Der 24 Jahre alte Lübecker kletterte in der Tennis-Weltrangliste um 188 Plätze und ist von der ATP zum Newcomer des Jahres 2010 gewählt worden.

Hamburg. Die Zeremonie in der Londoner O2 World war unspektakulär, sie dauerte vielleicht 15 Minuten, und der Pokal, den Tobias Kamke anschließend in den Händen hielt, passt optisch auch nicht zwingend in jedes Wohnzimmer. Und doch spürte der 24 Jahre alte Tennisprofi aus Lübeck an jenem Freitag, dem 26. November, dass er ziemlich viel richtig gemacht hat in der Saison 2010. Dies lässt sich auch mit Zahlen belegen. In der Weltrangliste kletterte er von Rang 254 auf Position 66, und für diese ungewöhnliche Leistung wurde er in der britischen Hauptstadt von der Herrentennis-Organisation ATP als "Newcomer des Jahres" ausgezeichnet . "Was mich besonders stolz macht, ist der Fakt, dass es eine Wahl unter Tennisprofis war. Das zeigt, dass die Konkurrenz meine Leistung anerkennt", sagt Kamke.

Dass er das Talent hat, sich in der Weltklasse durchzuschlagen, war Experten schon früh aufgefallen. Michael Stich, Turnierdirektor am Hamburger Rothenbaum und Wimbledonsieger von 1991, fördert Kamke seit sechs Jahren. "Tobi hat mit großer Beharrlichkeit an sich gearbeitet, und er hat den Willen, ohne Kompromisse alles für den Erfolg zu tun", lobt der 42-Jährige. Kamke selbst ist viel zu bescheiden, um solche Dinge über sich zu verbreiten. Aber natürlich hat er darüber nachgedacht, warum ihm erst in diesem Jahr der Durchbruch gelungen ist.

Ergebnis der Überlegungen: Die Professionalisierung auf allen Ebenen habe ihm den entscheidenden Schub gegeben. Erstmals habe er mit Ralph Grambow einen Trainer engagiert, der ihn über das gesamte Jahr begleitete. Grambow betreut auch Kamkes Kumpel Julian Reister (Reinbek/Nr. 114 der Welt), was 2011 zu Problemen führen könnte, weil Reister aufgrund seiner Platzierung nicht bei den Topturnieren aufschlagen kann. Dennoch will Kamke am Status quo festhalten. "Von Ralph lerne ich jeden Tag etwas, seine Matchanalysen bringen mich unglaublich weiter. Wir werden schon eine Regelung finden, damit es mit Julian und mir passt", sagt er. Auch die regelmäßige Arbeit mit Physiotherapeut und Mentalcoach sei ein wichtiger Baustein des Erfolgs. "Ich denke", sagt Kamke, "dass ich in diesem Jahr endgültig bei den Profis angekommen bin."

Dazu beigetragen haben die beiden Turniersiege auf der Challenger-Tour im kanadischen Grandby und in Tiburon (USA), aber auch die erste Qualifikation für ein Grand-Slam-Turnier bei den French Open in Paris oder der Einzug in die dritte Wimbledon-Runde, den Kamke als besonderes Highlight in Erinnerung behalten wird. Und als er Anfang November beim ATP-Turnier in Basel in Runde eins mit dem Tschechen Tomas Berdych (Nr. 6) zum ersten Mal einen Top-Ten-Spieler schlug, da empfand er den Triumph als "würdigen Abschluss eines gelungenen Jahres". Dass sein erster Auftritt am Rothenbaum im Juli, wo er in Runde eins am Argentinier Eduardo Schwank scheiterte, rückblickend zu den größten Enttäuschungen seiner Saison zählt, hat er verwunden. Den Turniersieg in seiner Bald-Heimat - mit seiner Freundin Vera sucht er seit einem halben Jahr eine Wohnung westlich der Alster - bezeichnet er noch immer als "das Größte, was ich mir vorstellen kann".

Kamke weiß um die Problematik im Profisport, die besagt, dass es schwierig ist, nach oben zu kommen, aber viel schwieriger, oben zu bleiben. Dennoch hat er kein Interesse daran, in der neuen Saison lediglich seinen Status zu wahren. "Ich werde nicht anfangen zu rechnen, wo ich Ranglistenpunkte zu verteidigen habe", sagt er, "sondern ich werde angreifen, um mein nächstes Zwischenziel, die Top 50, zu erreichen." Er sei froh, in den kommenden Monaten dank seiner Position bei den großen ATP-Turnieren starten zu können. Am 27. Dezember fliegt er nach Australien, wo am 3. Januar in Brisbane die Saison beginnt. "Darauf habe ich all die Jahre hingearbeitet, jetzt will ich das genießen", sagt er. Insgeheim träumt er davon, Anfang März in Kroatien erstmals für Deutschland im Daviscup auflaufen zu dürfen und Ende nächsten Jahres wieder in London zu stehen und einen Pokal überreicht zu bekommen. Dann jedoch nicht als Newcomer, sondern als Jahresbester. Träumen ist erlaubt.