Der deutsche Handball sucht Wege aus der Krise. Aber für Einschnitte nach dem EM-Aus fehlt das Personal. Heuberger soll Bundestrainer bleiben.

Belgrad. Das Wetter beim Abschied aus Belgrad passte zur niedergeschlagenen Stimmung der deutschen Handballnationalmannschaft. Heftiger Schneefall hatte die serbische Hauptstadt in den Morgenstunden zum Teil lahmgelegt, die in der Nacht umgebuchten Rückflüge nach München, Stuttgart, Frankfurt und Berlin verzögerten sich am Mittag. Die waren ohnehin erst für den kommenden Montag geplant, doch kostete zunächst die Niederlage gegen Polen im letzten Hauptrundenspiel den Einzug ins Halbfinale, und dann brachten die Ergebnisse der Konkurrenz die Deutschen auch noch um den letzten freien Platz in den drei olympischen Ausscheidungsturnieren im April. Den spielen heute in Belgrad die Gruppendritten der beiden Hauptrunden aus, Slowenien und Mazedonien. Spanien gegen Dänemark und Serbien gegen Kroatien bestreiten danach das Halbfinale. Im Gesamtklassement der Europameisterschaft belegte das Team von Bundestrainer Martin Heuberger Platz sieben, drei Ränge besser als bei den kontinentalen Titelkämpfen vor zwei Jahren in Österreich.

Das als Fortschritt anzusehen fiel allen Beteiligten am Tag nach dem vorzeitigen EM-Aus schwer, obwohl Resultat und Auftreten die zuvor bescheidenen Erwartungen eher übertroffen hatten. Nach dem anfangs glücklichen Turnierverlauf hätte es schon das Halbfinale sein sollen. Dass die Mannschaft gegen Dänemark (26:28) und gegen Polen (32:33) gleich zwei Matchbälle im Kampf um den Einzug in die Runde der letzten vier vergeben hatte, machte die Analyse nicht leichter. Pech, Unvermögen, Schiedsrichter, Nerven, eine Mischung aus diesen Faktoren mag eine Rolle gespielt haben, meinte Mannschaftsführer Pascal Hens.

Der Hamburger dürfte gegen Polen sein letztes Länderspiel bestritten haben. Dass der Deutsche Handball-Bund (DHB) seinem Weltmeister von 2007 als Dank für dessen Verdienste noch den 200. Einsatz im Nationaltrikot gönnt, ist nicht auszuschließen. Hens ist eben keiner wie Fußballprofi Michael Ballack, er war in Serbien trotz aller sportlichen Rückschläge ein vorbildlicher Kapitän.

+++ Das Ende aller Träume +++

Während Hens, 31, selbst an Abschied denkt, will der Bundestrainer seine Mission weiterverfolgen. "Ich möchte, wenn man mich lässt, eine Mannschaft aufbauen, die irgendwann wieder um den Titel spielt", sagte Heuberger, 47. Der Verband wird ihn wohl lassen, mindestens bis zum Vertragsende 2014. "Stand heute", sagte Horst Bredemeier, Vizepräsident Leistungssport des DHB, "bleibt er unser Bundestrainer. An ihm lag es nicht." Heuberger habe mutig gecoacht, die Mannschaft auf jedes Spiel akribisch vorbereitet und sie hervorragend motiviert.

Das sehen die Nationalspieler ähnlich. "Der Bundestrainer hat einen ausgezeichneten Job gemacht", sagte Oliver Roggisch, 33, von den Rhein-Neckar Löwen. "Auch taktisch", ergänzte Vorgänger Heiner Brand, "hat Martin im Prinzip keine falschen Entscheidungen getroffen." Brand, inzwischen DHB-Manager, Bredemeier und Heuberger wollen in den nächsten Wochen die Europameisterschaft analysieren.

Die Erkenntnis, dass etwas schiefläuft im deutschen Handball, ist nicht neu. Brand hatte bereits als Bundestrainer nach dem WM-Sieg 2007 die Verantwortung der Vereine bei der Ausbildung junger Spieler gebetsmühlenartig angemahnt, als Manager wiederholt er seine Forderungen: "Wir müssen unsere Begabtesten stärker fördern. Dazu gehören individuelle Übungseinheiten in den Bundesligaklubs, die in Abstimmung mit unseren Trainern geleistet werden sollten. Nachgewiesenermaßen sind in den vergangenen Jahren zu wenige Talente von unten nach oben gekommen. Ändern wir das nicht, wird sich nichts bessern. Das schaffen wir aber nur in enger Kooperation mit den Vereinen." Mit einem Programm zur Eliteförderung will der DHB seine Talentschulung systematisieren. Brand arbeitet gerade an den Details.

Ein Neuaufbau der Nationalmannschaft dürfte sich selbst bei gutem Willen aller Beteiligten schwierig gestalten. Bis auf Torhüter Johannes Bitter, Spielmacher Michael Kraus (beide HSV Hamburg) und Rückraumschütze Christian Zeitz (THW Kiel) waren sie derzeit Besten in Serbien. Bitter und Zeitz wollen nicht mehr für Deutschland spielen, Kraus fehlte nach langer Verletzungspause die Form. Auf seiner Position mangelt es den Deutschen am meisten an Kreativität. Der Göppinger Michael Haaß gab bei der EM dennoch einen für viele überraschend guten Regisseur. Im Spiel gegen Polen brach er sich drei Minuten vor Schluss das Sprunggelenk, als Krzysztof Lijewski, von Dominik Klein geschubst, unglücklich auf ihn fiel.

Auf der Suche nach Alternativen fallen in diesen Tagen nur zwei Namen: Christian Dissinger und Hendrik Pekeler, beide 20, beide unter Heuberger im vergangenen Jahr Juniorenweltmeister. Bezeichnend: Dissinger, ein Halblinker und damit potenzieller Hens-Ersatz, musste von Bundesliga-Absteiger Friesenheim in die Schweiz zu den Kadetten Schaffhausen wechseln, um Einsatzzeiten zu erhalten, die ihm in Deutschland kein Erstligaklub garantieren wollte. Wegen eines Kreuzbandrisses ist auch für ihn die Saison beendet. Kreisläufer Pekeler wiederum bewährt sich beim Bundesliga-Aufsteiger Bergischer HC. Vom 1. Juli an hat ihn Lemgo unter Vertrag genommen.

Bob Hanning, Manager des Bundesligazweiten Füchse Berlin, warnt jedoch vor Schreckensszenarien. "Der deutsche Handball hat das Potenzial zum Olympiasieg", sagte der Vizepräsident der Handball-Bundesliga, "wir müssen es nur gemeinsam erschließen, der DHB, die Landesverbände und die Bundesliga." Was jetzt zu tun sei, dafür hat Hanning "einige Ideen". Die wolle er zunächst intern diskutieren. "Zuletzt sind viele Entscheidungen getroffen worden, die in die richtige Richtung gehen. Wenn wir es weiter schaffen, Sachliches von Persönlichem zu trennen, sind wir auf einem guten Weg." Das Olympia-Aus sei ein Rückschlag, "doch in jedem Schicksal steckt eine Chance, also auch in unserem. Die haben wir jetzt. Wir müssen sie nur nutzen."