Schalkes Keeper wurde beim 1:0-Sieg im Halbfinale in München von den Bayern-Fans ausgepfiffen. Dem Meister droht eine verpatzte Saison.

München. Er war die Figur des Spiels, obwohl er eigentlich gar nicht viel zu tun hatte. Viel wurde im Vorfeld geschrieben über Torhüter Manuel Neuer. Die Nummer 1 des FC Schalke 04 und der deutschen Fußball-Nationalmannschaft wird schon seit langem mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht. Neuer machte keinen Hehl daraus, dass das Münchner Interesse ihn schmeichele. Der 23-Jährige betonte aber ebenfalls, sich voll auf die Aufgabe beim FC Schalke zu konzentrieren. So wie am Mittwochabend in der Münchner Allianz-Arena im DFB-Pokal-Halbfinale bei den Bayern.

Mit Spannung war das Duell zwischen der aktuellen Nummer eins des deutschen Rekordmeisters, Thomas Kraft, und der möglichen zukünftigen Nummer eins, Manuel Neuer, erwartet worden. Für den ersten großen Aufreger sorgten dann bereits vor der Partie die Fans der Münchner. Mit einer Plakataktion drückten die Anhänger des FCB aus, was sie von einem Transfer des Torhüters an die Isar halten würden: "Koan Neuer" stand auf tausenden Transparenten, welche direkt hinter dem Schalker Tor in die Höhe gehalten wurden. Die Bayernfans haben wohl nicht vergessen, wie Neuer vor zwei Jahren nach einem 1:0-Sieg bei den Münchnern völlig losgelöst mit der Eckfahne jubelte - in Anlehnung an eine identische Aktion des langjährigen Bayern-Keepers Oliver Kahn im Mai 2001, nachdem Schalke den schon sicher geglaubten Meistertitel in letzter Sekunde an die Münchner verlor. Neuer stand damals noch als Fan im alten Schalker Stadion.

Nach dem 1:0-Sieg im Pokalhalbfinale am gestrigen Mittwoch hatten viele Experten eine ähnliche Aktion erwartet. Doch Neuer blieb ruhig. Genau wie in den 93 Minuten zuvor, in denen er mit großer Ruhe und Souveränität den Schalker Strafraum unter Kontrolle behielt. Ob beim Kopfball von Bastian Schweinsteiger oder der Großchance durch Franck Ribery kurz vor Schluss - Neuer stand immer richtig und vergrub jeden Ball unter seinen großen Händen. "Ich denke ich habe ein sehr seröses Spiel gemacht", sagte Neuer, der sich weniger über den Coup gegen die Bayern als vielmehr über den Finaleinzug freute: „Wir freuen uns tierisch, dass wir im Finale in Berlin stehen“, jubelte Neuer, der sich von der unübersehbaren Antiphatie gegen seine Person überhaupt nicht irritieren ließ. „Wichtig war, dass ich auf den Ball gucke und auf keine Transparente“, so der derzeit wohl beste Torhüter der Welt.

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Vier Tage nach dem 1:3 gegen Borussia Dortmund verloren die Münchner gegen die „Königsblauen“ erstmals seit dem 17. August 1991 und 25 Partien wieder ein Pokal-Heimspiel. Vor 69.000 Zuschauern erzielte der Spanier Raúl in der 15. Minute das Siegtor für das Team von Felix Magath, der eine triumphale Rückkehr an die frühere Wirkungsstätte feierte. Im Finale am 21. Mai gegen den Zweitligisten aus Duisburg können die Gelsenkirchener eine durchwachsene Saison retten und sogar mit einem Titel krönen.

Die Bayern-Fans harrten noch weit nach dem Spiel im Stadion aus und pfiffen die Schalker während des Auslaufens aus. Vor allem Manuel Neuer wurde dabei zum Teil heftig beschimpft. Die Entschuldigung folgte schnell: „Ich finde das nicht okay. Der FC Bayern und das ganze Land Bayern sind bekannt für Gastfreundschaft – und der Junge hat dem FC Bayern überhaupt nichts getan", sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hinterher: „Er hat sich nicht einmal über Bayern München negativ geäußert. Ich muss sagen, diese Reaktion kann ich nicht verstehen und akzeptiere sie auch nicht. Ich möchte mich bei Manuel Neuer im Namen des FC Bayern entschuldigen.“

Nach dem zweiten Titel-K.o. innerhalb von fünf Tagen warnte Rummenigge zudem vor Aktionismus: „Wir tun jetzt gut daran, zu versuchen, Ruhe zu bewahren“, sagte er nach der schmerzhaften Niederlage gegen die Elf von Trainer Felix Magath. Eine Diskussion über Trainer Louis van Gaal führe er nicht, „und ich habe auch nicht den Eindruck, dass sie sonst jemand beim FC Bayern führt“.

Der erfahrene van Gaal weiß um die gnadenlosen Automatismen des Fußballgeschäftes. „Wenn sie zweimal hintereinander sehr wichtige Spiele verlieren, dann wird immer diese Frage gestellt“, sagte der 59-Jährige zur neu entflammten Debatte um ihn und seinen Job. „Das muss der Vorstand entscheiden – nicht ich“, ergänzte van Gaal: „Ich mache meine Arbeit – und ich denke, dass ich das gut mache.“

Für Magath war es ein erneuter Triumph über seinen ehemaligen Arbeitgeber. Zwischen 2004 und 2007 arbeitete der 57-Jährige als Trainer an der Säbener Straße und gewann zweimal das Double, bevor er vorzeitig entlassen wurde. Bereits mit dem VfL Wolfsburg demütigte er seinen Ex-Klub im April 2009, als er die Münchner mit 5:1 aus dem Stadion schoss und die Bayern zudem vorführte, als er in der Schlusshase seinen damaligen Ersatztorhüter Andre Lenz einwechselte. Nun also der nächste Coup. Von Schadenfreude war bei Magath, zumindest nach außen, jedoch keine Spur. Nüchtern analysierte er das Spiel: "Wir wussten, dass wir eine Chance kriegen würden, auch wenn wir in der zweiten Halbzeit nicht mehr viel für das Spiel getan und nur noch verteidigt haben. Das Finale in Berlin ist etwas ganz Lohnendes, und ich freue mich, dass wir es erreicht haben.“ Die Freude entlud sich nach dem Schlusspfiff vor allem bei Co-Trainer Bernd Hollerbach, der Magath auf die Schultern hüpfte, wobei der Chefcoach seine Brille verlor. Und das nur vier Tage nach dem Dortmunder Sieg in München, bei dem BVB-Trainer Jürgen Klopp ebenfalls im Gefecht des Jubels seine Sehhilfe verlor.

Bei den Bayern hingen nach der überraschenden Pleite die Köpfe tief. Rummenigge stellt sich bereits auf eine Saison ohne Titelgewinn ein: „Wir sollten nicht anfangen zu träumen und jetzt die Parole ausgeben: 'Jetzt muss man Champions-League-Sieger werden'“, sagte er. Im Ringen um die erneute Champions-League-Qualifikation erklärte Kapitän Philipp Lahm die Auswärtspartie am Sonnabend in Hannover zum „vielleicht wichtigsten Spiel in der Saison“. Die Saison sei „schwer zu retten“, so Lahm.

Ratlosigkeit! Untergangsstimmung! Auch Auflösungserscheinungen? „Nein“, versicherte Sportdirektor Christian Nerlinger am Donnerstag: „Das Weltuntergangs-Szenario ist bei uns nicht existent.“ Das könnte sich bei einer weiteren Niederlage in Hannover akut ändern. Schließlich hatte Präsident Uli Hoeneß angekündigt, dass er „unruhig“ werde, wenn die Champions-League-Qualifikation in Gefahr gerate: „Das war ja auch bei Klinsmann so“, erinnerte er an den Rauswurf des ehemaligen Bundestrainers vor knapp zwei Jahren.

„Unser Ziel ist der zweite Platz, das ist immer möglich. Und wir sind noch in der Champions League“, sagte van Gaal. Die Königsklasse als Joker? Rummenigge stellt sich eher auf eine Saison ohne Titelgewinn ein: „Wir sollten nicht anfangen zu träumen und jetzt die Parole ausgeben: 'Jetzt muss man Champions-League-Sieger werden'“. Platz zwei in der Liga bleibt die wichtigste Vorgabe für van Gaal, Rang drei als Notnagel wäre „schwer verdaulich“, erklärte Nerlinger. Und wenn es in Hannover wieder schiefgeht? „Ich will jetzt keine Szenarien, was wäre wenn...“

Die Statistik

München: Kraft - Lahm, Timoschtschuk (59. Toni Kroos), Breno, Pranjic - Luiz Gustavo (82. van Buyten), Schweinsteiger - Robben, Thomas Müller (77. Klose), Ribery - Gomez. - Trainer: van Gaal

Schalke: Neuer - Uchida, Höwedes, Metzelder, Sarpei (82. Schmitz) - Matip - Kluge, Annan (89. Papadopoulos) - Jurado (61. Draxler), Farfan - Raul. - Trainer: Magath

Schiedsrichter: Florian Meyer (Burgdorf)

Tor: 0:1 Raul (15.)

Zuschauer: 69.000 (ausverkauft)

Beste Spieler: Pranjic, Robben - Neuer, Höwedes

Gelbe Karten: Robben, Lahm - Uchida, Annan