Heute beginnt in Australien die Formel-1-Saison 2012. McLaren und Mercedes wollen Titelverteidiger Red Bull vom Thron stürzen

Hamburg/Melbourne. 111 Tage liegen zwischen dem Saisonfinale in Brasilien 2011 und dem Großen Preis von Australien, mit dem am Sonntag das Formel-1-Jahr 2012 beginnt. 111 Tage, in denen elf Teams und Dutzende von Ingenieuren versuchten, den Rückstand zum Marktführer Sebastian Vettel und seinem Rennstall Red Bull wegzuknabbern. Ob das gelungen ist, wird sich möglicherweise schon heute zeigen, wenn der Formel-1-Jahrgang 2012 zum ersten Training im Albert Park in Melbourne ausrückt.

Die Experten sind sich einig: Red Bull dürfte erneut das Tempo diktieren. Auch wenn sich Sebastian Vettel vorsichtig äußerte: "Die ersten Rennen werden einen Trend zeigen." Trotzdem gilt für den Doppelchampion der vergangenen beiden Jahre natürlich: "Ich bin hier, um Weltmeister zu werden."

Als schärfster Konkurrent der roten Bullen wird McLaren genannt - das einzige Topteam, das gegen den Trend ohne Höcker in der Nase fährt und die Rennwagenfront mit einem eleganten, geschwungenen tief liegenden Bogen ausgerüstet hat. "Wir hatten eine sehr solide Vorbereitung", sagte Vizeweltmeister Jenson Button. "Ich glaube, an der Spitze wird es diesmal sehr eng zugehen." Direkt dahinter könnte in der neuen Hackordnung der Formel 1 schon Mercedes auftauchen.

Das erste Rennen haben die Schwaben jedenfalls schon vor dem Start gewonnen. Die Sportkommissare stuften die innovative Heckpartie des neuen Silberpfeils vom Typ W03 als legal ein. Das könnte bedeuten, dass die Mercedes-Technikabteilung um Teamchef Ross Brawn im Winter einen Trick ausgetüftelt hat, der den Rennwagen ein gutes Stück näher an die Spitze gebracht hat - eine jener "pfiffigen Ideen", die Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug am Mittwoch gegenüber dem Abendblatt angekündigt hatte. Die Konkurrenz sagte gestern, dass man das System möglicherweise kopieren werde. Mercedes hatte sein Ingenieurteam zur neuen Saison entscheidend verstärkt. Unter anderem heuerten der frühere Ferrari-Mann Aldo Costa und Geoff Willis (früher Red Bull) an.

Vom ersehnten ersten Sieg für die neuen Silberpfeile mag Ross Brawn aber noch nicht sprechen: "Das wäre wohl etwas zu optimistisch." Michael Schumacher allerdings sieht im dritten Jahr seines Comebacks die Lorbeeren nahen: "Unser Ziel ist es, Mercedes zum Sieger und Champion zu machen. Dafür bin ich gekommen." Motorsportchef Norbert Haug deutete immerhin an: "Wir waren noch nie so gut vorbereitet." Wegen der guten Perspektiven durfte Mercedes sogar seine Rennabteilung um einige Stellen aufstocken.

Seit Schumacher am 1. Oktober 2006 in China seinen 91. und bislang letzten Grand Prix gewann - damals noch für Ferrari -, hat es 92 weitere Formel-1-Rennen gegeben, von denen Sebastian Vettel allein 21 als Sieger beendete. Der Weltmeister der Gegenwart ist gerade mal 24 Jahre alt, Altmeister Schumacher fast zwei Jahrzehnte älter.

Die Red-Bull-Mechaniker holten sich gestern schon mal den Segen des britischen Könighauses in die Garage. Auf Sebastian Vettels Dienstwagen, den er am Vortag auf den Namen "Abbey" getauft hatte, stand eine Miniatur der Queen, die dauerlächelnd winkte. Ob die rasenden Dosen royalen Beistand benötigen oder ob Chefdesigner Adrian Newey wieder einmal gepokert hat und seine Karten erst heute aufdeckt, muss abgewartet werden. Bei den Rennsimulationen lag der neue Red Bull RB8 jedenfalls trotz kleinerer Pannen vorn.

Zum Geheimtipp haben die Formel-1-Gurus das neue Lotus-Team erkoren, das im Vorjahr noch unter dem Namen Renault unterwegs war. Nach zwei Jahren Pause auf den internationalen Rallyepisten ist der Finne Kimi Räikkönen auf die Asphaltpiste zurückgekehrt und fuhr auf Anhieb zweimal Tagesbestzeit bei den Tests. Nichts habe sich verändert, meinte der Weltmeister von 2007, auch wenn er gelegentlich Schwierigkeiten habe, am technisch überfrachteten Lenkrad die richtigen Knöpfe zu drücken.

Ganz am Ende der Prognosen steht dagegen Ferrari. Während die Italiener Probleme mit ihrem neuen Auto eingeräumt haben, übernahm Teamleader Fernando Alonso die Mutmacherrolle: "Wir müssen im November einen Punkt vor dem Zweiten sein."

Unklar bei allen Vorhersagen bleibt die Rolle der Reifen. "Die Teams wollten eine Herausforderung", sagt Pirelli-Motorsportdirektor Paul Hembery. Und das hat der Monopolausrüster getan. Für Australien lieferte der italienische Hersteller noch weichere Gummimischungen als im vergangenen Jahr. Ein sanfter Fahrstil ist gefragt. Kein Problem für Vettel.