Der 34-jährige Hauptbeschuldigte im größten Wettskandal Europas hat gestanden, selbst Spieler bestochen zu haben.

Bochum. Im größten Wettskandal des europäischen Fußballs ist der frühere Profi Thomas Cichon erneut schwer belastet worden. „Cichon war für mich der Häuptling“, sagte „Zockerkönig“ Ante Sapina am Mittwoch im Zeugenstand des Bochumer Landgerichts. Wenn Fußballspiele des VfL Osnabrück manipuliert werden sollten, habe VfL- Spieler Cichon auf jeden Fall auf dem Platz stehen müssen. Bei der Partie gegen Augsburg am 17. April 2009 habe der Profi zum Beispiel eindeutig in den Spielverlauf eingegriffen. „Das erste Tor ging meiner Meinung nach glasklar auf die Kappe von Cichon“, sagte Sapina. Cichon selbst weist alle Manipulationsvorwürfe zurück.

Ante Sapina galt schon als Drahtzieher des Schiedsrichter-Skandals um Robert Hoyzer. Trotz seiner Verurteilung zu zwei Jahren und elf Monaten Haft im Jahr 2005 hatte er nur wenige Monate im Gefängnis gesessen. Vor dem Bochumer Landgericht gab er nun zu, bereits nach der WM 2006 wieder große Summen auf angeblich manipulierte Fußballspiele gesetzt zu haben. Später habe er auch selbst Spieler bestochen. Die Partie Nürnberg gegen Osnabrück im Mai 2009 sei entgegen der Anklage aber nicht manipuliert worden. „Wenn ich davon ausgegangen wäre, dass das Spiel manipuliert ist, hätte ich 200 000 bis 300 000 Euro gesetzt“, sagte Sapina den Richtern. Tatsächlich habe sich sein Einsatz aber auf nur 15 000 Euro belaufen. Staatsanwalt Andreas Bachmann gab am Rande des Verfahrens bekannt, dass in den nächsten Tagen mit einer Anklage gegen Sapina zu rechnen sei.

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Falsches Spiel: Schnitzler ließ sich von Wettmafia bestechen

Die Geschichte ist zu traurig und zu ernst, als dass man darüber lachen könnte. "Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft, vielmehr aus unbeugsamem Willen." Der Satz, den er sich vor zwei Jahren in seinen rechten Unterarm stechen ließ, solle ihn im Training anspornen, erklärte René Schnitzler, damals Angreifer des Zweitligisten FC St. Pauli. Eine Ansage und eine Aussage - mit der Wirkung eines schlechten Witzes. Ausgerechnet er, der Clown, der Lebemann, dem von Kollegen und Trainern nahezu monatlich mangelnde Berufsauffassung vorgeworfen wurde. Der schnelle, große, teure Autos fuhr und doch immer wie ein unreifes, naives Kind wirkte. Ein Problemkind. Leicht ablenkbar, leicht zu verführen. Gerade in einer Stadt wie Hamburg. Schnitzler und unbeugsamer Wille? Mit dem heutigen Wissen kommt die Tätowierung des Gandhi-Zitats einem Aufschrei gleich.

Schnitzler fürchtete um sein Leben. Wie er dem "Stern" für seine heutige Ausgabe erzählte, hatte er sich im Jahr 2008 wegen finanzieller Probleme mit der Wettmafia eingelassen und für die Manipulation von fünf Partien des FC St. Pauli insgesamt 100 000 Euro angenommen. "Ich habe Geld genommen, das ja", sagt der heute 25-Jährige, "aber ich habe nicht manipuliert, ich habe nicht mal dran gedacht." St. Pauli reagierte geschockt auf die Enthüllungen: "Mit so etwas hätten wir nie und nimmer gerechnet", sagte Teammanager Christian Bönig. "Die Tatsache, dass man mit der Wettmafia in Berührung kommt, ist ein Schlag ins Gesicht. Da wird der Sport mit Füßen getreten."

Dreimal verliert St. Pauli wie von Schnitzlers Auftraggeber, dem niederländischen Wettpaten Paul R., gefordert. Doch als die entsprechenden Ergebnisse ausbleiben, ist Schnitzler in Gefahr. R. habe ihm mitgeteilt, dass er sein beim Wetten verlorenes Geld wiederhaben wolle und verlangt eine Niederlage im Auswärtsspiel am 23. November 2008 beim 1. FSV Mainz 05. "Später hat sein Kumpel mir gedroht, dass sie mich sonst an einen Pfosten in der Elbe binden und warten, bis die Flut kommt", erzählt Schnitzler, "ich habe dann gesagt, dass wir das gegen Mainz machen. Danach durften wir gehen." Der Stürmer hatte zwei Teamkollegen zu dem Treffen mitbringen müssen, um den Beweis zu liefern, dass er im Team Komplizen habe. 5000 Euro habe er jedem dafür gezahlt. Allein für die Begleitung, denn manipuliert hätten auch sie nichts. Die Partie endet 2:2, R. verliert viel Geld und verlangt von Schnitzler 400 000 Euro Schadenersatz.

Über eigenes Geld verfügt dieser zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren nicht mehr. Als der 22-Jährige zum 1. Juli 2007 von Borussia Mönchengladbach II ans Millerntor wechselt, hat er bereits 50 000 Euro Schulden im Gepäck. Vor Probleme stellt das den jungen Mann nicht. Gemeinsam mit seiner Freundin bezieht er laut "Stern" für 2300 Euro monatlich ein Apartment in Ottensen, eröffnet ein Konto mit 20 000 Euro Dispositionskredit, erhält zwei goldene Kreditkarten. Später wird der Dispo-Rahmen auf 50 000 Euro aufgestockt. Der verantwortliche Mitarbeiter der Bank ist St.-Pauli-Fan.

Innerhalb der Mannschaft und im Umfeld ist seine Spielsucht längst bekannt. Nach Abendblatt-Informationen hatte Schnitzler in nahezu allen Spielkasinos im Großraum Hamburg Hausverbot. Mannschaftskollegen bietet er bis zu 100 Euro, wenn sie ihm für einen Tag ihren Personalausweis leihen. Vergeblich. Schnitzler lässt sich mit der Unterwelt ein, wettet und zockt immer häufiger illegal, vornehmlich in Hinterzimmern. Black Jack und Poker. Nächtelang, auch im Internet. Im "Stern" berichtet er von einem Geldeintreiber, der ihm eine Pistole an die Schläfe hielt.

Das Spiel hat sich verlagert. Auf dem Fußballplatz ist St. Paulis bester Torschütze der Saison 2007/08 immer seltener dabei. Sein Talent, das ihm einst zu Einsätzen in Junioren-Nationalmannschaften verhalf, kann den Lebensstil nicht kompensieren. "In den Beinen Weltklasse, im Kopf Kreisklasse C", sagte Trainer Holger Stanislawski bereits damals über den "Knipser mit dem Vollschatten." Verspätungen und andere Undiszipliniertheiten kombiniert mit seinem übersteigerten Selbstbewusstsein sorgen auch in der Mannschaft dafür, dass sich Schnitzler im Abseits wiederfindet. "Manchmal benimmt er sich wie ein kleines Kind", erinnert sich Horst Wohlers, in Mönchengladbach Schnitzlers U-23-Trainer.

HSV-Star Marcell Jansen, mit dem er die Nachwuchsabteilungen bei der Borussia durchlief, hat es dagegen geschafft. Er ist das, was man Schnitzler immer vorhergesagt hatte: Bundesligaprofi. "Ganz ehrlich, ich bin froh, dass René überhaupt noch lebt", sagt Jansen, konfrontiert mit der Verstrickung seines ehemaligen Freundes in den Wettskandal. "Er war schon immer ein verrückter Typ. Jetzt muss er die Konsequenzen tragen."

Die sportlichen trägt er bereits seit 2009. Schnitzler wechselte übergewichtig in die sechste Liga zum FC Wegberg-Beeck, die Spielsucht blieb. 120 000 Euro Schulden haben sich laut "Stern" angesammelt. Doch das Problemkind scheint am Anfang eines Reifeprozesses zu stehen. Schnitzler schoss in 39 Spielen 24 Tore, ist fit und will zurück in den Profibereich, löste deshalb kürzlich seinen Vertrag beim Klub aus der NRW-Liga auf. "Er war für unsere Klasse ein sehr guter Spieler und hat bei uns keine Auffälligkeiten gezeigt", sagt Geschäftsführer Helmut Waldhaus. Abseits des Platzes hat René Schnitzler eine Therapie gegen seine Spielsucht begonnen. Der Blick auf den Unterarm hilft: "Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft, vielmehr aus unbeugsamem Willen." Es ist kein Trainingsspiel mehr.