Die Kielerin Angelique Kerber wird das deutsche Fedcup-Team gegen Australien anführen. Im Abendblatt spricht sie über ihren Aufschwung.

Hamburg. Barbara Rittner lässt sich gewöhnlich viel Zeit, um ihre Aufstellung für Fedcup-Partien bekannt zu geben. Doch vor dem Relegationsspiel um den Verbleib in der Weltgruppe an diesem Wochenende gegen Australien in Stuttgart hat sich die Teamchefin festgelegt . "Angelique Kerber wird im Einzel spielen, wenn sie fit bleibt. Sie hat so viel Selbstvertrauen und eine so positive Aura, dass man sie nicht rauslassen kann", sagte die 38-Jährige. Das Abendblatt sprach mit der 24 Jahre alten Kielerin über ihre neue Rolle.

Hamburger Abendblatt: Frau Kerber, Anfang Februar beim 1:4 im Viertelfinale gegen Tschechien saßen Sie als Ersatzspielerin zunächst auf der Bank. Nun sind Sie diejenige, die das Team zum Klassenerhalt führen soll. Was bewirkt dieser Rollenwechsel bei Ihnen?

Angelique Kerber: Das ist eine neue Herausforderung, der ich mich gern stelle. Das wird eine weitere Erfahrung sein, die mich auf meinem Weg weiterbringt. Ich freue mich sehr, dass Barbara mir das Vertrauen schenkt.

Sind Sie bereit für die Verantwortung? Die derzeit verletzte Sabine Lisicki ist an dem Druck, das Team führen zu müssen, gegen Tschechien zerbrochen.

Kerber: Der Druck ist groß, aber ich muss lernen, damit umzugehen. Ich denke auch, dass der Unterschied gar nicht allzu groß ist. Natürlich war ich enttäuscht, dass ich gegen Tschechien nicht anfangen durfte, aber ich habe mich trotzdem so vorbereitet, als hätte ich spielen müssen. Deshalb ändert sich von meiner Einstellung her nicht viel. Und ich weiß, dass die Mädels und Barbara mir helfen werden, indem sie den Druck von mir nehmen.

Wie funktioniert so etwas?

Kerber: Indem man als Team zusammenhält. Die Niederlage gegen Tschechien hat uns noch enger zusammenrücken lassen. Wir haben alle das Ziel, diesen Titel irgendwann zu gewinnen. Das geht aber nur, wenn alle alles für das Team geben. Wir sind eine solch verschworene Einheit, Zickenalarm gibt es bei uns nicht. Ich stehe voll und ganz hinter dem Team, wie alle anderen.

+++ Kerber gewinnt in Kopenhagen ihren zweiten Titel +++

Sie sagen oft, dass Ihre Halbfinalteilnahme bei den US Open im vergangenen Jahr der Punkt war, an dem Ihre Karriere die entscheidende Wendung nahm. Seitdem spielen Sie viel konstanter, haben in diesem Jahr Ihre ersten beiden Titel gewonnen. Was genau hat der Erfolg von New York bei Ihnen freigesetzt?

Kerber: Dort hat es Klick gemacht, seitdem habe ich das Vertrauen, dass ich in der Weltspitze mithalten kann. Ich hatte aber auch danach noch viel Respekt, wenn ich gegen Topspielerinnen antreten musste. Der ist jetzt nicht mehr so groß, weil ich gespürt habe, dass ich gegen die bestehen kann. Wenn eine Scharapowa jetzt fünf Winner schlägt, lässt mich das kalt. Und ich spüre, dass der Respekt der Großen gewachsen ist. Die grüßen mich jetzt alle, ich werde ernst genommen. Ich denke nicht, dass ich mich menschlich verändert habe, aber mein Stellenwert ist gewachsen.

Erfolge machen selbstsicher, lassen aber auch die Ansprüche wachsen. Wie kommen Sie damit klar, in der Öffentlichkeit gefragter denn je zu sein?

Kerber: Ganz offen, mir gefällt das. Ich versuche auch, mich mental weiterzuentwickeln. Ich sage mir jetzt immer: "Du machst das nur für dich, also geh raus und gib alles, was du hast." Wenn ich das tue und verliere trotzdem, ist alles wirklich okay für mich. Früher habe ich mir viel mehr Gedanken gemacht, war zu verbissen.

Sie messen vor allem Ihrer besseren Fitness eine große Bedeutung bei. Seit Sie an der Akademie in Offenbach am Main trainieren, sind Sie viel stärker geworden. Was läuft dort anders?

Kerber: Ich habe dort gelernt, mit der nötigen Disziplin an meiner Fitness zu arbeiten. Früher habe ich zwei Wochen richtig hart trainiert und dachte, das reicht für die nächsten drei Monate. Es reichte aber nur für ein Turnier, und danach war ich physisch am Ende, was dazu geführt hat, dass ich Spiele verloren habe und dadurch auch meine Psyche litt. In Offenbach habe ich gelernt, mich professionell vorzubereiten, das zahlt sich jetzt aus. Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass ich jetzt nichts mehr schleifen lasse.

Die lange verletzte Andrea Petkovic, die beim Fedcup ihr Comeback gibt, hat für Sie auch eine wichtige Rolle gespielt. Was haben Sie von ihr gelernt?

Kerber: Die Andrea ist anfangs beim gemeinsamen Konditionstraining immer vorneweg gelaufen. Das war für mich ein riesiger Ansporn, härter zu arbeiten. Und sie hat mir immer Tipps gegeben, in allen Situationen. Sie war sehr wichtig für mich. Umso schöner ist es, dass sie jetzt wieder gesund ist.

+++ Info: Petkovic kehrt zurück +++

Persönliche Unterstützung erhalten Sie in Stuttgart auch von der Familie. Ihre Großeltern sehen Sie erstmals seit neun Jahren wieder live spielen.

Kerber: Ja, das bedeutet mir sehr viel. Meine Großeltern leben in Polen, verfolgen dort jedes Match, das ich spiele, aber live waren sie zuletzt dabei, als ich 15 war. Nun haben sie gefragt, ob es mir helfen würde, wenn sie nach Stuttgart kommen würden. Das freut mich und gibt mir Kraft.

Sie stehen mittlerweile auf Rang 14 der Weltrangliste und zählen zu den fünf erfolgreichsten Spielerinnen der Saison. Gibt es etwas, womit Sie sich selbst noch überraschen können?

Kerber: Dafür habe ich zuletzt zu viel erlebt. Ich habe mir auch keine bestimmte Weltranglistenposition oder irgendeinen Titel als Ziel gesetzt. Ich will mich kontinuierlich verbessern, dann kommt alles andere von allein. Aber wer weiß, vielleicht passiert ja schon an diesem Wochenende etwas, was mich überrascht. Man weiß im Tennis nie.