Michael Vesper, Chef de Mission der deutschen Olympiamannschaft, hofft auf stärkere Unterstützung der Wirtschaft und lobt Hamburgs Sportpolitik.

Hamburg. Michael Vesper, 59, ist bei den Olympischen Sommerspielen in London (27. Juli bis 12. August) zum zweiten Mal Chef de Mission der deutschen Mannschaft. Im Ruder-Club Allemannia an der Außenalster traf der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gestern Abend die Olympiakandidaten des Teams Hamburg/London. "Ich möchte zu meinen Lebzeiten noch einmal Olympische Spiele in Deutschland erleben", sagte Vesper auf dem Empfang.

Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Vesper, wir haben nicht erst seit Stuttgart 21 den Eindruck, dass es in Deutschland grundlegende Skepsis gegenüber Großprojekten gibt. Was bedeutet das für Ihre olympischen Ambitionen?

Michael Vesper: Wir haben im Beschluss unserer Mitgliederversammlung im Dezember festgestellt, dass es für eine erfolgreiche Bewerbung eine positive Grundstimmung zur olympischen Idee braucht. Deshalb haben wir uns zum Ziel gesetzt, die deutsche Olympiamannschaft noch stärker in den Mittelpunkt unserer Kommunikation zu rücken. Eines ist doch klar: Während der Spiele selbst ist Olympia überaus populär, auch bei uns. Da steht die Begeisterung der für den Fußball nicht nach. Es geht darum, sie auch in der Zeit dazwischen auf hohem Niveau zu halten.

Ist die Münchner Bewerbung für die Winterspiele 2018 auch an der mangelnden Begeisterung gescheitert?

Vesper: Nein. Die Begeisterung war sehr groß. Im Übrigen ist München nicht gescheitert. Vielmehr hat sich Pyeongchang im dritten Anlauf durchgesetzt. Es war keine Wahl gegen München, sondern eine für Pyeongchang.

Trotzdem halten Sie sich mit einer erneuten Kandidatur für 2022 zurück.

Vesper: Derzeit können wir keine seriöse Entscheidung treffen. Es fehlen grundlegende Informationen, um unsere Chancen abzuwägen. Dazu gehört die Frage, wer die anderen Kandidaten sind und wer sich im Rennen um die Sommerspiele 2020 durchsetzt. Natürlich muss die politische und finanzielle Unterstützung gewährleistet sein. Wir haben noch bis Ende 2013 Zeit, unser Interesse zu signalisieren. Wir könnten dann auf unsere grundlegenden Planungen für 2018 zurückgreifen, die auf einhellige Zustimmung gestoßen sind.

Offenbar waren nicht alle überzeugt.

Vesper: Dass Winterspiele einen massiven Eingriff in die Natur mit sich bringen können, davon konnte ich mich erst kürzlich in Sotschi überzeugen. Unsere Idee war, die Spiele umweltverträglich zu gestalten. Diese Vision gälte auch für Sommerspiele, das sind wir Deutschen unserem ausgeprägten ökologischen Bewusstsein schuldig.

Welche Erfolgsaussichten hätte eine Hamburger Bewerbung heute noch?

Vesper: Olympia kann nicht am Anfang, sondern nur am Ende eines Prozesses stehen. Bevor man über Olympia nachdenkt, sollte man erst kleinere Veranstaltungen erfolgreich ausgerichtet haben. Mir ist sehr sympathisch, dass sich der neue Hamburger Senat dieses Prinzip zu eigen gemacht hat. Die Dekadenstrategie, die mir Senator Michael Neumann vorgestellt hat, ist der richtige Weg, und er ist auch glaubwürdig.

Deutschland hat in vielen Mannschaftssportarten die Qualifikation für London verpasst. Welche Lehren sind daraus zu ziehen?

Vesper: Richtig ist, dass sich bisher von zwölf Möglichen erst zwei qualifiziert haben: Hockeyherren und -damen. Drei weitere haben alle Chancen: die beiden Volleyballteams und die Wasserballmänner. Das ist weniger als früher, aber wir haben realistisch betrachtet nur eine ernsthafte Medaillenchance verloren. Das sind die Fußballfrauen. Für unser Abschneiden in der Nationenwertung spielen die Teams eine eher untergeordnete Rolle. Die aktuelle Situation ist für andere Olympiateilnehmer die Chance, stärker in den Fokus zu rücken.

Wo steht der deutsche Sport im Jahr 2012 im Vergleich zu anderen Nationen?

Vesper: Wir sind nach wie vor eine der führenden Sportnationen: im Winter, wo wir ganz vorn mitmischen, wie im Sommer. Es wird aber immer schwerer, den Status zu halten, weil andere Nationen nachrücken. In Athen 2004 haben noch 74 Nationen Medaillen gewonnen, in Peking 2008 schon 86. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Umso mehr brauchen wir Förderung auf allen Ebenen.

Wie steht es darum?

Vesper: Erfreulicherweise hat der Bund im Zuge seiner Haushaltskonsolidierung die Sportförderung nicht angetastet. Das betrifft auch die rund 1000 Sportförderplätze bei der Bundeswehr und der Bundespolizei. Aber wenn wir uns langfristig in der Spitze halten wollen, brauchen wir Zuwächse.

Finanzieller Art oder andere Fördermodelle, eine Rente für Spitzensportler?

Vesper: Wir haben erfreulicherweise keinen Staatssport, deswegen kann und wird es keine Rente für erfolgreiche Sportler geben. Wichtiger ist das Thema der dualen Karriere. Wir müssen den Athleten die Möglichkeit geben, auch während ihrer Laufbahn das berufliche Fortkommen nicht aus den Augen zu verlieren. Deshalb haben wir die Eliteschulen des Sports ins Leben gerufen, eine Vereinbarung mit den Hochschulen getroffen und Sportförderung in Polizei und Bundeswehr etabliert. Aber es muss noch mehr entsprechende Angebote aus der Wirtschaft geben. Die leistungsorientierten und hoch motivierten Spitzensportler sind für jedes Unternehmen ein Gewinn. Das erkennen immer mehr Betriebe.

Die Wirtschaft geizt dennoch weiter mit derartigen Offerten.

Vesper: Wir sind noch nicht am Limit, ja, doch diese Arbeitsplätze für Spitzensportler werden von den Unternehmen zunehmend angeboten.

Sie setzen auf ein duales System, auf Sport und Beruf, die Briten dagegen auf den Vollprofi. Ist das duale System nicht auch eine Doppelbelastung?

Vesper: In der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung auf London können sich die Mitglieder unseres DOSB-Top-Teams 2012 ebenfalls voll auf die Spiele konzentrieren. Um dies zu ermöglichen, spielen viele Partner zusammen. Die Sporthilfe mit einer ausgeweiteten Förderung, aber auch regionale Teams wie das in Hamburg helfen dabei. Außerdem sind Unternehmen bereit, ihre Sportler in der Zeit vor den Spielen freizustellen. Die Förderung der dualen Karriere ist aber langfristig angelegt und muss vor diesem Hintergrund bewertet werden. Sportler dürfen nicht die Zeit nach ihrer Laufbahn aus dem Blick verlieren. Dabei helfen wir ihnen.

Sie wollen das Thema Olympia zwischen den Spielen stärker in der öffentlichen Wahrnehmung verankern. Wird das künftig die DOSB New Media GmbH leisten, die ihren Geschäftssitz nach Hamburg verlagern soll?

Vesper: Noch sitzt sie in Frankfurt. Es gibt Überlegungen, den Standort zu wechseln. Hamburg ist eine Option, weil hier viele New-Media-Firmen angesiedelt sind. Wir loten gerade Synergieeffekte aus. Die New Media GmbH soll uns helfen, Kanäle zu entwickeln, um unsere Themen gezielt zu verbreiten. Soziale Medien werden immer bedeutsamer und werden auch in London eine große Rolle spielen. Das haben wir gerade bei den Olympischen Jugendspielen in Innsbruck gesehen. Da wurde getweetet und gepostet, was das Zeug hält. Die Athleten gehen mit den neuen Medien ganz selbstverständlich um.

Ist es denkbar, dass der DOSB diese neue Plattform nutzt, um irgendwann eine Internet-Sportschau zu produzieren?

Vesper: Es geht bei der DOSB New Media auch um Bewegtbilder, aber das Internet ist keine Plattform für eine traditionelle Sportschau. Vielmehr geht es darum, vorhandene Inhalte zu bündeln, sodass sie für die Sportfans leichter auffindbar sind und nicht der Volleyball-Fan an der einen Ecke des Internets suchen muss und der Judoka an der anderen. Die Initiative dient zudem dazu, mehr Bewegtbilder fürs Internet entstehen zu lassen. Da sind auch die Spitzensportverbände gefordert, die entsprechende Produktionen von Meisterschaften oder Bundesligaspielen anbieten müssten. Wir helfen dann bei der Vernetzung. Der Sport ist das größte analoge Netzwerk unseres Landes. Dies auch digital abzubilden ist unser Ziel.