Gegen Mazedonien droht der deutschen Handball-Nationalmannschaft heute eine historische Niederlage und schon das Aus für London 2012.

Nis. Der Weg zum Hotel Tami geht die letzten 500 Meter steil nach oben. Vom Vier-Sterne-Quartier der deutschen Handball-Nationalmannschaft hat der Betrachter einen wunderschönen Blick über die Stadt Nis und auf die umliegenden Bergketten. Ganz unten im Zentrum ist die Sporthalle Cair zu erkennen, in dem die Auswahl von Bundestrainer Martin Heuberger zum Auftakt der Europameisterschaft am Sonntagabend gegen Tschechien 24:27 verloren hatte. 3,61 Millionen Zuschauer sahen das Spiel im ZDF, was einen Marktanteil von 14,8 Prozent bedeutete.

Dass die deutschen Handballer - mit allem Respekt - auf andere herabschauen können, ist ihnen sportlich schon seit einigen Jahren nicht mehr vergönnt. Jetzt droht dem Weltmeister von 2007 in Serbien sogar eine historische Pleite. Bisher hat noch nie eine deutsche Männermannschaft die Teilnahme an Olympischen Spielen verpasst, und wenn die Wende zum Besseren nicht umgehend gelingt, müssten bereits heute nach dem zweiten Vorrundenspiel gegen Mazedonien (18.15 Uhr, ARD live) alle derartigen Hoffnungen begraben werden. Nur mit einem Sieg können die Deutschen ihre Chance auf London wahren. Neben den EM-Titel und Medaillen werden bis zum 29. Januar in Serbien auch die letzten zwei europäischen Plätze für die drei olympischen Qualifikationsturniere im April ausgespielt.

"Das ist jetzt eine Situation, die wir nicht wollten", sagt Horst Bredemeier, der Vizepräsident Leistungssport des Deutschen Handballbundes und ehemalige Bundestrainer. "Eine Mannschaft kann unter diesem Druck durchaus wachsen. Darauf müssen wir setzen. Als wir 2004 Europameister wurden, sind wir ebenfalls mit einer Niederlage ins Turnier gestartet." Nun glaubt Bredemeier nicht ernsthaft, dass die heutige Auswahl um den Titel mitwerfen könnte, das Potenzial, sich für Olympia zu qualifizieren, sieht er dennoch. "Wir haben gegen die Tschechen vieles richtig gemacht", sagt dann auch Bundestrainer Heuberger, "nur die Chancenverwertung und unser Spiel in Überzahl war katastrophal. Das hat uns das Genick gebrochen. Wir können es besser."

Christophersen: "Wir haben kein mentales Problem"

Die Tschechen hätten sich kopfüber mit dem Ball ins Tor geschmissen, "wir dagegen haben den einen oder anderen Heber oder Dreher zu viel versucht. Das war der kleine Unterschied." Was wie eine versteckte Anklage über fehlende Leidenschaft und Einsatzbereitschaft klingt, will Heuberger anders verstanden wissen: "Der Wille dieser Mannschaft ist über jeden Zweifel erhaben. Jeder hängt sich voll rein. Gegen die Tschechen mangelte es uns bei einigen Aktionen aber an der letzten Konsequenz." Das sei eine Frage des Selbstbewusstseins, der Sicherheit und der Überzeugung, und all dies schien am Sonntag mit den ersten verworfenen Bällen verloren gegangen zu sein.

Wobei wir bei einem zentralen Problem des deutschen Handballs sind. In der Bundesliga, der stärksten Liga der Welt, stehen meist die ausländischen Profis in der Verantwortung. Den deutschen Nationalspielern wird oft erst nach Jahren diese Rolle anvertraut. Entsprechend fehlt vielen die nötige Erfahrung und Abgeklärtheit, um sich in kritischer Lage behaupten können. Einer, der als Leitmedium in der Nationalmannschaft ausersehen ist, ist Pascal Hens, der Kapitän. Der Hamburger Rückraumschütze ist bereit, Führung zu übernehmen. Ihm gelang das zuletzt immer öfter, gegen Tschechien jedoch schien er sich selbst zu stark unter Druck gesetzt zu haben. Als es bei ihm nicht lief, seine Anspiele misslangen und er zweimal mit seinen Würfen nur den Pfosten traf, erzählt er, habe er angefangen zu grübeln, an sich zu zweifeln und sich mit sich selbst zu beschäftigen. Lars Kaufmann musste Hens nach 17 Minuten ersetzen. Mit fünf Treffern war der Flensburger am Ende bester deutscher Werfer. Kaufmann aber ist kein Führungsspieler. "Uns fehlt es in den kritischen Momenten an der richtigen Körpersprache", sagt der Berliner Spielmacher Sven-Sören Christophersen, "gerade wenn wir in Rückstand liegen, darf die Anspannung nicht nachlassen. Dann müssen wir weiter Aggressivität ausstrahlen."

Es sei deshalb nur der eine oder andere Mosaikstein, der für die nächsten Begegnungen anders zusammengesetzt werden müsste, dann würde sich der Erfolg rasch wieder einstellen. Kleinigkeiten also. Zum Beispiel beim schnellen Gegenstoß. "Da haben wir den Ball oft nicht zielgerichtet nach vorn gespielt, einen Querpass zu viel eingelegt und uns damit die Möglichkeit genommen, einfache Tore zu erzielen", moniert der Kieler Linksaußen Dominik Klein. Querpässe bei Tempogegenstößen sind Ausdruck mangelnden Selbstbewusstseins. Ein Manko, das sich durch das deutsche Spiel zog.

Mazedonien könnte für die deutschen Handballer heute das Finale für Olympia werden. 4000 sangesfreudige Fans, alle rot-gelb gekleidet, die überwältigende Mehrheit unter den 4800 Zuschauern, werden heute den Gegner enthusiastisch unterstützen. "Das wird eine spezielle Atmosphäre", weiß Hens, "wenn wir die Halle ruhigstellen, sind wir auf dem richtigen Weg. Wir müssen den Druck, der von den Rängen kommt, in Motivation umsetzen, dann klappt es. Wir freuen uns alle auf dieses Spiel." So reden eigentlich nur Sieger. Und das macht am Tag nach der ernüchternden Niederlage gegen Tschechien wieder ein wenig Hoffnung.