Auch wenn die Geschäftsleitung nach neuen Alternativen sucht, vergeht kaum eine Woche ohne Gerüchte über Kündigungen.

Es war ein Tag Anfang Januar, als Susi Kentikian klar wurde, dass ihrem Arbeitgeber ein bitteres Ende droht. Wegen einer akuten Magen-Darm-Erkrankung hatte ihr Stallkollege Jürgen Brähmer, WBO-Weltmeister im Halbschwergewicht, seine in Kasachstan geplante Titelvereinigung mit WBA-Champion Beibut Shumenov absagen müssen. Es war innerhalb von wenigen Wochen der zweite kurzfristige Ausfall eines Hoffnungsträgers. „Ich dachte immer, Universum ist so stark, die schaffen das schon. Aber in dem Moment habe ich gespürt, dass so viel Pech auch ein Zeichen ist“, sagt Kentikian. Ein Zeichen dafür, dass die große Zeit des Hamburger Erfolgsunternehmens im professionellen Faustkampf-Geschäft abgelaufen ist?

Nicht anders sind die Signale zu deuten, die derzeit aus Wandsbek empfangen werden. Denn auch wenn die Geschäftsleitung, die seit dem Auslaufen des TV-Vertrags mit dem ZDF Ende Juli 2010 nach Alternativen sucht, seit Monaten beharrlich schweigt, vergeht kaum eine Woche, in der nicht neue Gerüchte über Kündigungen die Runde machen. Einer der jüngsten Fälle ist Kentikians Trainer Magomed Schaburow. Der 40-Jährige wurde vor einigen Tagen darüber informiert, dass die Zusammenarbeit, die nie vertraglich fixiert war, zum Ende des Jahres 2010 beendet worden ist. Seitdem betreut er seine übriggebliebenen Schützlinge Ruslan Chagaev, Dimitri Sartison und eben Kentikian auf freiwilliger Basis, seine Bezahlung ist ungeklärt.

Für die 23 Jahre alte Dreifach-Weltmeisterin im Fliegengewicht ist die lange Wartezeit mittlerweile zur Belastung geworden, vor allem, weil seit ihrem letzten Kampf im Juli 2010 fast sieben Monate vergangen sind. Ein für 29.Januar geplanter Auftritt in Hamburg musste im Zuge der Brähmer-Absage gestrichen werden. „Ich habe so viel Energie und will endlich wieder boxen“, sagt sie. Auch wenn sie vertraglich noch an Universum gebunden ist und diese Bindung auch respektiert, „weil ich immer fair und gut behandelt worden bin“, hat sie sich mit einem Abschied gedanklich schon befasst. Wenn die 153 cm kleine Powerfrau über Universum spricht, nutzt sie die Vergangenheitsform. „Ich habe mich hier immer wohl gefühlt“, sagt sie dann, „das Gym wird mir sehr fehlen.“

Das Problem ist, dass es für Frauenboxen derzeit keinen zahlungskräftigen TV-Sender zu geben scheint. Das ZDF hatte Kentikian als Hauptkämpferin akzeptiert, andere tun sich damit ungleich schwerer. Zwar gibt es bei Sat.1 und RTL durchaus Interesse an der Person Kentikian, Börsen in sechsstelliger Höhe werden auf lange Sicht aber nicht mehr gezahlt werden. Kentikian schreckt das nicht, sie glaubt an eine Zukunft im Ring und wäre auch zu einem Wechsel zu einem anderen Stall bereit. Ihre Heimat Hamburg dauerhaft zu verlassen sei zwar kein Thema, aber im letzten Gespräch mit der Universum-Geschäftsleitung vor rund zehn Tagen habe man „mehrere Optionen erörtert, wie eine Zukunft im Fernsehen aussehen könnte“. Die Erweiterung „gemeinsame Zukunft“ war dabei nicht Bestandteil jeder Option.

„Susi hat das Glück, dass sie viele Fans hat und viele Menschen ihr helfen wollen. Auch Universum will, dass es ihr gut geht“, sagt Christoph Wesche. Der Hamburger PR-Fachmann ist Kentikians Manager, und er ist in dieser Phase ein Segen für die gebürtige Armenierin, weil er nicht nur dafür sorgt, dass sie den Kopf für ihren Beruf frei hat, sondern weil er auch an alternativen Projekten und Einnahmequellen arbeitet, um seinem Schützling ein Fangnetz zu knüpfen, falls der Sport ihr und ihrer Familie, die sie mit ihren Börsen einst ernährte, kein ausreichendes Auskommen mehr bietet.

So erscheint beispielsweise Mitte März Kentikians Autobiografie mit dem Titel „Mir wird nichts geschenkt“. Es ist eine Aufarbeitung ihrer Vergangenheit als Flüchtlingskind, die sie jahrelang unterdrückt hat, weil sie keine Lust mehr hatte, auf diese Vergangenheit reduziert zu werden. „Jetzt habe ich mich noch einmal ausführlich damit beschäftigt, und ich kann sagen, dass ich froh bin, dass jetzt alles raus ist“, sagt sie.

Die längste Ringpause ihrer seit Januar 2005 währenden Profikarriere hat Kentikian aber auch genutzt, um neue Impulse zu suchen. Sie hat die Schirmherrschaft über das Projekt „Lebensbaum für Armenien“ übernommen, das durch die Anlage von Walnussplantagen eine dauerhafte Existenzgrundlage für bis zu 200 armenische Familien schaffen, behinderte Kinder unterstützen und soziale Einrichtungen fördern will. Und sie hat im Dezember vier Wochen in den USA Trainingseindrücke gesammelt, die ihr Interesse an Kämpfen in Übersee geweckt haben.

Susi Kentikian ist derzeit in einer Findungsphase, sie versucht die Jugendzeit nachzuholen, die sie als Teenager nie hatte. Sie hat viel über ihre Zukunft nachgedacht. Ein Gedanke, sagt sie, sei jedoch nie dabei gewesen: komplett aufzuhören mit dem Boxen. „Alle sagen immer, ich hätte trotz meines jungen Alters schon alles erreicht“, sagt sie, „aber das sehe ich gar nicht so. Ich bin noch hungrig auf Erfolg. Für mich geht esjetzt doch erst los.“ Sie sagt es so, dass man es selbst fast glauben mag.