Heute startet die beste deutsche Skispringerin Melanie Faißt in die WM. Die 21-Jährige gilt als heiße Anwärterin auf eine Medaille.

Oslo. Endlich einmal ist Melanie Faißt mittendrin, fristet kein Schattendasein wie den Rest des Winters. Zumindest wenn sich die junge Skispringerin ihre derzeitige Umgebung ansieht: Bei der nordischen Ski-WM in Oslo trifft die 21-Jährige ihre Skisprung-Kollegen Martin Schmitt und Severin Freund beim Frühstück, könnte dort auch Norwegens Langlauf-Stars Petter Northug und Marit Björgen begegnen. Sie alle logieren im selben Hotel am Holmenkollen, nur 15 Fußminuten von den Wettkampfstätten entfernt. Immerhin in diesem Bereich fühlt sie sich als Skispringerin dieser Tage schon mal gleichberechtigt - auch wenn es noch etwas ungewohnt ist. "Ich habe mich im Hotel verlaufen. Das ist so riesig!", sagte sie.

Bei ihrer WM-Premiere kämpft Faißt heute (14.50 Uhr/ZDF) als derzeit beste Deutsche um eine Medaille - ein Erfolg brächte dem Frauen-Skispringen in Deutschland zudem die so erhoffte Aufmerksamkeit. Und es könnte nicht nur sportlich schlechtere Repräsentanten einer jungen Sportart geben: Melanie Faißt hat mit ihrer lockeren und offenen Art ("ich bin meistens am Lachen") sowie ihren zu zwei Zöpfen geflochtenen blonden Haaren, die als Glücksbringer frech aus dem Helm hervorblitzen, schnell die Sympathien auf ihrer Seite.

"Melanie ist zurzeit unsere stärkste und stabilste Springerin", sagt Bundestrainer Daniel Vogler, "wenn alles zusammenpasst, kann sie das Podium ins Visier nehmen." Fünfmal gelang ihr in dieser Saison bereits der Sprung auf Platz drei. Vor zwei Jahren, als die Frauen erstmals um einen WM-Titel kämpfen durften, holte ihre Teamkollegin Ulrike Grässler Silber. Faißt war 2009 nicht dabei, hatte die Saison nach einer Knie-OP und Formschwäche abgebrochen, um sich lieber auf ihr Abitur zu konzentrieren. Jetzt träumt sie von einer Medaille, schränkt aber gleich ein: "Da muss alles passen." Faißt und ihre Konkurrentinnen wollen jedoch nicht nur aufs Podest, sondern auch Werbung für sich machen. Denn am 5. Juli wird entschieden, ob sie 2014 erstmals bei Olympischen Winterspielen antreten dürfen. Ärgerlich, dass sie für die Eigenwerbung in Oslo nur eine Möglichkeit haben: Der Wettkampf heute ist ihr einziger, ein Teamspringen steht für sie nicht auf dem Programm.

Ein anderer Schritt zu mehr Akzeptanz steht bereits fest: Ab der nächsten Saison springen die Frauen in einer Weltcup-Serie, werden auch mehr Preisgeld erhalten als bisher bei den Continental Cups. Der Weltverband Fis honoriert damit die steigende sportliche Qualität und die zunehmende Zahl an Athleten: Beim ersten Fis-Springen waren gerade einmal sieben Nationen vertreten, heute springen Sportlerinnen aus 15 Ländern mit.

Aber auch wenn das Frauen-Skispringen im nächsten Jahr aufgewertet wird - leben kann Faißt nicht von ihrer Leidenschaft. Also setzt sie viel Energie in ihr Heilpädagogik-Studium in Freiburg - oder auch in ihre liebsten Hobbys nach dem Springen: Fußball spielen und mit Freunden einkaufen. "Am liebsten kaufe ich Schuhe - 30 Paare habe ich bestimmt", sagt sie.

Ihre Kommilitonen reagieren oft überrascht, wenn sie von der sportlichen Parallelwelt hören, in die Faißt beim täglichen Training abtaucht. "Die meistens sind dann begeistert und haben Respekt. Mit Vorurteilen werde ich nicht mehr konfrontiert", sagt sie. "Es ist eher so, dass uns einfach keiner kennt." Das haarsträubendste Gerücht äußerte einst Fis-Präsident Gian-Franco Kasper. "Bei der Landung zerreißt es die Gebärmutter", sagte er.

Melanie Faißt ließ sich davon nicht abschrecken. Für sie war Skispringen bereits als kleines Kind das Normalste der Welt: Der Vater war Kombinierer, die Mutter Langläuferin. Mit drei Jahren stand sie erstmals auf Plastikski im Schnee, rutschte später von Kinderschanzen hinunter. "Dieses Freisein in der Luft ist wie eine Sucht. Du willst immer mehr, immer weiter, immer höher", sagt sie.

Damit das klappt, hat sie sich Vierschanzentournee-Sieger Thomas Morgenstern als Vorbild genommen - nicht unbedingt die Art, wie er springt, sondern eher die Art, wie er sich gibt. "Er hat oft gesagt, er will vom ergebnisorientierten Denken wegkommen und einfach mit Spaß und Freude an die Schanze gehen", sagt sie. Bisher hat es gut funktioniert: Die 21-Jährige dachte in der Saison nicht verkrampft an die WM-Norm oder Podestplätze, aber genau das glückte ihr dann ohne Probleme. Im nächsten Winter kann sie sich auch persönlich Tipps von Morgenstern abholen, denn an manchen Weltcup-Stationen werden die Frauen und Männer gemeinsam haltmachen. "Es ist interessanter, wenn wir nicht immer nur unter uns Mädels sind", sagt Faißt und hofft, dass dadurch auch mehr Zuschauer an die Schanzen kommen werden.