Kanadas Frauen bezwangen die USA im olympischen Eishockey-Finale. Jetzt will der Gastgeber die Führung im Medaillenspiegel erobern.

Vancouver. Natürlich gibt es wichtigere Sachen - eine, um genau zu sein. Als das kanadische IOC-Mitglied Richard Pound allen 21 Landsfrauen ihre Goldmedaillen umgehängt hat, wird auf dem Videowürfel des Canada Hockey Place eine Männerriege eingeblendet. Der Jubel in der Halle schwillt noch einmal zum Orkan, und Kanadas Eishockeyfrauen zeigen mit dem Finger nach oben auf die Galerie, wo das Herrenteam sitzt. Soll heißen: Was wir geschafft haben, das schafft ihr auch!

2:0 haben die Frauen in ihrem Finale die USA geschlagen, es ist der vorläufige Höhepunkt eines furiosen Schlussspurts der Gastgeber bei diesen Olympischen Spielen. Noch zu Wochenbeginn, nach der Niederlage der Eishockeymänner im letzten Gruppenspiel gegen die Amerikaner, schämte sich Kanada für seine lauten Töne vor diesen Spielen. Doch dann eilten die Athleten von einem Sieg zum nächsten. Am Montag gewannen die Eistänzer, am Dienstag die Skicrosserinnen, am Mittwoch die Bobfahrerinnen, nun die Hockeyspielerinnen.

Zwar können die Kanadier den Medaillenspiegel nicht mehr nach nordamerikanischer Zählung gewinnen - hier werden einfach nur die Plaketten addiert. Stuft man das Metall jedoch nach seiner Legierung durch, sind die Gastgeber plötzlich Favorit auf Platz eins. Nach 13 Wettkampftagen lagen sie in Sachen Gold gleichauf mit den USA und Deutschland, hatten aber noch die meisten Chancen auf Vermehrung, allein schon dank ihrer Nationalsportarten Curling und Eishockey. Und mit 13 weiblichen Medaillen gegenüber drei männlichen ist die Geschlechterdiskrepanz noch wesentlich eklatanter als im deutschen Team (16:9). Beide holten je eine geteilte Medaille (Eistanz/Paarlauf).

Mit dem ersten Gold im Eishockey ist schon mal einer jener Titel eingefahren, die man auf keinen Fall hergeben wollte. "Als Kanadier wachsen wir auf in dem Wissen, dass wir im Hockey gewinnen müssen", sagte Trainerin Melody Davidson nach Spielschluss. Der 3:2-Sieg der Frauen 2002 gegen die USA in Salt Lake City wurde in einer Umfrage kürzlich zum zweitgrößten Moment der kanadischen Olympiageschichte gewählt - nach dem Triumph der Männer im selben Jahr gegen denselben Gegner.

Entsprechend geschlossen war bei der Neuauflage des Duells die nationale Prominenz vertreten - Premierminister Stephen Harper, Hockeylegende Wayne Gretzky, Schauspieler Michael J. Fox - und entsprechend stürmisch war die Anfeuerung von den Rängen. "Unglaublich, jeden Tag wird es in dieser Halle lauter", sagte Männer-Torwart Roberto Luongo, der die Halle als Angestellter der lokalen Vancouver Canucks ziemlich gut kennt. Zu diesem Zeitpunkt hat Kanada das hochklassige Spiel dank der überragenden Torfrau Shannon Szabados im Griff. Als die Schlusssirene ertönt und die Spielerinnen Handschuhe, Helme und Schläger auf das Eis werfen, erreicht der Lärmpegel einen neuen Höchststand. "Gold, Canada, Gold" wandeln die Fans den Schlachtruf "Go, Canada, Go" ab.

Der Hockey Place ist das atmosphärische Herz dieser Spiele, aber nicht die ganze Welt teilt die Vorlieben der Kanadier. IOC-Präsident Jacques Rogge hat just am Vormittag des Finals gesagt, dass im Frauenhockey bald etwas passieren müsse, wolle die Disziplin olympisch bleiben. Zu groß sei der Qualitätsunterschied zwischen den beiden nordamerikanischen Teams und dem Rest. "Das passiert, wenn man nur alle vier Jahre mal kurz hinschaut", schimpft Kanadas Spielführerin Hayley Wickenheiser über Rogge. "Es wäre schön, wenn solche Leute selbst für einen Aufschwung sorgen würden."