Mithilfe eines Psychologen fand die Weltmeisterin Magdalena Neuner zu alter Gelöstheit. Bundestrainer Müssiggang hadert mit dem Material.

Whistler. Die "Hubermusi" aus Bischofswiesen spielte im Kufenstüberl neben dem Deutschen Haus auf, und Magdalena Neuner (23) deutete der Harfistin mit erhobenem Daumen an, dass sie ihre Zupfarbeit prima verrichte. Die talentierte Skijägerin und begeisterte Hausmusikerin genehmigte sich einen üppigen Schluck aus dem Weißbierglas, und als ein Fotograf sie zu stellen versuchte, verschwand sie keck hinter einer Säule.

So unbeschwert hatte Neuner den Rummel das bislang letzte Mal in Antholz bei den Weltmeisterschaften 2007 über sich ergehen lassen, als ihr Stern mit drei WM-Titeln völlig überraschend aufgegangen war. Danach hatte sie irgendwie ihre Unschuld und Unbedarftheit verloren, und manchmal nach durchwachsenen Rennen hieß es, dass die Blonde mit dem Schnutengesicht sich oft selbst im Weg stehe. Ein Kopfmensch, der es wohl nie lernen wird, die Gedanken im entscheidenden Moment vor den Scheiben auszuknipsen.

Sechsmalige Weltmeisterin war sie, bevor sie nach Whistler anreiste, dann schlief sie in der Nacht zum Sonntag selig im Einzelzimmer des Athletendorfs ein. Die Silbermedaille auf dem Bett neben ihr.

Wohl für niemanden im Lager der deutschen Skijäger kam einem Erfolgserlebnis größere Bedeutung zu als für Neuner. Die ungewohnte Gelöstheit führte sie auf "harte mentale Arbeit" zurück. Nach einer Nullbockphase im Frühjahr 2009 konsultierte sie regelmäßig einen Psychologen. Starke Beine hatte Neuner von Beginn an, der Fachmann aus Bayern nahm ihr die Versagensängste. "Ich musste mich immer wieder rechtfertigen wegen meiner angeblichen Schießschwäche. Aber man muss einfach ganz stark an sich glauben und nicht darauf hören, was andere über einen sagen. Man muss einfach das machen, was man kann." Lektion gelernt. Das Sprintsilber von Whistler feierte sie als "kleinen inneren Sieg".

In Kanada wurde die junge Therapie auf eine harte Probe gestellt. Schließlich wird der Oberbayerin am ehesten zugetraut, die Ansprüche der Deutschen zu befriedigen. Nun stellte sie erleichtert fest: "Ich werde immer wieder ein paar Fehler machen. Aber was ich nicht mehr machen werde, sind die Fauxpas der Vergangenheit." Es gab Weltcuprennen, da hätte Neuner gleich in die Strafrunde abbiegen können, weil sie stehend null von fünf Scheiben traf. Offenbar zeigten die standardmäßigen Mentaltricks große Wirkung. "Ich hatte keinen Druck, weil ich mir keinen gemacht habe", befand Neuner, "und von außen habe ich keinen rangelassen."

Sie startete fulminant auf die 7,5 Kilometer. In ihrem unnachahmlichen Skatingstil pflügte sie durch den nassen Schnee, aber genau die sulzige Auflage entpuppte sich an diesem ersten Tag der Biathlonwettbewerbe als größtes Handicap für viele Favoriten. Allen Befürchtungen zum Trotz bewies Neuner mit der Waffe zunächst Nervenstärke. Liegend schoss sie schnell und präzise, stehend leistete sie sich nur einen Ausrutscher. Als sie sich zu ihrer einzigen Strafrunde aufraffte, schien sie auf Goldkurs zu liegen. Doch Anastasia Kuzmina aus der Slowakei hatte die besseren Ski, vielleicht auch deshalb empfand Neuner die anderthalb Sekunden Rückstand nicht als Niederlage.

Bundestrainer Uwe Müssiggang haderte aber auch mit der Laufleistung. Wenn Neuner auf der Schlussrunde Zeit einbüße, "dann stimmt etwas nicht". Niemand wollte die Abteilung Technik öffentlich in die Pfanne hauen, aber die Anzeichen, dass das deutsche Lager im Nieselregen verwachst hatte, sind groß. "Man kann nicht immer Glück beim Material haben", bilanzierte Müssiggang diplomatisch.

Die gebürtige Russin Kuzmina, die vor einem Jahr WM-Silber gewonnen hatte, aber nur 28. des Gesamtweltcups ist, gestand ihren Materialvorteil unumwunden ein. Ihr Sieg war genauso sensationell wie die Bronzemedaille für die Französin Marie Dorin, die 24. des Gesamtweltcups.

Die Favoritenstürze vergrößern Neuners Chancen, die Medaillensammlung zu erweitern, denn die Zeitabstände werden in die Verfolgung morgen mitgenommen. "Alles was jetzt kommt, ist Zugabe", sagt sie und fügt leicht kokett mit schräg gelegten Kopf an: "Mit einer Silbermedaille wird man ja auch schon so etwas wie zu einer Legende."