Jean-Pierre Staelens, Volleyballtrainer des VT Aurubis, zieht seine Hinrundenbilanz und erklärt, was besser werden muss.

Hamburg. Mit dem Heimspiel gegen Alemannia Aachen schließen die Bundesliga-Volleyballerinnen des VT Aurubis heute (20 Uhr, CU-Arena) die Hinrunde ab. Der niederländische Cheftrainer Jean-Pierre Staelens, 56, erklärt im Interview, wie er sein Team in der Rückserie verbessern will.

Hamburger Abendblatt: Herr Staelens, die Spiele gegen die Top vier der Liga alle verloren, die Pflichtaufgaben nicht immer souverän gelöst, im Pokal im Viertelfinale gescheitert - zufrieden können Sie mit der Hinrunde nicht sein, oder?

Jean-Pierre Staelens: Das stimmt. Aber ich möchte Sie bitten, zum einen nicht zu vergessen, dass wir von den besten vier Klubs der Liga nur Schwerin in unserer Halle zu Gast hatten, und das war ein sehr enges Spiel, das wir unglücklich 2:3 verloren haben. Zum anderen finde ich es etwas respektlos, vor Spielen gegen Potsdam, Stuttgart oder auch unserem heutigen Gegner Aachen von Pflichtsiegen zu sprechen. Das sind alles Teams, die sich entwickelt haben und die während der Saison stärker werden. Die Liga ist so ausgeglichen und hat sich im Niveau dermaßen gesteigert, dass Rang fünf, den wir derzeit belegen, in der vergangenen Saison Platz zwei oder drei gewesen wäre.

+++ VT Aurubis Hamburg: Der Star ist die Halle +++

Die Zielsetzung, die Sie, Ihr Team, Hauptsponsor Aurubis AG und der Verein sich gegeben hatten, war aber das Erreichen der Top vier. Spüren Sie im Umfeld eine Grundunruhe, weil dieses Ziel schon wieder verfehlt zu werden droht?

Staelens: Diese Unzufriedenheit ist da, das weiß ich. Nach unserem 3:0 gegen Potsdam am vergangenen Dienstag musste ich mir im VIP-Raum wegen der knappen Sätze einiges anhören. Da fühlte ich mich wie der Nationaltrainer der niederländischen Fußball-Auswahl. Die muss auch nicht nur gewinnen, sondern dominieren und vor allem schön spielen. Das ist anstrengend. Andererseits kann ich die Fans auch verstehen. Sie erwarten von uns mehr, als wir bislang erreicht haben.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Team unter dem Druck der Vorgaben leidet?

Staelens: Nein, gar nicht. Im Gegenteil, die Mannschaft teilt dieses Ziel. Wir wollen uns für den Europapokal qualifizieren. Dafür könnte zwar in dieser Saison schon Platz fünf reichen, aber sicher ist man als Vierter, und das wollen wir schaffen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch die anderen Klubs sich verbessern wollen. Deshalb muss man entweder sehr viel Geld oder sehr viel Zeit investieren, um sich signifikant zu verbessern. Als Trainer weiß ich aber, dass beides nicht da ist.

Sind Sie mit den finanziellen Anstrengungen von Aurubis also unzufrieden?

Staelens: Überhaupt nicht, im Gegenteil, einen besseren Partner kann ein Verein nicht haben. Ich bin sehr froh, dass Aurubis seinen Vertrag bis 2014 verlängert hat. Aber wir brauchen, um auf Topniveau zu kommen, eine breitere Basis an Sponsoren. Mit der neuen Halle ist ein Umfeld geschaffen, das uns alle Möglichkeiten bietet. Nun müssen wir in den Europapokal, um auch für Spielerinnen von internationalem Spitzenformat interessant zu werden. Ich hatte im Mai eine Wunschliste erstellt, auf der einige Spielerinnen standen, die jetzt bei anderen Klubs für Furore sorgen. Dennoch will ich nicht klagen, denn ich glaube, dass wir das Team durch die Neuzugänge auf jeder Position verbessert haben.

Was fehlt denn dann noch, um den entscheidenden Schritt zu gehen?

Staelens: Vor allem der Glaube an sich selbst und das Vertrauen in die eigene Stärke. Alle meine Spielerinnen haben Qualitäten, die sie bislang noch nicht in vollem Umfang abrufen.

Wie schaffen Sie es, dieses Vertrauen aufzubauen und zu stärken?

Staelens: Indem wir im Training die Qualitäten verbessern und die Schwächen vermeiden. Ich analysiere alle Spielerinnen vor einer Saison mithilfe eines Charaktertests aus den Niederlanden, der sich Action Type nennt. So kann ich herausfinden, auf welche Art der Ansprache sie reagieren, wo die individuellen Stärken und Schwächen liegen, wie sie sich in ein Team einpassen. Auf dieser Basis erstelle ich eine Liste mit Plus und Minus. Alles, was unter Plus steht, versuche ich im Training ständig zu wiederholen. Alles, was unter Minus steht, vermeiden wir. Positive Wiederholung schafft Vertrauen in die eigene Stärke.

Im Spiel lässt sich das aber doch nicht einfach so selektieren.

Staelens: Das stimmt, deshalb ist es meine Aufgabe, ein Spielsystem zu finden, das es uns ermöglicht, unsere Stärken so gut wie möglich zu betonen. Aber natürlich spielen in einem Spiel viele Faktoren eine Rolle. Der Gegner vor allem, aber auch die Zuschauer. Wenn die Stimmung in der Halle positiv ist, wirkt sich das auf mein Team sofort aus, dann geht vieles leichter.

Ihre Tochter Kim, eine Weltklasse-Zuspielerin, ist seit dieser Saison in Hamburg. Sie wirkt bisweilen noch wie ein Fremdkörper, weil manche ihrer Aktionen für die Mitspielerinnen einfach zu schnell gehen. Gibt es manchmal Probleme mit Neid oder Eifersucht, gerade weil sie die Tochter des Trainers ist?

Staelens: Bislang habe ich das nicht bemerkt, und glauben Sie mir, dass ich recht gut weiß, was im Team gesprochen wird, und das nicht dank Kim. Für sie und mich spielt das Familienverhältnis keine Rolle, wir reden nie darüber. Dennoch sind wir uns bewusst, dass es eine Rolle spielen könnte, weil viele das erwarten. Meine Aufgabe ist klar: Ich muss Kim gegenüber fair bleiben. Sie darf weder bevorzugt noch benachteiligt werden, weil sie meine Tochter ist. Dem Team habe ich gesagt: Ich habe im Volleyball zwölf oder 14 Töchter, weil ich jede von euch so schützen werde, als wäre sie mein eigenes Kind.

Sie waren als Spieler in Belgien siebenmal Meister, achtmal Pokalsieger, Sie wissen, was Teambuilding heißt und kennen die meist raue Ansprache in Männermannschaften. Ist es schwieriger, Frauen zu motivieren und zu führen?

Staelens: Manchmal sicherlich, aber für mich ist die Herausforderung größer, mit Frauen zu arbeiten. Frauen brauchen intensivere Betreuung, sie hinterfragen mehr. Männer halten Absprachen ein, Frauen müssen stets daran erinnert werden. Ich benutze manchmal Bilder, die den Mädels fremd sind, zum Beispiel wenn ich sage, dass wir wie Soldaten sein müssen, die hinter der feindlichen Linie kämpfen. Da kann man nur überleben, wenn jeder für den anderen kämpft und jeder jedem vertraut. Dass es im Sport im übertragenen Sinn aufs Überleben ankommt, das war einigen hier fremd. Aber erst wenn diese Einstellung vorherrscht, dann weiß ich, dass die Grundbedingungen für Erfolg gegeben sind. Jede Spielerin weiß, dass das Gefühl, zu verlieren, weil man nicht alles gegeben hat, für den größten Frust sorgt. Wer geschlagen wird, weil der andere besser war, kann damit besser leben als der, der verliert, weil er nicht alles gegeben hat.

Was können Sie tun, wenn diese Einstellung fehlt?

Staelens: Im Training frage ich manchmal, wenn es nicht läuft: Musst du hier sein, oder willst du es? Verpflichtung sorgt für Stress, Wille gibt Freiheit. Und wenn jemand mal nicht das Gefühl hat, dabei sein zu wollen, dann darf er sich eine Pause nehmen. Bei mir hat auch jede Spielerin das Recht, im Training eine Auszeit anzusagen und anzusprechen, wenn etwas falsch läuft. Man kann nur Erfolg haben, wenn jeder mehr gibt, als er nimmt. Dieses Bewusstsein, sich verbessern zu wollen, ist in meinem Team vorhanden. Deshalb werden wir in der Rückrunde besser werden.