Magdalena Neuner hat bei den Biathlon-Weltmeisterschaften schon den Satz aus Gold, Silber und Bronze gewonnen. Die Männer enttäuschen

Ruhpolding. Sie hat es doch allen so oder ähnlich vorhergesagt. "Ich genieße das hier", gurrt Magdalena Neuner, 25. Die Fragen nach dem großen Druck und dem erdrückenden Trubel verflüchtigen sich in einem Augenaufschlag der zweimaligen Olympiasiegerin und seit Sonnabendnachmittag auch elfmaligen Weltmeisterin.

Den zwölften Titel verfehlte sie 24 Stunden später nur knapp, nach Gold im Sprint spurtete sie in der Verfolgung auf Platz zwei. Das letzte Schießen hatte die Entscheidung gebracht. Während ihre weißrussische Dauerrivalin Darja Domratschewa fehlerfrei blieb, ließ Neuner zwei Scheiben stehen. Der erste Fehlschuss hinterließ nicht einmal einen Abdruck auf der Umrandung, sodass die deutsche Mannschaftsführung gar einen Protest erwog, weil sie glaubte, dass wie schon in der Mixed-Staffel die Technik versagt hatte. Der erste Schuss schlug aber deutlich und deshalb spurlos unterhalb des Ziels ein. "Am Ende hat sich bei mir etwas die Nervosität eingestellt", bilanzierte Neuner. "Es ist nicht so, dass ich sagen würde, die Fehler würden mich nicht ärgern. Die muss ich treffen." Sie schoss schnell, aber Domratschewa zielte genauer, in der Loipe waren sie sich ebenbürtig, Neuner achtete darauf, dass die Zweite des Sprints nie näher als sieben Sekunden an sie herankam.

"Vielleicht war es heute ein ganz kleines bisschen zu viel" der großen Erwartungen, räumte Neuner am Ende doch einem französischen Journalisten gegenüber ein, aber eigentlich verlaufe alles so, wie sie es sich vorgestellt habe. Sie schnauft durch die Loipe wie ein hungriges Reh, vor und nach ihren Rennen scheint sie sich in einem dauerhaften Schwebezustand zu befinden. "Mit allen Zellen" saugt sie das Glück auf, das diese Weltmeisterschaft in Ruhpolding für sie bereithält, hat sie ohne jedes Pathos bekannt. Sie hofft nicht ohne Demut auf mehr Medaillen. "Wie das farblich aufgeteilt wird, wird man sehen."

Was soll sie auch mutmaßen? Diese Frau ist mit sich so sehr im Reinen, dass sie selbst im Einzelrennen ein Platz unter ferner liefen nicht aus der Bahn werfen würde. Es fügt sich alles wie von selbst. Am Freitag nach der Mixed-Staffel wachte sie schon eine Stunde vor dem Weckerklingeln auf, das Adrenalin trieb sie aus dem Bett, um ein bisschen mehr Zeit zu haben für die Vorbereitungen auf ihr erstes Rennen und die Nebentätigkeiten eines umjubelten Stars: Autograme schreiben, Bilder signieren.

Was bei den Olympischen Spielen im großen Gezerre und persönlichen Trübsal endete, erträgt sie nun mit Grandezza. Sie lief am Sonnabend im Sprint ein "perfektes Rennen", wie sie fand. Auch den Umgang mit der Heldenverehrung hat sie perfektioniert. "Ich kann jetzt viel entspannter damit umgehen." Das fängt schon morgens an, wenn sie in ihren Audi A6 steigen und die zehn Minuten vom Mannschaftshotel in Maiergeschwendt bis ins Herz der Chiemgau-Arena vorfahren kann. Wenn sie aussteigt, kommt sie wie eine Heilige auf Ruhpolding nieder, wo vor den Rennen am Sonntag noch die Sonntagsmesse im Pressezentrum in HD über die Flachbildschirme flimmerte.

28.000 Fans in der Chiemgau-Arena schrien ihre Bewunderung heraus, ihren Betreuerstab haben die makellosen Auftritte längst sprachlos gemacht. "Da fehlen einem die Worte", bewunderte Frauen-Trainer Gerald Hönig besonders die "Kaltschnäuzigkeit".

Früher verteilte sich die Aufmerksamkeit fast gleichmäßig auf die deutschen Teamkolleginnen, in Ruhpolding können selbst die zweimalige Olympiasiegerin Andrea Henkel, die nach Neuners Rücktritt das Team führen soll, Miriam Gössner, Tina Bachmann und Franziska Hildebrand nahezu unbehelligt in die Umkleide schleichen. Die Plätze 11 (Henkel), 14 (Bachmann), 22 (Gössner) und 47 (Hildeband) sind schon "ernüchternd", bekannte Hönig.

Was für Neuners Kolleginnen gilt, lässt sich auf das gesamte Männerteam übertragen. Weder Arnd Peiffer noch Andreas Birnbacher oder Michael Greis hinterließen den Eindruck, dass sie beim Saisonhöhepunkt auf der Höhe sind. Fast apathisch stapften sie nach überstandener Mühsal durch den nassen Schnee - im Gegensatz zu Doppel-Weltmeister Martin Fourcade. Der Franzose riss sich nach seinem zweiten Triumph in der Verfolgung die Skier nach dem Zielstrich von den Füßen und stürmte auf die Fotografen zu.

+++ Neuner holt Silber - Männer mit Schadensbegrenzung +++

Unmittelbar nach dem Männerrennen am Sonnabend rief DSV-Sportdirektor Thomas Pfüller eine Sitzung des Wachsteams zusammen, keine Krisensitzung, wie er betonte. Aber es ging um eine falsche Materialwahl. "Wenn man nach der ersten Zwischenzeit 18 Sekunden hinter der Spitze liegt", könne etwas nicht stimmen, schloss Pfüller. Sprint-Titelverteidiger Peiffer sagte: "Es gibt Phasen, da funktioniert gar nichts. Und es gibt Phasen, da funktioniert alles - wie bei der Lena." Immerhin verbesserte sich Peiffer noch von Rang 37 im Jagdrennen um 20 Plätze. Michael Greis machte von Platz 26 drei Positionen gut. WM-Debütant Simon Schempp stürmte von 19 auf neun.

Vielleicht sollten sie zum nächsten Gesprächstermin Magdalena Neuner bitten. Sie lebte auch nach ihrer kleinen Niederlage Leichtigkeit vor: "Ich habe mir vorgenommen, wieder mit Spaß ins Rennen zu gehen und bei mir selbst zu bleiben. Das ist mir nicht ganz gelungen. Aber ich habe ja schon einen ganzen Medaillensatz, was will ich mehr?"

Die Mentalität der Fans bringe es mit, dass sie mit Silber und Bronze nicht zufrieden seien, "aber für mich zählt Silber genauso viel. Ich wollte sechs Medaillen, und das ist immer noch möglich." Fortsetzung folgt im Einzelrennen am Mittwoch.