Patrick Kühnenspricht über seine Erwartungen für das Turnier am Rothenbaum, sein Daviscup-Team der Zukunft und deutsche Kandidaten.

Abendblatt: Herr Kühnen, nach dem dramatischen 2:3 in Spanien muss Ihr Job, als Daviscup-Teamchef bei einem Turnier in Stuttgart Spiele zu beobachten, doch traumhaft sein.

Patrick Kühnen: Jetzt werden Sie vielleicht sagen, dass ich übertreibe, aber mein Job ist immer ein Traumjob. Trotzdem haben Sie Recht. Die Resonanz, die ich in den vergangenen Tagen immer wieder bekommen habe, war durchweg positiv. Die allermeisten, die mich angesprochen haben, waren ebenso überrascht wie begeistert vom Auftreten unseres Teams. Niemand hätte erwartet, dass wir mit zwei Debütanten den großen Favoriten Spanien in Marbella bis zum letzten Einzel würden fordern können.

Abendblatt: Es gab aber auch kritische Stimmen, die Ihnen vorwarfen, zwei Debütanten gegen den Titelverteidiger ins kalte Wasser zu werfen sei von vornherein falsch gewesen.

Kühnen: Ja, was hätten wir sonst tun sollen? Man kann es doch auch so sehen, dass es kein besseres Debüt als gegen das beste Team der Welt geben kann, denn die Erwartungen sind dann nicht so hoch. Was mich stört, ist, dass manche sagen, meine Aufstellung sei aus der Not geboren gewesen, weil Tommy Haas nicht spielen wollte. Das ist falsch. Unsere Debütanten Mischa Zverev und Andreas Beck haben sich durch gute Leistungen für einen Einsatz empfohlen. Sie hatten ihn sich verdient.

Abendblatt: Sie wollen aber nicht glaubhaft machen, dass Sie Haas nicht nominiert hätten, wenn er hätte spielen wollen?

Kühnen: Diese Frage hat sich nicht gestellt, denn er hat sofort nach Bekanntwerden der Auslosung gesagt, dass er wegen seiner Schulterprobleme nicht auf Sand antreten wird.

Abendblatt: Haben Sie angesichts seiner Form der vergangenen Wochen trotzdem versucht, ihn noch einmal umzustimmen?

Kühnen: Ich bin zweimal auf ihn zugegangen, aber er hat abgelehnt. Das habe ich akzeptiert.

Abendblatt: Auch verstanden?

Kühnen: Absolut. Tommy hat viele Jahre immer für Deutschland gespielt und alles gegeben. Nun hat er sich entschieden, mehr auf seinen Körper zu achten und nur dann zu spielen, wenn er sich rundherum gut fühlt. Das muss man verstehen.

Abendblatt: Aber vermisst haben Sie ihn schon.

Kühnen: Nein, denn ich hatte nie mit ihm gerechnet. Außerdem fand ich, dass die vier Spieler, die dabei waren, ihren Job hervorragend erledigt haben. Man darf nicht vergessen, dass Daviscup mit keinem Turnier der Welt vergleichbar ist. Man kann Daviscup nicht proben, man muss ihn erleben. Diese Erfahrung haben unsere jungen Leute jetzt gemacht.

Abendblatt: Haben wir in Marbella das Team der Zukunft gesehen?

Kühnen: Oh, das ist für mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beantworten. Die nächste Daviscup-Partie findet in acht Monaten statt. Bis dahin kann viel passieren, und ich stelle immer nach der Leistung auf, die die Spieler zum Zeitpunkt der Nominierung bringen. Grundsätzlich aber sind die vier, die diesmal dabei waren, auch weiterhin Topkandidaten.

Abendblatt: Man konnte am vergangenen Wochenende, aber auch in Wimbledon beim Halbfinale zwischen Haas und Roger Federer spüren, dass Tennis auch in Deutschland noch interessiert, wenn Erfolge da sind. Ärgert es Sie, dass Ihr Sport trotzdem die meiste Zeit des Jahres kaum wahrgenommen wird?

Kühnen: Ärgern tut es mich nicht, ich kann ja daran nichts ändern. Ich finde es allerdings schade, dass der positive Trend im Herrentennis nicht wahrgenommen wird. Wir haben nach Spanien die meisten Spieler unter den Top 100, aber in vielen Medien wird immer noch so getan, als wäre Tennis tot.

Abendblatt: Das Problem ist, dass ein Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier fehlt, oder ein Spieler, der dauerhaft in den Top Ten steht.

Kühnen: Ich weiß, dass uns derzeit ein Ausnahmespieler wie Federer oder Rafael Nadal fehlt. Natürlich würde uns ein Grand-Slam-Sieg gut tun. Aber das ist nicht planbar. Und wenn man frühere Tennis-Nationen wie Schweden und Australien sieht, die derzeit nur einen Spieler unter den besten 100 haben, dann sollte man die Relationen im Blick behalten.

Abendblatt: Was muss sich ändern, damit die Wahrnehmung des deutschen Tennis besser wird?

Kühnen: Ich würde mir wünschen, dass es wieder mehr Tennis im Fernsehen gäbe. Von den Mastersturnieren sieht man in Deutschland zum Beispiel gar nichts . Um aber wieder mehr Jugendliche zu binden und die Fans zurückzuholen, müssten die deutschen Spieler öfter zu sehen sein. Für mich war das immer das Größte, meinen Idolen zusehen zu können. Das hat mich angespornt. Dieser Ansporn fehlt dem Nachwuchs heute.

Abendblatt: Ist nicht auch das Problem in Deutschland der späte Einstieg in die Profilaufbahn? Andere Nationen setzen viel früher auf die Sportkarriere, der Deutsche macht erst seine schulische Ausbildung zu Ende.

Kühnen: Das stimmt, aber anders als in anderen Ländern hat bei uns Schulbildung Priorität. Wir müssen sehen, dass wir auf diesem Weg ans Ziel gelangen.

Abendblatt: Wer sind denn Ihrer Ansicht nach die deutschen Profis, die das Potenzial haben, unter die Top Ten zu kommen?

Kühnen: Tommy Haas ist derzeit auf einem guten Weg, dahin zurückzukehren. Er wird in den USA auf Hartplatz einen guten Sommer spielen. Perspektivisch gedacht ist es aber sicherlich Philipp Kohlschreiber, dem ich es als nächstem zutraue. Er hat alle Anlagen. Wenn er Konstanz in sein Spiel bekommt, packt er es.

Abendblatt: Was fehlt unserem Hamburger Mischa Zverev, um in solche Regionen vorzustoßen?

Kühnen: Mischa ist ein sehr talentierter Spieler, der in diesem Jahr starke Leistungen bringt. Er steht konstant in den Top 50. Was er braucht, ist Erfahrung und eine Weiterentwicklung seiner spielerischen Klasse. Dann ist auch er einer, der in ein paar Jahren die Top Ten angreifen kann.

Abendblatt: Zunächst steht in der kommenden Woche für ihn sein Heimatturnier am Rothenbaum an. Was verbinden Sie mit dem Traditionsturnier in Hamburg?

Kühnen: Auch wenn ich als Spieler in Hamburg leider nie über mich hinausgewachsen bin, war ich immer sehr gern hier. Der Rothenbaum war immer das größte und wichtigste deutsche Turnier, und er ist es auch jetzt noch.

Abendblatt: Das Turnier hat in dieser Saison seinen Mastersstatus verloren und macht zudem zu oft durch Schlagzeilen abseits des Sports von sich reden. Ist der Rothenbaum überhaupt zu retten, und wenn ja, wie?

Kühnen: Zu wirtschaftlichen Dingen möchte ich mich nicht äußern, weil mir dazu der Einblick fehlt. Fakt ist jedoch, dass mir das Thema Hamburg immer zu negativ gesehen wird. Das Turnier ist nach wie vor das hochwertigste deutsche Tennisturnier, und durch das Fehlen von Nadal und Federer haben die Deutschen in diesem Jahr größere Chancen , weit zu kommen. Hamburg hat immer von der Nähe zu den Zuschauern gelebt. Wenn die einen deutschen Sieger feiern könnten, dann glaube ich, dass das einen positiven Effekt auf unseren Sport haben kann.

Abendblatt: In den vergangenen Jahren hieß es immer, den Deutschen liege der Sandplatz nicht. Jetzt sollen sie das Turnier gewinnen. War der Sand eine Ausrede für unwillige Sportler?

Kühnen: Nein. Natürlich sind wir keine Sandplatz-Nation, allein schon, weil wir von Oktober bis April in der Halle spielen müssen. Aber wir haben auch gute Sandplatzspieler. Philipp Kohlschreiber hat das gerade in Spanien bewiesen. Dennoch warne ich davor, ihn als Favoriten für Hamburg zu betrachten. Das Feld ist immer noch stark besetzt. Mir ist wichtig, dass die deutschen Spieler alles geben und sich ordentlich präsentieren. Dafür sind Heimspiele da.

Abendblatt: Ist es auch für Sie ein Heimspiel, bei deutschen Turnieren zu sein, oder ist es egal, in welchem Land das Hotelbett steht, in dem Sie übernachten?

Kühnen: Ich freue mich immer, in Deutschland zu sein. Die Stimmung ist jedes Mal besonders. Natürlich gibt es auch im Ausland viele schöne Turniere, aber ich bin am liebsten hier. Den Spielern stehe ich natürlich überall zur Verfügung.

Abendblatt: Darüber gab es im vergangenen Jahr Verstimmungen, als Ihnen Spieler vorwarfen, sich nur um Haas zu kümmern.

Kühnen: Das war von einigen Medien konstruiert. Das war teamintern kein großes Thema. Ich denke, unser Auftritt in Spanien hat bewiesen, dass wir ein Team sind, das zusammenhält.

Abendblatt: Wenn Sie sehen, wie viele gut dotierte Senioren-Turniere es gibt, kommt bei Ihnen dann manchmal die Lust zurück, selbst aktiv zu sein?

Kühnen: Ich spiele unheimlich gern und regelmäßig Tennis. Aber ich habe mir vor zwei Jahren geschworen, keine Turniere mehr zu spielen. Diese Zeit ist vorbei, auch weil ich mich voll in meinem Job als Daviscup-Teamchef engagieren möchte.

Abendblatt: Sie sind in einer Zeit aktiv gewesen, als Tennis boomte. Sie standen immer im Schatten von Boris Becker und Michael Stich. In der heutigen Ära wären Sie wahrscheinlich der Beste, würden aber wenig wahrgenommen. Denken Sie manchmal darüber nach, welche Ära für Sie schöner gewesen wäre?

Kühnen: Nein, darüber denke ich nicht nach, denn ich bin sehr zufrieden damit, wie meine Karriere gelaufen ist. Ich habe die Zeit als Spieler sehr genossen, in der Tennis unglaublich populär war. Heute genieße ich es, dass ich die aktuelle Spielergeneration aufbauen und fördern kann. Ich hatte als Spieler einen Traumjob und habe ihn jetzt als Teamchef. Mehr kann man nicht erwarten.