Der Kampf um die Plätze im WM-Team für 2010 ist voll entbrannt. Und manches deutet darauf hin, dass sogar Michael Ballack seine Chance verspielt.

Hamburg. Nach stundenlangen Beratungen in der Frankfurter DFB-Zentrale war gestern Nachmittag das Werk endlich vollendet. Um 15.37 Uhr verschickte der DFB die 28-zeilige Pressemitteilung mit der Nummer 159/2008. 28 Zeilen, die den Anfang vom Ende einer der größten Fußballer-Karrieren im DFB-Trikot bedeuten könnten.

Mit geradezu klirrender Kälte bestellte der Bundestrainer Joachim Löw (48) seinen Spielführer Michael Ballack (32) zum Rapport: "Ich werde mit Michael Ballack telefonieren und ihn zu einem Gespräch in Deutschland auffordern, um ihm zu sagen, dass ich von dem Weg, den er gewählt hat, maßlos enttäuscht bin und die inhaltlichen Aussagen von ihm nicht akzeptabel sind. Ich lasse mir das nicht gefallen und werde auf diese Unterredung bestehen." Im nächsten Satz macht Löw dann unmissverständlich klar, dass nicht weniger als Ballacks Zukunft im DFB-Trikot auf dem Spiel steht: "Alles Weitere wird man dann sehen, meine Entscheidung hängt dann auch vom Verlauf dieses Gesprächs ab."

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Die ultimative Drohung war die Antwort auf den Rundumschlag Ballacks am Vortag in der "FAZ". Hier hatte der Profi in Diensten des FC Chelsea Löw massiv attackiert, mehr Respekt und Loyalität eingefordert - ihm gegenüber, und auch den zuletzt von Löw nicht mehr berücksichtigten Kollegen Torsten Frings und Kevin Kuranyi. Ganz offen mutmaßt Ballack Günstlingswirtschaft. Im Konkurrenzkampf, sagt Ballack, habe es "in der Vergangenheit in der Nationalelf wohl Fälle gegeben, bei denen das Leistungsprinzip nicht angewendet wurde".

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Was ist nur aus der liebsten Mannschaft der Deutschen geworden? Gut zwei Jahre nach dem Sommermärchen, als Jürgen Klinsmann mit seinem Kotrainer Joachim Löw ganz Deutschland euphorisierte, verschiebt sich das Teamquartier irgendwo Richtung Dallas und Denver-Clan. In den Hauptrollen: Kevin Kuranyi, der in der Halbzeit beleidigt von der Tribüne aus dem Stadion flüchtet. Torsten Frings, der frustriert nach der Ersatzbank-Verbannung "mehr Rückendeckung und mehr Vertrauen" reklamiert. Und natürlich Ballack, dessen Streit nach dem verlorenen EM-Finale gegen Spanien in Wien mit Teammanager Oliver Bierhoff vor Millionen TV-Zuschauern fast handgreiflich endete.

Wird aus dem Sommermärchen 2006 jetzt das Herbstdrama 2008? Wird aus der Wohlfühl-Oase, in der der Klinsi (Jürgen Klinsmann), der Jogi (Löw), der Micha (Ballack) und der Olli (Oliver Kahn) bei der WM kuschelten, ein Hort der Intrigen und Eifersüchteleien?

Bei der Antwort lohnt ein Blick zurück in jene glutheißen Sommertage vor zwei Jahren, als Deutschland auf den Fanmeilen zu den Klängen von Xavier Naidoo ("Dieser Weg wird kein leichter sein") tanzte.

Dabei zeigten sich auch damals durchaus feine Spannungen in der verordneten Harmonie. Wie konnte es auch anders sein, nachdem Klinsmann im Vorfeld mit der Heckenschere alte Zöpfe abgeschnitten hatte, mündend in die Entmachtungen von Sepp Maier, Christian Wörns und DFB-Funktionären. Das erste Spiel (4:2 gegen Costa Rica) hatte noch nicht einmal begonnen, da war einer schon schwer beleidigt: Michael Ballack, der - weil angeschlagen - nicht spielen durfte. Oliver Kahn, ebenfalls ein Klinsmann-Opfer, ertrug die Rolle der Nr. 2 nur mit übermenschlicher Selbstbeherrschung. Im kleinen Kreis verriet er später, wie sehr ihn dieses ganze Naidoo-Brimborium genervt habe.

Doch der Erfolg, die Party-Stimmung und die glänzende Inszenierung von Jürgen Klinsmann kleisterten alle Risse zu. Sein größtes Handicap, der Mangel an absoluten Top-Spielern, wurde zu seinem größten Vorteil. Letztlich hatte Klinsmann nur 13 oder 14 Profis mit internationaler Klasse. Konkurrenzkampf? Fast Fehlanzeige. Profis wie Mike Hanke, Gerald Asamoah oder Robert Huth waren viel zu glücklich, überhaupt dabei zu sein, um über ihre Statistenrolle groß zu meckern.

Zwei Jahre später ist der Kampf um die Plätze für die WM 2010 voll entbrannt. Junge Spieler, allen voran Piotr Trochowski vom HSV, machen Druck aufs Establishment.

Und auch Löw kann plötzlich Druck machen. Wer im Verein mal schwächelt wie Frings oder Kuranyi, riskiert sofort das Trikot mit dem Adler. "Es gibt keine Stammplätze mehr", so lautet das neue Credo.

Löw, der Entscheider.

Für die meisten Fans wirkt das überraschend. Für sie ist der Bundestrainer der "liebe Jogi" - begünstigt durch den so kuscheligen Spitznamen und das schwäbische Idiom ("högschde Disziplin"). Dabei seziert er schonungslos - geschehen am vergangenen Freitag beim DFB - in einer internen Präsentation Schwachstellen wie mangelnde Schnelligkeit im deutschen Profi-Fußball.Wie entschlossen Löw sein kann, spürte nach dem Qualifikationsspiel in Finnland auch ZDF-Moderator Johannes B. Kerner. Weil ihn die Einstiegsfrage verärgerte, schwieg er vor jeder Antwort einfach sekundenlang. "Der Jogi", sagt ein enger Vertrauter, "kann knallhart sein."

Ihm gegenüber steht jetzt ein Führungsspieler, der alles versucht, um sich endlich seinen großen Traum zu erfüllen. Den ersten großen internationalen Titel. Ob mit Leverkusen, Bayern oder Chelsea in der Champions League, ob mit der Nationalmannschaft bei Welt- und Europameisterschaften - immer scheiterte Ballack auf der Zielgeraden. Deshalb ist er so besessen. Einer wie er kann es nicht ertragen, wenn sich junge Spieler mit ihren Frauen oder Freundinnen - so geschehen nach dem schrecklichen 1:2 bei der EM gegen Kroatien - im Teamquartier am Pool sonnen. Wütend protestierte Ballack damals - was ihm im Team den Ruf des ewigen Nörglers eintrug. Wird dann noch - wie nach dem Finale in Wien -, nach einer Niederlage eine Fan-Aktion eingefordert, dreht Ballack förmlich durch, beschimpfte laut "Sport-Bild" Teammanager Bierhoff als "Pisser".

Entsprechend verhärtet sind die Fronten. Ballack ist überzeugt, dass nur mit ihm und alten Kämpen wie Frings der Coup in Südafrika 2010 gelingen kann. Löw bezweifelt dagegen, ob eine größere Riege Mittdreißiger noch im Konzert der Großen mithalten kann.

Irgendwann in den nächsten Tagen werden sie sich treffen. Der Jogi. Und der Micha. Ballack, das scheint sicher, ist schon jetzt der große Verlierer. Entweder wird er sich entschuldigen. Dann geht seine Autorität dahin. Oder er bleibt hart. Dann ist sein Lebenstraum vom WM-Titel zerstört ...