Sebastian Sylvester spricht im Abendblatt-Interview vor dem WM-Kampf im Mittelgewicht über den Reiz des Boxens, Luxus, Träume und seinen Rivalen Felix Sturm.

Abendblatt: Herr Sylvester, wie würden Sie einem Menschen, der Ihren Sport nicht kennt, den Reiz des Boxens beschreiben?
Sebastian Sylvester: Der Reiz am Boxen ist für mich, dass sich zwei Sportler gegenüberstehen, die nach fairen Regeln ihre Kraft messen. Der Nervenkitzel zu wissen, dass der Gegner jede Schwäche ausnutzen und einen k.o. schlagen kann, wenn man nicht aufpasst, das finde ich spannend.


Abendblatt: Was entgegnen Sie Menschen, die sagen, Boxen ist kein Sport, weil man dabei in Kauf nimmt, andere Menschen zu verletzen?
Sylvester: Grundsätzlich lasse ich jedem seine Meinung. Aber das Ziel beim Boxen ist ja nicht, den Gegner zu verletzen, sondern ihn körperlich zu beherrschen. Natürlich besteht dabei die Gefahr, dass man sich verletzt, aber die besteht auch bei anderen Sportarten.


Abendblatt: Boxen ist aber kein Sport, den man wie Fußball auf der Straße betreiben kann.
Sylvester: Das stimmt, auf der Straße ist aber heutzutage gar nichts mehr fair.


Abendblatt: Haben Sie Erfahrungen auf der Straße gemacht?
Sylvester: Also, wenn Sie wissen wollen, ob ich in einer Jugendgang war, um mich zu prügeln, dann muss ich Sie enttäuschen. Mir ist mal in Berlin bei einer Prügelei der Kiefer gebrochen worden, aber das war es auch schon.


Abendblatt: Es war also nicht Ihr Antrieb, das Boxen zu lernen, um sich verteidigen zu können?
Sylvester: Nein, das war ein ganz anderer Antrieb. Mein älterer Bruder Andy hat geboxt, und immer, wenn er gewonnen hat, hat er von meinen Großeltern eine Westmark bekommen. Dafür konnte er dann im Intershop Westprodukte kaufen. Das wollte ich auch! Und deshalb habe ich auch angefangen.


Abendblatt: Und, wie viel Westmark haben Sie so verdient?
Sylvester: Keine einzige, denn meine Großeltern haben mich nie für Siege bezahlt.


Abendblatt: Das große Geld können Sie ja jetzt verdienen. Am kommenden Sonnabend fordern Sie WBA-Weltmeister Felix Sturm heraus. Als Champion hat man doch fast ausgesorgt. Was bedeutet Ihnen Luxus?
Sylvester: Luxus ist, wenn man nicht mehr aufs Konto guckt, sondern nur noch mit Kreditkarte bezahlt und das tut, worauf man Lust hat. Zum Beispiel, einfach überall hinzufliegen, wo man in dem Moment gerade hinmöchte.


Abendblatt: Ist das ein Luxus, den Sie sich für Ihr Leben wünschen?
Sylvester: Nein, gar nicht. Mein Luxus ist mein Haus in Dersekow, ein paar Kilometer von meiner Heimat Greifswald entfernt. Ich habe es gerne ruhig, und in Dersekow bekommt man noch mit, wenn Sonntag ist. Dann mit meiner Familie vorm Kamin zu sitzen, das ist für mich Luxus.


Abendblatt: Das heißt, als Weltmeister würden Sie sich gar nichts gönnen?
Sylvester: Das nun auch wieder nicht. Ich hätte da schon ein paar Wünsche, zum Beispiel Jetski oder ein Quad, oder auch ein paar schnelle Autos. Aber das sind alles Hobbies für die Zeit nach der Karriere. Für einen Profisportler ist das zu gefährlich.


Abendblatt: Gibt es denn keinen Traum, den Sie sich erfüllen wollen?
Sylvester: Doch, auf meiner eigenen Insel mit meinem Ferrari herumfahren. Aber ich setze mich mit so etwas noch gar nicht auseinander. Erst einmal muss ich Weltmeister werden, vorher brauche ich nicht zu träumen.


Abendblatt: War Profiboxer immer Ihr Traumberuf?
Sylvester: Ich habe Trockenbauer gelernt, habe auch mein Geld nebenbei auf Rügen, in Stralsund oder Greifswald im Security-Bereich verdient. Aber ich habe schon als Zehnjähriger gesagt, dass ich Profi werde. In der Schule dachten alle, das sei nur so dahergesagt. Aber es war immer mein Ziel, dass ich irgendwann Weltmeister werde.


Abendblatt: Wann hatten Sie denn zum ersten Mal das Gefühl, dass Sie Weltmeister werden können?
Sylvester: Anfang des Jahres. Ich wollte mich an Silvester ausnahmsweise mal wieder richtig abschießen, doch der Alkohol hat mir gar nicht geschmeckt. In dem Moment dachte ich: 2008 kann wirklich dein Jahr werden.


Abendblatt: Dann kam im April der Kampf gegen Javier Castillejo, mit dem Sie sich zu Sturms Pflichtherausforderer durchgeschlagen und alle überrascht haben. War das der letzte Schritt, der Ihnen das Selbstvertrauen gegeben hat, sich mit den Besten messen zu können?
Sylvester: Naja, der Knockout gegen Castillejo hat mir wohl zu 100 Prozent die Sicherheit gegeben. Aber eigentlich wusste ich schon nach dem Rückkampf gegen Amin Asikainen, dass ich reif bin für große Titelkämpfe. Der Kampf war nicht gut, aber ich habe ihn trotzdem gewonnen. Von da an ist meine Kurve nach oben gegangen.


Abendblatt: Was ist im Ring Ihre größte Stärke?
Sylvester: Mein Wille. Vor allem aber meine Ecke.


Abendblatt: Ihre Ecke? Boxer sind doch Einzelkämpfer.
Sylvester: Na klar, ich muss die Kämpfe allein kämpfen. Aber ohne meine Ecke, meinen Trainer Hartmut Schröder und die anderen Jungs, wäre ich niemals so weit gekommen. Und meine größte Sicherheit ist meine Familie, meine Freundin Diana und meine Tochter Lea-Chantal. Bei denen kann ich mich fallen lassen, kann ich selbst sein und bekomme den Kopf frei.


Abendblatt: Sie gelten als Familienmensch, haben Ihren Vater verloren, als Sie 17 Jahre alt waren. Mit Ihrer Mutter haben Sie jedoch keinen Kontakt mehr. Inwieweit hat Sie das geprägt?
Sylvester: Mein Vater war mein Vorbild. Er hat mich sehr geprägt. Deshalb: Alles für Papa! Über Privates möchte ich nicht weiter reden.


Abendblatt: Sie gehören dem Berliner Wiking-Boxteam an, in dem viel Wert auf Zusammenhalt gelegt wird. Ist das auch so eine Art Familienersatz für Sie?
Sylvester: Man kann wohl sagen, dass Wiking meine Berliner Familie ist. Ich bin über Hartmut, der schon zu Amateurzeiten mein Coach war, zu Wiking gekommen, weil der Wiking-Chef Winne Spiering Hartmuts Cousin ist. Wenn ich in Berlin im Training bin, wohne ich manchmal bei Winne in einer kleinen Wohnung. Das ist dann schon wie Familienleben.


Abendblatt: Dem Wiking-Stall wird von einigen eine Verbindung zu rechtem Gedankengut nachgesagt. Das martialische Auftreten einiger Teammitglieder mit kahlrasiertem Schädel, Runenschrift auf der Kleidung und vielen Tattoos verbinden manche mit Neonazis. Wie reagieren Sie auf solche Unterstellungen?
Sylvester: Meistens gar nicht, weil die Leute sowieso das denken, was sie denken wollen. Wir sind keine Nazis, keine Rassisten, und wer uns kennt, der weiß das. Alles andere ist unwichtig.


Abendblatt: Was bedeutet für Sie persönlich das Wikingertum?
Sylvester: Nicht viel, ich identifiziere mich nicht so sehr damit. Für mich passt die Verbindung mit dem Element Wasser gut. Da fühle ich mich wohl. Und die Wikinger waren genauso einzigartig wie wir es als Team auch sind.


Abendblatt: Sie selbst haben im Vorfeld des Duells mit Sturm für Verstimmungen gesorgt, als Sie sagten, Sturm sei wegen der Herkunft seiner in Bosnien geborenen Eltern kein richtiger Deutscher. Sie nennen ihn auch konsequent Adnan Catic. Wie ist das gemeint?
Sylvester: Ich habe Felix Sturm als Amateur kennengelernt, damals hieß er noch Adnan Catic. Deshalb finde ich es auch konsequent, ihn so zu nennen.


Abendblatt: Der Name steht ja auch noch in seinem Pass. Aber hinter der Provokation steckt ja wohl noch etwas mehr, oder?
Sylvester: Ich bin einfach der Meinung, dass man seine Herkunft nicht verleugnen sollte, das ist alles. Im übrigen sind die ganzen Aussagen im Vorfeld des Kampfes auch ein Teil der Show, damit ihr Medienleute auch genug zu schreiben habt. Das gehört dazu, das ist doch auch nicht verkehrt.


Abendblatt: Das heißt, ein Hassduell, wie es häufig zu lesen war, ist das für Sie nicht?
Sylvester: Überhaupt nicht. Wir werden uns im Ring mit Sicherheit ordentlich an den Kopp hauen, aber danach geben wir uns die Hand, und alles ist geklärt.


Abendblatt: Dann werden Sebastian Sylvester und Felix Sturm zu Freunden?
Sylvester: Nein, Freunde werden wir nie, dazu sind wir menschlich viel zu verschieden. Adnan war mir schon bei den Amateuren zu arrogant, er hat nie gegrüßt, war immer hochnäsig. Wir sind einfach nicht auf einer Wellenlänge. Aber als Boxer respektiere ich ihn sehr. Er ist technisch und athletisch stark und hat als Weltmeister natürlich auch viel Erfahrung.


Abendblatt: Ihr Trainer glaubt, dass Sie nicht nach Punkten gewinnen können, weil Sie als Außenseiter auf einer Universum- Veranstaltung boxen. Richten Sie also alles auf einen K.o. aus?
Sylvester: Nein, das kann ich gar nicht, ich bin doch nicht Arthur Abraham. Ich rechne damit, dass Adnan in den ersten Runden ordentlich Druck macht und die Entscheidung sucht, aber ich werde auch meine Akzente setzen und ihn unter Druck setzen. Sonst läuft er nur weg, das kann er ja auch sehr gut.


Abendblatt: Sie gelten als ruhiger, besonnener Mensch. Wundern Sie sich manchmal über die Aggressivität, die Sie im Ring ausstrahlen?
Sylvester: Es stimmt, ich bin im Ring wirklich ein ganz anderer Mensch. Als ich mir den Castillejo-Kampf auf Video angeschaut habe, war ich sehr überrascht, wie aggressiv ich da gewirkt habe.


Abendblatt: Wenn Sie Weltmeister werden, sind Sie in Deutschland bekannt. Haben Sie als Mensch, der seine Ruhe braucht, Angst vor der Berühmtheit?
Sylvester: Nein, denn ich werde mich durch den Titel nicht verändern. In Greifswald haben sowieso schon fast alle eine Autogrammkarte, und selbst in Berlin werde ich ja schon oft genug erkannt. Und natürlich freue ich mich darüber, denn jeder Mensch hat Anerkennung nötig.


Abendblatt: Eine Anerkennung, die Ihnen förmlich noch fehlt, ist die Liebe zu Ihrer Freundin, mit der Sie seit zwölf Jahren zusammen sind. Sind Sie als Weltmeister zur Hochzeit bereit?
Sylvester: Eine Hochzeit ist nicht geplant. Die Flitterwochen sollen lang werden, nicht nur zwei Wochen. Und dafür habe ich momentan noch keine Zeit.


Interview: Björn Jensen

Sebastian Sylvester wurde am 9. Juli 1980 in Greifswald geboren. Als Neunjähriger trat er dem BC Greifswald bei, drei Jahre später lernte er dort seinen heutigen Trainer Hartmut Schröder kennen. Nach 95 Amateurkämpfen und zwei deutschen Meistertiteln wurde der gelernte Trockenbauer Profi im Berliner Wiking-Boxstall. Seinen ersten Kampf am 26. Mai 2002 in Berlin verlor er gegen den völlig unbekannten Russen Juri Saitsev durch K.o. in der ersten Runde. Am 16. Juli 2005 holte er sich in Nürnberg durch einen Punktsieg über den Franzosen Morrade Hakkar den EM-Titel im Mittelgewicht, den er am 3. Juni 2006 in Hannover gegen den Finnen Amin Asikainen durch technischen K.o. in Runde acht wieder verlor. Am 23. Juni 2007 gewann der Sportfreak, der in seiner Jugend auch ein guter Surfer war, den Rückkampf gegen Asikainen in Zwickau durch technischen K.o. in Runde elf und holte sich den EM-Gürtel zurück. Seit seinem K.-o.-Sieg gegen den Spanier Javier Castillejo vom 12. April dieses Jahres in Neubrandenburg ist Sylvester, der 29 seiner 31 Kämpfe gewann und 14 Siege vorzeitig feierte, Pflichtherausforderer von WBA-Weltmeister Felix Sturm. Während der Vorbereitung lebt der 172 cm große Athlet in Berlin, ansonsten wohnt er mit seiner Freundin Diana und der gemeinsamen Tochter Lea-Chantal (7) in Dersekow nahe Greifswald.