Springreiter Carsten-Otto Nagel im Sportgespräch mit dem Abendblatt über Dopingskandale, eine außergewöhnliche Stute und das Spiel Skat.

Wedel. Für Michael Herz ist der Reitstall ein Hobby. Der 67 Jahre alte Tchibo-Erbe und Besitzer des Moorhofes in Wedel kann es sich im Gegensatz zu vielen anderen Pferdebesitzern leisten, seine edlen Tiere zu behalten, auch wenn astronomische Angebote locken. Davon wiederum profitiert einer der besten deutschen Springreiter: Carsten-Otto Nagel. Der 48-Jährige ist auf dem Moorhof angestellt, gewann in diesem Jahr unter anderem das Deutsche Derby in Klein Flottbek. Nun steht er erstmals im deutschen WM-Aufgebot. Kurz vor dem Abflug nach Kentucky, wo Nagel am Montag in den Sattel steigen wird, empfing er das Abendblatt im heimischen Stall zum Interview.

Abendblatt:

Herr Nagel, Sie sind jetzt schon fast 20 Jahre auf dem Moorhof angestellt. Wäre es nicht mal Zeit für eine neue Herausforderung?

Carsten-Otto Nagel:

Überhaupt nicht. Ich erlebe derzeit mit der Stute Corradina meinen zweiten Frühling, habe mein ganzes Leben dafür gearbeitet, dass ich einmal ein solches Pferd reiten kann. Auch deshalb wäre es von mir ziemlich dumm, jetzt nach etwas Neuem zu suchen. Ich selbst könnte mir ein solches Pferd nicht leisten.

Wie viel Geld ist Corradina denn wert?

Nagel:

Da möchte ich mich ungern im Detail äußern, aber im siebenstelligen Bereich bewegt man sich auf jeden Fall. Es wurden Unsummen geboten. Ich denke, 99 Prozent der Besitzer hätten mittlerweile verkauft. Aber es ist natürlich toll, wenn jemand wie Herr Herz das nicht als Geschäft sieht. Auch deshalb passen wir sehr gut zusammen. Wir haben die gleiche Philosophie.

Können Sie die genauer beschreiben?

Wir haben die gleiche Philosophie, mit Pferden umzugehen, lassen ihnen in jungen Jahren ein wenig mehr Zeit, versuchen da nicht schon besondere Erfolge einzureiten. Die Ausbildung eines Pferdes ist kein 100-Meter-Rennen. Es ist ein Langstrecken-Rennen, das man sich allerdings leisten können muss.

Viele angestellte Reiter haben irgendwann den Drang, selbstständig zu wirtschaften. Sie nicht?

Nagel:

Ich war schon selbstständig, bevor ich hier angefangen habe. Hier zu arbeiten hat den Vorteil, dass man gute Pferde behalten kann, sich um viele Sachen nicht kümmern muss. Dafür ist der Chef der Chef und trifft letztlich die Entscheidungen.

Vor den Olympischen Spielen 2008 mussten Sie darunter leiden, als Herr Herz Sie nicht als Ersatzreiter des deutschen Teams nach Hongkong reisen ließ.

Nagel:

Wenn man als Sportler die Chance hat, an Olympia teilzunehmen, ist das natürlich das Größte. Dass der Chef Bedenken wegen der langen Reise hatte und sich gefragt hat, warum man das Risiko eingehen solle, wenn man nur Ersatz ist, kann man auch nachvollziehen. Wir haben so ein Pferd wie Corradina ja auch nicht in fünffacher Ausfertigung hier herumstehen. Letztlich haben wir uns gemeinsam gegen die Teilnahme entschieden.

Sind Sie im Nachhinein wegen des Dopingskandals um das deutsche Team vielleicht sogar ein bisschen froh, nicht in Hongkong gewesen zu sein?

Nagel:

Das denken viele, aber ich sehe es eigentlich nicht so, weil ich bei den Spielen mit Corradina ganz nach vorne hätte kommen können. Aber man kann die Uhr bekanntlich nicht zurückdrehen, wir müssen nach vorne schauen.

Glauben Sie, dass der Reitsport in Deutschland die anschließende Krise schon überstanden hat?

Nagel:

Es muss noch einiges aufgearbeitet und auch noch vieles besser werden. Der Imageschaden war sehr groß, und er hängt uns auch noch ein bisschen nach. Grundsätzlich denke ich aber, dass unser Sport sehr sauber ist. Schwarze Schafe wird es immer geben.

Viele Reiter aus dem WM-Gastgeberland USA gelten im Umgang mit ihren Pferden auch nicht gerade als zimperlich.

Nagel:

Die haben sicher eine andere Mentalität. Es gibt ein paar Reiter, bei denen man sich so seine Gedanken macht. Die Amerikaner werden aber keinen Freifahrtschein haben, ich bin mir sicher, dass das klar und fair abläuft.

Was ist sportlich von Ihnen selbst in Kentucky zu erwarten?

Nagel:

Ich weiß, dass ich ein außergewöhnliches Pferd habe, mit dessen Beständigkeit die anderen nicht mithalten können. Über fünf Runden gehören wir zu den besten, wenn ich mir als Reiter nicht zu viele Fehler erlaube.

Das klingt nach Medaillenkandidat.

Nagel:

Die Erwartungen sind hoch, ich bin weiß Gott aber nicht der Topfavorit. Mit der Mannschaft haben wir eine berechtigte Chance auf eine Medaille. Wenn es schlecht läuft, sind wir trotz großer Namen wie Meredith Michaels-Beerbaum oder Marcus Ehning im Team auch ganz schnell Siebter. Im Einzel kann man das schwer vorhersagen.

Sie gelten als leidenschaftlicher Skatspieler. Welches Blatt hätten Sie für die WM gern auf der Hand?

Nagel:

Selbst mit einem Superblatt kann man am Ende noch einen auf die Mütze bekommen. Ich möchte mich am liebsten von hinten anschleichen.

Kommen Sie noch zum Skatspielen?

Nagel:

Im Moment schaffe ich das nur noch einmal im Jahr, was aber daran liegt, dass meine Skatpartner in Dithmarschen zu Hause sind. Wenn wir uns treffen, spielen wir von nachmittags um fünf bis morgens um fünf. Skat ist ein Wahnsinnsspiel, weil es immer wieder anders ist und man mit Freunden unheimlich viel Spaß dabei haben kann.

Das klingt bodenständig. Dazu passt, dass man Sie immer wieder auch auf kleineren Turnieren in der Umgebung sieht.

Nagel:

Ich reite zwischendurch gerne mal hier im Lande. Hier hat man seine Wurzeln, seine alten Kumpels. Ich bin nicht so einer, der von Turnier zu Turnier fliegen möchte. Wir haben jedes Jahr ein, zwei Highlights, die wir uns setzen. Ansonsten bin ich auch gerne auf dem Hof und bei meinen Kindern.

Sie leben von deren Mutter getrennt, sind mittlerweile seit drei Jahren mit der Profireiterin Mylène Diederichsmeier zusammen. Können Sie mit den Kindern dennoch ein Familienleben führen?

Nagel:

Sie leben auch in Wedel bei ihrer Mutter, wir sehen uns, so oft es geht. Natürlich fehlen einem die Kinder, wenn man sie nicht wie früher um sich hat. Allerdings war ich damals auch viel unterwegs. Familie und diesen arbeits- und zeitaufwändigen Beruf unter einen Hut zu bekommen, ist schwierig.

Sie sind jetzt 48 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch Leistungssport betreiben?

Nagel:

Zwei, drei tolle Jahre kommen mit Corradina vielleicht noch, und dann muss man gucken, ob man noch neue Reize mit neuen Pferden setzen kann. Noch bringt es mir viel Spaß, mit jungen Pferden zu arbeiten, sie zu reiten, zu gucken, was in ihnen steckt. Ich versuche, meinen Job gut zu machen, und der Chef weiß glaube ich auch, was er an mir hat. Insofern könnte ich mir auch vorstellen, das noch zehn Jahre zu machen.

Es sei denn, der Chef verliert irgendwann die Lust an seinem Hobby.

Nagel:

Das glaube ich nicht, aber selbst wenn, hätten wir quasi vorgebaut. Seine Tochter ist auch sehr engagiert im Reitsport, da kommt also etwas nach. Das Problem ist eher, dass ich irgendwann zu alt werde und vielleicht nicht mehr gut genug bin.