnen und hatten immer eine Antwort parat. 22 Gegentore sind auswärts eine hervorragende Marke. Wir sind sehr zufrieden." Dass dem 23. Saisonsieg im 25. Spiel besondere Bedeutung zukommt, weit über den Gewinn von zwei Punkten hinaus, strich Michael Kraus heraus: "Für unseren weiteren Weg haben wir jetzt ein Ausrufezeichen gesetzt. Wir sind jetzt in der heißen Phase, da ist jedes Spiel ein Endspiel."

Neun Spieltage vor dem Saisonende ist der Kampf um die deutsche Meisterschaft wie in den vergangenen Jahren zu einem Duell zwischen dem HSV und Titelverteidiger THW Kiel geworden. Die Kieler überzeugten bei ihrem 38:26-Sieg über die SG Flensburg-Handewitt ähnlich wie die Hamburger in Berlin. "Was Kiel macht, muss uns nicht interessieren", sagte Kraus, "wir sind in der Vorhand, haben vier Punkte Vorsprung und bestimmen alles selbst. Das ist ein gutes Gefühl."

Tore, Füchse Berlin: Christophersen 5, Richwien 4, Kubisztal 3 (1 Siebenmeter), Löffler 2, Laen 2, Sellin 2, Petersson 2, Wilczynski 1, Bult 1 (1); HSV Hamburg: Kraus 8, Lindberg 6 (3), Jansen 4, Hens 4, Duvnjak 3, M. Lijewski 3, Schröder 2, Vori 2, K. Lijewski 2, B. Gille 1. Schiedsrichter: Bernd und Rainer Methe (Vellmar). Zuschauer: 9000. Zeitstrafen: 1; 1. Siebenmeter: 6 (2 verwandelt); 3 (3).