“Ein Fußball-Verein ist heutzutage keine One-Man-Show“ - Ungewohnt offen hat der Präsident des FC Bayern seinen Trainer kritisiert. Hoeneß erklärte, es habe schon länger in ihm gebrodelt.

Hamburg/München. Uli Hoeneß steht für klare Worte. Nach seinem Abgang als Manager des FC Bayern München hielt sich der Weltmeister von 1974 als Präsident jedoch zuletzt mit öffentlichen Äußerungen ungewohnt stark zurück. Jetzt platzte ihm jedoch der Kragen. In der Fußball-Talksendung "Sky90" kritisierte Hoeneß Bayern-Trainer Louis van Gaal scharf: "Ein Fußball-Verein ist heutzutage keine One-Man-Show. Es ist schwer mit ihm zu reden, weil er die Meinung anderer Leute nicht akzeptiert. Ich habe mit ihm nicht mehr viel zu bereden, weil ich an den montäglichen Sitzungen nicht mehr teilnehme." Ein Frontalangriff.

Was Hoeneß am niederländischen Meistermacher so nervt: Sein Umgang mit Spielern beim FC Bayern. Zu lange wurde für Hoeneß' Geschmack im Sommer über Spieler wie Daniel Pranjic oder Anatoli Tymoshchuk diskutiert. Der Bayern-Präsident sagt: "Es wäre besser gewesen, wenn der ein oder andere Spieler stark gemacht worden wäre. Es gibt vier, fünf Spieler bei uns, die permanent falsch eingeschätzt wurden. Das hat ein Geschmäckle." Jetzt zeige sich, was Tymoshchuk und Co. wirklich leisten können, führte Hoeneß seine Kritik aus.

Innerlich habe es schon seit knapp sechs Monaten in ihm gebrodelt. Nun platzte Hoeneß der Kragen: "Ich habe einige Minuten darüber nachgedacht, ob ich das heute sage, aber ich musste jetzt auch mal was sagen." Den Zeitpunkt, nach einem Sieg in der Bundesliga (4:2 gegen Freiburg) wählte die Bayern-Legende bewusst, um nicht zu viel Brisanz zu verursachen. Doch dieser Plan dürfte trotzdem schief gehen.

Sachlich und bestimmt trat Unternehmer Hoeneß in der Sendung, in der auch St. Paulis Manager Helmut Schulte und Reporterlegende Rolf Töpperwien zu Gast waren, auf. "Wer mich als Präsident wählt, muss wissen, dass ich mir immer das Recht herausnehmen werde, so etwas zu sagen", rechtfertigte er seine harten Worte.

Den Bayern, die am Mittwoch in der Champions League bei CFR Cluj in Rumänien antreten müssen, steht eine heiße Woche bevor. Mit der öffentlichen Kritik an Louis van Gaal hat Uli Hoeneß mitten in der bayerischen Bundesliga-Aufholjagd eine neue Baustelle geschaffen. Bislang trat die Bayern-Führung geschlossen auf, nun wurden große Risse zwischen sportlicher Leitung und Präsidium klar. Hoeneß sieht in der Zusammenarbeit dennoch keine Probleme, glaubt aber nicht an einen Wandel des Niederländers. "Er wird die Kritik nicht annehmen", mutmaßte der 58-Jährige.

Anfang vom Ende - Ein Kommentar von Marco Mader

Es hat lange gebrodelt in Uli Hoeneß. Seit sechs Monaten habe er sich auf die Zunge gebissen, betonte der Präsident von Bayern München. Doch am Sonntagabend war Schluss: Der Vulkan brach aus. Nein, er explodierte geradezu. Und unter all der Hoeneß'schen Lava begraben wurde kein Geringerer als Trainer Louis van Gaal.

Dass der Niederländer noch einmal wie Phönix aus der Asche emporsteigen wird, scheint ausgeschlossen. Die Attacken von Hoeneß könnten vielmehr der Anfang vom Ende der Ära van Gaal gewesen sein.

Zu umfassend, zu direkt, zu schonungslos war die Kritik. Hoeneß hat van Gaal nicht nur Beratungsresistenz vorgeworfen, er hat ihm alle Attribute eines Fußball-Diktators zugeschrieben: Herzlosigkeit, Härte, Gefühlskälte, ja Grausamkeit lässt der Tulpen-General gegenüber seinen Spielern walten - so darf, so muss man Hoeneß verstehen. Er, Hoeneß, der erste Sozialarbeiter des FC Bayern, Retter von gefallenen Spielern, hat dafür kein Verständnis. Mehr noch: Er lehnt van Gaals Verhalten rundheraus ab.

Das gilt auch für die Sturheit des Trainers. Mit Hoeneß selbst, Karl-Heinz Rummenigge und Franz Beckenbauer, dazu Karl Hopfner und Christian Nerlinger, verfügt die Führungsetage des FC Bayern über geballte Fachkompetenz - nur van Gaal macht sein eigenes Ding. Unbelehrbar. Das ärgert Hoeneß nicht nur, das beleidigt ihn. Das Gefühl, im eigenen, in seinem Verein nicht gebraucht zu werden, ist für Hoeneß unerträglich. Van Gaal aber vermittelt ihm genau das. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat. Seit über einem Jahr.

Dass van Gaal mitunter selbstherrlich und weit über die sprichwörtliche Bayern-Arroganz hinaus auftritt, hat Hoeneß bereits im Vorjahr missfallen. Die Bosse waren drauf und dran, das Experiment abzubrechen, ehe Arjen Robbens Geniestreiche van Gaal retteten und seine Philosophie dank des jetzt so schmerzlich vermissten Ausnahmefußballers doch noch griff. Doch der graue Alltag, das mitunter ermüdende van Gaal'sche Ballgeschiebe, hat die Bayern schneller eingeholt als Hoeneß und Rummenigge ahnen konnten.

Für die Verletzungen kann van Gaal nichts. Wohl aber dafür, dass er, wie Hoeneß richtig anmerkt, Spieler geradezu vernichtet hat, indem er sie lange mit Missachtung strafte. Auch darin ist ein Grund für den Holperstart des FC Bayern zu sehen. Hoeneß hat das früh erkannt. Dass er die erst vor einem guten Monat erfolgte Vertragsverlängerung mit van Gaal nicht verhinderte, wirkt in diesem Zusammenhang rätselhaft. Auch der Zeitpunkt seines Angriffs überrascht, verletzte Eitelkeit dürfte dabei eine dominante Rolle gespielt haben.

Van Gaals Replik steht noch aus. Er wird sich genau überlegen, was er der hungrigen Meute am Dienstag in Cluj erzählen wird. Ausgeschlossen scheint bei dem stolzen Coach nichts, nicht einmal ein Rücktritt.

Seit Hoeneß' Verbalattacke ist er ohnehin nur noch Trainer auf Abruf. Und niemand sollte auch nur im Ansatz auf die Idee kommen, dass van Gaal einen Machtkampf gegen Hoeneß gewinnen könnte.