Norbert Haug spricht über Nachhaltigkeit und ist sicher, dass der Weltmeister ihm auch im Garten helfen würde.

Hamburg. Abendblatt:

Der Rückzug von Flavio Briatore und das Schuldeingeständnis von Renault belastet die Formel 1 schwer. Wie sehr macht Ihnen das zu schaffen?

Norbert Haug:

Das Thema Renault/Singapur wird am nächsten Montag von der FIA in Paris verhandelt werden, und vorher gibt es dazu nichts von mir zu sagen.

Abendblatt:

Haben wir das verrückteste Formel-1-Jahr, seit Sie in dieser Rolle sind?

Haug:

Es ist das Jahr mit den meisten Überraschungen. Es bietet mehr denn je. Schade nur, wenn vieles davon untergeht durch irgendwelche Diskussionen, Skandale, Streitereien. Damit muss jetzt Schluss sein. Die ganze Energie muss zum Wohl der Serie verwendet werden, zum Vergnügen der Zuschauer, denn: Wir fahren nicht für uns, sondern für die interessierte Öffentlichkeit.

Abendblatt:

Lewis Hamilton ist als Weltmeister in die Saison gegangen und in ein tiefes Loch gefallen. Wie hat er das verkraftet?

Haug:

Das Loch haben ja wir gegraben. Aber jetzt, wo Lewis und wir aus dem Tief heraus sind, kann man sagen: Lewis ist erneut enorm gewachsen, obwohl er vorher schon sehr reif war. Das war auch für das ganze Team unheimlich schmerzhaft. Wir hatten schon harte Zeiten in der Formel 1, aber so weit hinten waren wir nie. In dem Bewusstsein anzureisen, diesmal könnten wir 18. in der Startaufstellung sein, das hätte ich auch mit Schmerzpillen nicht lange ausgehalten.

Abendblatt:

Wie haben Sie die Wende geschafft?

Haug:

Wir haben uns alle aneinander aufgerichtet. Ich war zugegebenermaßen stinksauer. Aber gerade dann hat es keinen Sinn, nur zu kritisieren - man muss vielmehr klare Ziele vorgeben. Wir haben das Ziel definiert, dass wir zur Saisonmitte siegen können, und das haben wir beim zehnten von 17 Rennen geschafft. Dafür haben alle geschuftet wie wahnsinnig. Wir haben trotz Budgetlimitierung und Testverbot noch mal mehr draufgepackt als in der Entwicklung über den Winter - bei gekürztem Budget wohlgemerkt. Da sind unsere Jungs ganz schön innovativ geworden, denen sind Dinge eingefallen, die sonst vielleicht nicht möglich gewesen wären. Es ist noch nicht rundum Mercedes-Standard, was wir mittlerweile haben. Aber wir gehen in die gewünschte Richtung, und wir werden an unser selbst gestecktes Ziel kommen.

Abendblatt:

Ist Lewis Hamilton der Prototyp einer neuen Rennfahrer-Generation ?

Haug:

Erst mal ist er ein ganz feiner Mensch. Wenn ich die Blumen bei mir im Garten umgraben müsste, dann würde er vorbeikommen und Hilfe anbieten. Lewis ist ein toller Kerl, der eine urtümliche Begeisterung ausstrahlt. Motiviert, powerful, konzentriert und wir haben trotzdem - oder gerade deswegen - Spaß.

Abendblatt:

Hilft ihm die Bodenständigkeit in der Glamourwelt?

Haug:

Lewis ist extrem gut erzogen, hat Anstand, Geist, Respekt. Es wird natürlich jetzt welche geben, die sagen: Angelogen hat er die Sportkommissare beim ersten Rennen trotzdem. Da hat er sich unüberlegt in was reinziehen lassen. Aber ich glaube, einen Fehler einmal zu machen, das muss man verzeihen können. Dafür hat Lewis auch herb gebüßt. Das hat ihn zum Beispiel viel mehr beschäftigt als die Konkurrenzsituation auf der Strecke."

Abendblatt:

Er hat ja wohl ernsthaft daran gedacht, aufzuhören.

Haug:

Ja, das hat er. Aber ich habe ihm gesagt: "Junge, du hast Mist gebaut, da müssen wir jetzt durch. Du musst dazu stehen, ich helfe dir dabei." Er hat eine ganz enorm enge Verbindung zu allen im Team, zu Mercedes, zu Dr. Zetsche (Vorstandsvorsitzender, d. Red.) . Es gibt bei Lewis nicht die Glamour-Welt, in der er gelegentlich beschrieben wird.

Abendblatt:

Vom Gefühl zum Geschäft: Steht die Formel 1 am Scheideweg?

Haug:

Sie hat großes Potenzial zum weiteren Aufstieg - mit weniger Geld. Sie hat aber auch Potenzial zu straucheln, falls Teams abtreten oder neue ausbleiben.

Abendblatt:

Ist Formel 1 gucken noch bezahlbar, wenn Haupttribünentickets 400 Euro kosten?

Haug:

Nach meiner Kenntnis kosten sie sogar bis 500 Euro. Natürlich besteht die Gefahr, dass es ein zu exklusives Vergnügen werden könnte. Aber da gibt es Fans, für die ist die Faszination so groß, direkt gegenüber der Boxengasse zu sitzen, dass ihnen so ein Rennwochenende hundertmal lieber ist als eine Woche Mallorca. Die Formel-1-Teamgemeinschaft Fota arbeitet am Thema Zuschauer mit dem Ziel, dass mehr vor Ort getan wird. Da ist die DTM ein gutes Beispiel, wir müssen Mehrwert bieten. Die Stars müssen zumindest teilweise greifbar sein, auch hinter den Tribünen muss es Erlebnisse geben. Wir praktizieren das ja auf den Mercedes-Benz-Tribünen in Hockenheim oder auf dem Nürburgring schon jahrelang sehr erfolgreich. Trotzdem muss man an dem Preis arbeiten, und er muss nach unten. Aber Formel 1 wird immer ein vergleichsweise teures Vergnügen bleiben, denn es ist ein exklusiver Sport. Aber man muss es nicht übertreiben.

Abendblatt:

Vermissen Sie künftig das BMW-Team als Erzrivalen?

Haug:

Sportlich sehr. Und auch menschlich. Ich habe mit Mario Theissen immer gut gearbeitet, ich schätze ihn. Wir sind wohl erklärte Rivalen der Rennbahn, aber es ist nicht so, dass der eine dem anderen das Schwarze unter dem Fingernagel nicht gönnt. Der eine will den anderen schlagen. Und natürlich schlägt BMW Mercedes gern und wir BMW noch gerner - aber sportlich halt.

Abendblatt:

Steckt die Formel 1 in der Krise, hat sie sie noch vor sich?

Haug:

Eine ganz große Krise haben wir schon überstanden - und die Diskussionen um Kaisers Bart sind auch beendet. Und zwar legal und verbindlich.

Abendblatt:

Und wirtschaftlich?

Haug:

Die Kosten müssen weiter runter. Wir haben unser Budget bei Mercedes-Benz schon halbiert in den letzten fünf Jahren, und wir werden es noch mal halbieren. Und wir werden sehr offen sein und mit externen Sponsoren arbeiten, die einen Beliebtheitswert aus dieser Zusammenarbeit mit Mercedes ziehen. Wir haben die höchsten Fernsehzeiten gehabt in den letzten zwei Jahren, da gibt es enorme Gegenwerte. Um das mit Werbung zu erreichen, müssten wir weit mehr als das Zehnfache unseres Motorsportbudgets aufwenden, um nur mal die Relation aufzuzeigen. Dann ist aber noch nicht die Wertigkeit erreicht. Anzeigen schalten, das kann jeder. Aber einen Grand Prix in Monaco gewinnen, das kann nicht jeder. Und den haben wir sechsmal gewonnen, häufiger als alle anderen in den letzten zehn Jahren.

Abendblatt:

BMW hat sich mit der Begründung verabschiedet, man setze lieber auf Nachhaltigkeit. Ist die Formel 1 umweltfeindlich?

Haug:

Die Umwelt wird deshalb geschützt, um auch den Menschen zu schützen, der darin lebt. Wenn wir weltweit 600 Millionen Live-Zuschauer haben bei einem Grand Prix, und wir rechnen nur mal, dass jeder Zehnte ein Auto hat, dann sind es 60 Millionen Autos, die zumindest zwei Stunden lang nicht fahren. Und wenn einer sagt: "Das ist populistisch, Herr Haug!", dann sage ich: "Von mir aus, aber es ist obendrein auch faktisch." Die kritische Welt wäre erstaunt, wie viele Rennzuschauer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Rennstrecken kommen. Wenn alles so nachhaltig gehandhabt würde wie die Formel 1 und ihre Veranstaltungen, dann ginge das wichtige Thema Umwelt in die richtige Richtung.

Abendblatt:

Kann es das Ziel sein, irgendwann Rennen mit Elektroautos zu fahren?

Haug:

Nee, überhaupt nicht. Dann müssten wir ja einen Lautsprecher einbauen, damit es den entsprechenden Sound gibt. Und Power genug haben Elektromotoren auch noch nicht. Elektroantriebe für die Straße? Ja, unbedingt. Für die Rennstrecke? Unbedingt nicht.

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