Sie war lange verletzt. Jetzt greift sie wieder an. Alle Querelen, sagt sie, interessieren sie nicht mehr - nur noch die Rennen.

Vancouver. Sie spricht Englisch, Deutsch und Niederländisch, fließend, oft ohne Punkt und Komma. Am Tag ihrer Ankunft in Vancouver aber bediente sich Anna Christine Friesinger-Postma einer anderen Sprache, die der Diplomaten. Schön sei es, hier zu sein, "der Flug war super", und nun freue sie sich riesig auf die Olympischen Winterspiele. Mehr gäbe es nicht zu sagen, kein Wort zu den Streitereien und Querelen der vergangenen Tage und Wochen um richtige Ärzte und falsche Atteste. Wenigstens die Kameraleute und Fotografen kamen zu ihrem Recht. Deutschlands attraktivste Eisschnellläuferin, zumindest halten viele sie dafür, lächelte in ihre Objektive. "She is beautiful", sagte ein kanadischer Reporter und meinte damit auch ihre Professionalität.

Die wird dieser Tage nicht nur bei ihren ersten Trainingseinheiten im olympischen Eisoval von Richmond im Süden Vancouvers bewundert. Wohl selten hat eine Athletin über die vergangenen Jahre ihre weiblichen Reize derart geschickt in Szene und jetzt noch in einen Bildband gesetzt, dass ihre sportlichen Vorzüge darüber fast in Vergessenheit gerieten. Anders als die ehemalige russische Tennisspielerin Anna Kurnikowa, die ohne Turniererfolge zum Model mutierte, hat Anni Friesinger auch auf dem Eis etwas zu bieten. 16-mal wurde sie Weltmeisterin, zweimal Olympiasiegerin. In Kanada möchte die 33-Jährige ihre Karriere bei ihren vierten Winterspielen mit dem dritten Gold krönen. "So frech bin ich", sagt sie und lacht.

Weil dieses Ziel nach zahlreichen Verletzungen, zwei Knieoperationen und einer Infektion mit der Schweinegrippe in einer Mission Impossible zu enden droht, lag bei Friesinger zuletzt nicht nur der Busen (fast) blank. Ihr bestes Weltcup-Resultat in dieser Saison war schließlich ein fünfter Platz. Da darf man nervös werden.

Ihr Ehrgeiz aber treibt sie weiter an, Ruhm und Geld sind es nicht. Beides reicht für ein Leben danach, das ihr Ehemann Ids Postma mit ihr auf seinem Bauernhof in den Niederlanden verbringen möchte. Postma gewann 1998 in Nagano olympisches Gold im Eisschnelllaufen über 1000 Meter. Anni Friesinger hat nach der Heirat im vergangenen August ihren Wohnsitz in Salzburg behalten. Es war die Entscheidung einer emanzipierten Frau für ein Stück Unabhängigkeit und der Entschluss einer ambitionierten Sportlerin für die Trainingsbedingungen in ihrem bayerischen Heimatort Inzell und im österreichischen Klobenstein.

Um Friesinger zu verstehen, ihre jüngsten Attacken auf den eigenen Verband und den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), muss man sie als diese nimmersatte Sportlerin begreifen. Allein jene ziehen aus dieser jahrzehntelangen Fron, dem ständigen Raubbau am eigenen Körper noch Motivation. Zwar gefalle ihr die Rolle als "Sexy Anni", das schmeichle ihr als Frau, stets betont sie jedoch, dass sie erst auf den Laufsteg getreten sei, als sie sich schon mit Leistungen einen Namen gemacht hatte. Dass sie immer noch zu besonderen fähig ist, will sie in Vancouver beweisen. Dafür tut sie alles, allen Widrigkeiten zum Trotz, aber sie musste in den vergangenen Monaten den Eindruck gewinnen, dass nicht jeder im Verband alles für sie tut. Das hinterließ bei ihr ein Gefühl von Ohnmacht und Ungerechtigkeit. Es entlud sich in verbalen Angriffen auf die mutmaßlichen Verursacher.

Ein halbes Jahr lang hatte sie in Mails an die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) und deren Präsidenten Gerd Heinze um eine für sie optimale ärztliche Betreuung für Vancouver gebeten. Der Arzt ihres Vertrauens heißt Volker Smasal. Bei ihm hat sie sich in München operieren lassen, zu ihm fuhr sie, wenn ihr Knie nach den Trainingsbelastungen dick wurde und punktiert werden musste. Fünfmal war das der Fall. Niemand kennt Friesingers Krankenakte besser als Smasal.

Die DESG nominierte aber nun den Erfurter Arzt Gerald Lutz für die Spiele. Dessen Wirken im Verband ist eng mit der Dopingaffäre Claudia Pechstein (37) verbunden. Pechstein, die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin, war die mediale Dauerrivalin Friesingers. Ihre Auseinandersetzungen gingen als Zickenzoff in die deutsche Sportgeschichte ein.

Als Pechstein vor einem Jahr im norwegischen Hamar auffällige Blutwerte aufwies, die später zu ihrer umstrittenen Zweijahressperre aufgrund eines indirekten Dopingnachweises führen sollten, attestierte ihr Lutz in Absprache mit der DESG vor Ort einen grippalen Infekt, um der Öffentlichkeit Pechsteins Ausstieg aus dem Wettbewerb zu erklären. Das sei zum Schutz der Athletin geschehen. Friesinger mochte sich dieser Argumentation nie anschließen. Das ist der eine Punkt. Der andere: Auch wenn nur hehre Absichten im Spiel waren, und alle anderen Behauptungen verbieten sich nach den bisherigen Erkenntnissen, warum erfuhr Pechstein damals die größtmögliche Unterstützung des Verbandes und Friesinger - trotz wiederholter Bitten - jetzt bei ihrer Arztwahl nicht?

"Eine verdiente Athletin wie die Anni hätte eine andere Behandlung verdient gehabt", klagt Friesingers Manager Klaus Kärcher. Selbst seine Befangenheit kann die Logik dieser Aussage nicht entkräften.

Anni Friesinger sagt, sie habe diesen Disput in Deutschland zurückgelassen. Da gehöre er hin. In Vancouver gilt ihre Konzentration dem 18. Februar. Dann fällt für sie der Startschuss über 1000 Meter, zwei Tage später der über 1500 Meter. Gewonnen hat sie bereits. Wer ist nach dieser langen Leidenszeit zu Olympia schaffe, sagt sie, der habe nichts mehr zu verlieren.