Schwalb über die Ansprüche an die Handballer, mangelnden Respekt gegenüber seinem Berufsstand und die fehlende Angst vorm Versagen.

Hamburg. Martin Schwalb hat gute Laune. Er lacht, er scherzt. Seine Körpersprache strahlt Dynamik und Optimismus aus. Schwalb steckt voller Tatendrang. Kein Wunder: Von bislang 42 Saisonspielen gewann sein HSV 37, ist Tabellenführer der Handball-Bundesliga, hat das Viertelfinale in der Champions League erreicht und kann am diesem Wochenende beim Final Four, der deutschen Pokal endrunde, nach drei Jahren wieder einen Titel holen. "Es macht Spaß, diese Mannschaft zu trainieren", sagt der Coach, "wir werden von Jahr zu Jahr besser und irgendwann auch deutscher Meister, möglicherweise schon in diesem Jahr; wenn nicht diesmal, dann im nächsten oder im übernächsten Jahr. Dieses Team hat seinen Zenit noch nicht erreicht."

Abendblatt:

Herr Schwalb, ist der Rathausbalkon für Montag schon reserviert?

Martin Schwalb:

Das weiß ich nicht, aber ich glaube, der Ole von Beust ist schon am Fegen. Nein, im Ernst: Der schlimmste Fehler, den wir machen könnten, wäre, uns jetzt Gedanken darüber zu machen, wie wir feiern. Denn dann werden wir nicht feiern. Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir das Halbfinale gegen Lübbecke gewinnen.

Aber die Erwartungen sind hoch.

Das sind wir ja gewohnt. Und ich sehe darin auch keinen Widerspruch. Auch die Mannschaft hat hohe Erwartungen. Wir sind mit viel Talent, viel Charakter gesegnet, das hat die Mannschaft über die gesamte Saison nachgewiesen. Daraus reifen natürlich Träume. Aber ich glaube nicht, dass man einen Titel mit einer Saison gleichsetzen sollte. Selbst wenn wir alle Finals mit einem Tor verlieren sollten - was die Mannschaft nicht verdient hätte -, haben wir am Ende trotzdem eine gute und starke Saison gespielt. Das schlägt sich auch in der Begeisterung unserer Zuschauer nieder.

Sie bauen für den Fall vor, dass es dem HSV ergeht wie in den letzten beiden Jahren.

Da waren wir nicht so nahe dran. Letztes Jahr fehlten uns in der Meisterschaft am Ende 13 Punkte auf den THW Kiel, wir haben im Pokalhalbfinale gegen Gummersbach ein ganz schlechtes Spiel gemacht und in der Champions League gegen Ciudad Real verloren. Aber auch das gehört für die Entwicklung eines Vereins dazu: dass man feststellt, wie weit und schwierig der Weg ganz nach oben ist. Wir wollen ja nicht Kreismeister werden. Wir wollen das rechtfertigen, was an Vertrauen und auch an Finanzen über Jahre in diese Mannschaft gesteckt wurde.

Aber die Währungseinheit sind doch Titel.

Das glaube ich nicht. Es ist doch im Sport nie ausgeschlossen, dass etwas Unerwartetes passiert: dass zum Beispiel Bayern München gegen Bochum mit 1:5 verliert. Das macht ihn doch interessant. Im Übrigen: Ich glaube, dass wir von der spielerischen Entwicklung her noch nicht am Limit angelangt sind. Die Kieler waren es in der vergangenen Saison, dieses Jahr nicht. Wir werden Jahr für Jahr immer besser. Ob wir dieses Jahr deutscher Meister werden oder nächstes oder übernächstes - wir werden deutscher Meister.

Wie viel Druck würde der Gewinn des Pokalendspiels am Sonntag von Ihnen nehmen?

Gar keinen, denn ich will immer Erfolg haben. Ich will mir nicht am Ende vorwerfen müssen: Hättest du dich mal weniger über den Pokalsieg gefreut und dich mehr auf die Meisterschaft konzentriert! Es geht am Montag sofort weiter, egal wie es ausgeht.

Was fällt Ihnen beim Stichwort Final Four zuerst ein?

Ganz klar unser Pokalsieg 2006. Das war der Startschuss dieser Mannschaft, da entstand der Glaube, der sie heute noch zusammenhält und von dem jeder zehrt. Deswegen wehre ich mich auch gegen die Ansicht, dass das kein großer Titel ist.

Damals war der HSV Bundesliga-Mittelmaß und klarer Außenseiter ...

... wie es Nettelstedt-Lübbecke jetzt ist. Ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke, wie wir damals über die Bundesligaspiele hinwegtrainiert haben. Eine Woche vor dem Final Four haben wir uns zu Hause gegen Wilhelmshaven mit 33:30 einen zurechtgegurkt. Da war allerorten Riesenverzweiflung, aber das war uns egal. Genauso denken die Nettelstedter jetzt auch, das ist für uns ganz gefährlich.

Hätten Sie nach der 27:35-Halbfinalniederlage gegen Gummersbach 2009 gedacht, dass Sie 2010 den HSV noch einmal als Trainer ins Final Four führen würden?

Ich gehe doch nicht nach Hause und sage: Das war's! Wir haben ein Spiel richtig schlecht gespielt, da hat es gerauscht.

Was hat sich seitdem denn geändert?

Ich glaube, diese Niederlage hat unheimlich viel Druck vom Verein genommen.

Wie bitte?

Zu sehen, dass man versagen kann, hat uns befreit, weil damit auch die Angst vor dem Versagen von uns abfiel. Vorher hätte ich gedacht: Uuuh, hoffentlich passiert uns das am Sonnabend nicht. Heute sage ich: Das kann immer passieren. Das gibt mehr Lockerheit.

Ist das die Erklärung für den Erfolg?

Es hat auf jeden Fall Energien freigesetzt. Aber wir haben in dieser Saison auch eine richtige Vorbereitung gehabt. Das war vor der Spielzeit 2008/2009 wegen der Olympischen Spiele in Peking gar nicht möglich. Dazu die vielen Verletzten, angefangen mit Pascal Hens. Und natürlich hatten wir damals auch noch keinen Igor Vori und keinen Domagoj Duvnjak. Aber man muss auch die vergangene Saison nüchtern bilanzieren: Wir waren im Halbfinale der Champions League, wir waren Vizemeister und im Final Four. Wir jammern doch auf hohem Niveau. Wir lagen vor den ganzen anderen, die auch viel Geld ausgeben und seit Jahren nicht einmal ansatzweise an uns vorbeikommen.

Sie galten immer als Kumpeltyp. Hat sich Ihr Umgang mit der Mannschaft verändert?

Ich glaube nicht, dass mich die Spieler als Kumpel wahrnehmen. Sie wissen, dass ich nicht ihr Freund bin. Ich brauche, vielleicht entgegen dem äußeren Anschein, Harmonie. Das brauchen alle, die nach vorn marschieren. Mein Führungsstil ist, dass die Spieler auch mitbestimmen dürfen. Aber sie haben auch Pflichten, und da bin ich geradlinig. Bei mir gibt es keine Probleme mit Disziplin, das haben die Spieler in Fleisch und Blut. Jeder, der in diese Mannschaft kommt, weiß, dass sie nach bestimmten Maßstäben funktioniert.

Nach welchen?

Disziplin, Gemeinsamkeit, Respekt voreinander. Das ist alles nicht selbstverständlich. Du kannst auch Spieler haben, die alles durcheinanderbringen. Die keinen Respekt haben vor dem Trainer, den Mitspielern, den Sponsoren, den Medien. Die können alles kaputtmachen.

Wo wir jetzt beim Fußball sind: Empfinden Sie Mitleid mit Ihrem HSV-Kollegen Bruno Labbadia?

Manchmal denke ich schon: Ist das alles so gerecht? Was hat der für einen harten Job! Das Schlimme ist ja, dass man es kommen sieht. Beim Spiel gegen Hannover am vergangenen Sonntag wusste jeder Zuschauer im Stadion: Das wird ein mieses Spiel und endet 0:0. Da wusste ich genau, wie der Bruno sich fühlt. Du merkst das und willst gegensteuern, aber du bist machtlos.

Könnten Sie mit dem Druck leben, den er hat?

Ich lebe doch unter dem gleichen Druck. Aber das liegt nicht am Verein. Es liegt daran, dass es in Deutschland zu wenig Respekt vor den Trainern gibt. Wenn es nicht läuft, ist der Trainer immer der Schuldige. Ich bin sicher, dass es in Amerika und England mehr Respekt vor den "Managern" gibt. Die erfolgreichen Klubs wie Arsenal oder Manchester United haben ihre Trainer 14 oder sogar 24 Jahre. Ich will damit nicht sagen, dass man am Trainer festhalten muss, wenn er eine Gurke ist. Aber hier ist er am Ende sogar schuld, wenn ein Guerrero die Flasche wirft.

Sie fühlen Ihre Arbeit nicht ausreichend gewürdigt?

Ich glaube nicht, dass die Leute einschätzen können, was dazugehört, eine Profimannschaft unter solchen Bedingungen zu trainieren: 14 Mann mit 14 Familien von überallher, 14 Mann, die alle eingesetzt und weiterentwickelt werden wollen, die zusammenpassen und Disziplin haben müssen. Das wird landauf, landab unterschätzt. Und am Ende wird die Arbeit des Trainers nur am 1:0 oder 0:1 festgemacht. Das ist einfach nicht richtig.

Welche Leistungen Ihrer Spieler haben Begehrlichkeiten geweckt? Welche Mannschaft werden Sie in ein, zwei Jahren zur Verfügung haben, wenn die Korsettstangen herausgebrochen werden?

Diese Begehrlichkeiten sind doch ein Riesenkompliment an den HSV Handball - und auch an den Trainer: dass wir einen Spieler wie Krzysztof Lijewski so entwickeln, dass die ganze Welt schreit: Den brauchen wir unbedingt. Vor zwei, drei Jahren hat sich keiner um ihn geschert.

Bisher gehören Sie mit dem HSV zu den Nehmer- und nicht zu den Gebervereinen.

Das wird sich auch nicht ändern. Natürlich gelten marktwirtschaftliche Gesichtspunkte und irgendwo eine Schmerzgrenze, aber ich weiß, dass der Krzysztof eigentlich nicht wegwill. Der Kern, das Herz der Mannschaft, wird erhalten bleiben. Aber natürlich planen wir langfristig. Den Domagoj Duvnjak hatten wir auch schon ganz lange auf der Liste, bereits vor zwei Jahren. Und es sagt einiges über das Image des HSV und seines Umfeldes aus, dass er seinen Wechsel aus Zagreb mitfinanziert hat.

Duvnjak ist 21. Wann wird der erste Spieler aus der eigenen U 23 in die Bundesligamannschaft integriert?

Duvnjak kann nicht der Maßstab sein, einen 21-Jährigen von seiner außergewöhnlichen Klasse gibt es in Deutschland nicht. Marcel Schliedermann hat das Potenzial, er hat ja im Pokal und in der Champions League schon Tore für uns geworfen. Aber er ist erst 19. Sie müssen mal sehen, wenn der Marcel im Training eins gegen eins geht: Das sieht gut aus, er kann das. Aber er muss körperlich zulegen, um sich gegen diese 110-Kilo-Abwehrkanten, die in den Topteams am Kreis stehen, durchsetzen zu können. Es ist eben ein weiter Weg. Das System ist da, die Jugend wird gefördert. Wir müssen unsere Talente jedoch langsam heranführen, wir dürfen sie nicht verheizen.