Zwölf Profis des Bundesligaprimus treten bei der EM in Österreich (19.-31.1.) an - eine Hypothek im Titelkampf?

Hamburg. Martin Schwalb konnte bei dem Lärm um ihn herum kaum ein Wort verstehen. Die 12 466 Zuschauer in der Color-Line-Arena feierten in der Nacht zu Silvester das 32:28 (15:14) über Großwallstadt, als der Trainer der HSV-Handballer die Fragen des DSF-Reporters beantworten sollte. Das, was er in Bruchstücken über Kopfhörer vernahm, erzürnte ihn. "Mit dem THW Kiel", polterte Schwalb, "beschäftigen wir uns nicht. Wir schauen nur auf uns."

So berechtigt wie professionell diese Einstellung auch ist, den Vergleichen mit dem deutschen Rekordmeister wird sich der Tabellenführer der Handball-Bundesliga in den nächsten Wochen und Monaten nicht entziehen können. War der Titelgewinn für die Hamburger zu Saisonbeginn der angemessene Anspruch an den besten Spielerkader der Liga, droht er nun zur lästigen Pflicht zu werden. Und da hört der Spaß für einige HSV-Profis doch auf. "Es ist schon ein immenser psychischer Druck, jedes Spiel gewinnen zu müssen", sagt Nationallinksaußen Torsten Jansen, "wir sind jetzt das Team, das alle schlagen wollen."

Mit der Rolle des Gejagten hatte der neue Branchenprimus in den letzten Spielen des alten Jahres seine Schwierigkeiten. Gegen Balingen-Weilstetten (31:26) und Großwallstadt ließ der HSV die im Herbst demonstrierte Leichtigkeit und Souveränität vermissen, Einsatzbereitschaft und Willenskraft waren zuletzt die wichtigsten Attribute des Erfolges. Das kann bei dem kräftezehrenden Terminkalender der Handballer nicht überraschen, Warnzeichen bleiben es dennoch. Und dass zum Jahresausklang ausgerechnet die Torhüter Johannes Bitter und - gegen Großwallstadt im Alleingang - Per Sandström die Punkte festhielten, macht die Bestandsaufnahme nicht wirklich sorgenfreier.

Gerade die Position des letzten Mannes galt in den Wochen zuvor als potenzieller Schwachpunkt des HSV in, sorry Martin Schwalb, Konkurrenz zum THW Kiel. Nun sind es Bitter und Sandström, die den Unterschied ausmachen. Die Vertragsverlängerung für den Schweden ist deshalb längst eine Herzensangelegenheit der Fans. "Pelle für Hamburg" forderten sie am Mittwochabend erneut. Die Gespräche mit Sandström und seinem Berater sind für Mitte Januar anberaumt. Dass Schwalb weiter Zweifel an Sandströms Können hegt, belegt die Analyse des Trainers nach dem Großwallstadtspiel: "Da waren wieder zwei, drei Tore dabei, die er eigentlich hätte verhindern müssen. Andererseits hat er zehn oder 15 Bälle gehalten, die er nicht halten musste."

Zeit, um mit Sandström intensiv zu arbeiten, haben Schwalb und sein Assistent Goran Stojanovic demnächst reichlich. Am 11. Januar, zum Start der Vorbereitung auf die Fortsetzung der Saison am 6. Februar mit dem Pokalviertelfinale beim HSV-Kooperationspartner VfL Bad Schwartau, können die Trainer nur zwei ihrer Profis in der Volksbank-Arena begrüßen, Pascal Hens und eben Sandström, dazu Nachwuchstalent Marcel Schliedermann sowie das eigene Oberligateam (U 23). Zwölf HSV-Spieler sind bei der EM in Österreich (19.-31. Januar) für fünf Nationalmannschaften im Einsatz, Hens verzichtete aus gesundheitlichen Gründen (Schonung der im Juli operierten Achillessehne), Sandström wurde nicht nominiert. Kein anderer Bundesligaverein stellt mehr Akteure zur Europameisterschaft ab. Eine Hypothek für den Titelkampf?

"Das ist der Fluch der guten Taten", sagt Schwalb, "wir wollten viele Nationalspieler haben, mit den Konsequenzen müssen wir leben." Die erste: "Nach der EM-Pause beginnt das Spiel von vorn. Alles hängt davon ab, in welchem Zustand die Spieler aus Österreich zurückkehren, von Verletzungen will ich dabei gar nicht reden." Es ist das Gefühl der Machtlosigkeit, das Martin Schwalb bei diesen Sätzen beschleicht. Die Erwartungen, die er und seine Mannschaft in den vergangenen Monaten mit der besten Hinrunde der Vereinsgeschichte geweckt haben, weiß der Trainer, können nicht mehr relativiert werden.