Das Schwergewicht unterliegt Tony Thompson durch technischen K. o. und sollte nun seine Karriere beenden.

Hamburg. Als Luan Krasniqi am Sonntagmorgen nach wenigen unruhigen Stunden Schlaf in seiner Hamburger Wohnung erwachte, waren die Geschehnisse des Vorabends noch immer unerklärlich. Der Schwergewichts-Boxprofi aus dem Hamburger Universum-Stall fühlte eine tiefe Leere in sich, es war, "als wolle mir die Decke auf den Kopf fallen". Noch am gestrigen Nachmittag reiste der 36-Jährige zurück in seine Heimat Rottweil im Schwarzwald, wo seine Frau und seine Familie auf ihn warteten. Ihren Trost brauchte Krasniqi, und ihren Rat wird er in den kommenden Wochen einholen, um eine Entscheidung zu treffen, die im Grunde genommen schon in der Nacht zu Sonntag in der Color-Line-Arena gefallen war.

"Ich muss mit allen Vertrauten und mit meinem Management reden, bevor ich eine Entscheidung treffe", sagte er zwar. Doch wenn der im Kosovo geborene Schwabe seiner Linie treu bleibt und auf die innere Stimme hört, die bereits gestern zu ihm sprach, dann wird er seinen Traum, erster deutscher Schwergewichts-Weltmeister nach Max Schmeling zu werden, endgültig begraben. Er muss es tun, denn das, was 7500 Fans in der Arena und 4,64 Millionen im ZDF miterleben mussten, war eine boxerische Bankrotterklärung. Krasniqi war im WM-Ausscheidungskampf um das Recht, den WBO-Weltmeister herauszufordern, von seinem ein Jahr jüngeren, vier Zentimeter größeren und zehn Kilo schwereren Rivalen Tony Thompson (USA, 196 cm, 112,5 kg) knapp fünf Runden lang vorgeführt worden. Der limitierte, aber beherzt und entschlossen agierende Thompson diktierte das Tempo, schob Krasniqi mit seiner rechten Führhand durch den Ring und stellte ihn immer wieder an den Seilen, um harte Körper- und Kopftreffer anzubringen. "Ich habe meinen Kampfplan optimal umgesetzt und wollte den Sieg mehr als Luan", sagte Thompson, der kurz nach Mitternacht völlig ohne Spuren des Kampfes auf der VIP-Party in den Katakomben der Arena aufgelaufen war.

Fatal war, dass Krasniqi nicht einmal versuchte, sich zu wehren. Seine gelegentlichen Konter, die Thompson stets mit einem Lächeln quittierte, trug er mit roher Gewalt vor. Seine Deckung war eine Einladung zur munteren Kopfmassage, und anstatt sich an den Seilen klein zu machen, stellte er sich als aufrechtes Ziel zur Verfügung. Schon in der Pause vor der fünften Runde hatte Ringrichter Mark Nelson (USA) einen Abbruch angedroht, falls Krasniqi sich nicht verteidigen würde. 21 Sekunden vor Ende der fünften Runde hielt Nelson Wort, als Thompson seinen Kontrahenten wieder einmal mit einem Schlaghagel eingedeckt hatte. "Es ist mein Job, auf die Gesundheit des Sportlers zu achten", erklärte Nelson seine Entscheidung, die von Krasniqi mit starrem Entsetzen, aber ohne Protest hingenommen wurde. Man spürte schon in dieser Szene, dass er das Ende seiner Karriere realisiert hatte.

Es spricht für den Sportler, dass er eine in der zweiten Runde erlittene Rippenprellung nicht als Entschuldigung anführte, sondern seine Leistung offen einordnete: "Mir ist es noch nie passiert, dass ich von Anfang bis Ende unterlegen war. Ich hatte keine Chance und bin froh, dass der Ringrichter mich vor noch mehr Prügel bewahrt hat." Ob es der von vielen Experten befürchtete Substanzverlust aus Ringschlachten mit Lamon Brewster, Sinan Samil Sam oder Rene Monse war, der den Einbruch mit verursachte, oder doch eher die Art des sensiblen Sportlers, in Drucksituationen nicht mit der nötigen mentalen Frische agieren zu können, wollte er nicht beurteilen.

"Der Sportler Krasniqi hat eine schwere Niederlage eingesteckt, aber der Mensch Krasniqi wird sich dadurch nicht ändern", sagte er, und gestand ein, "dass ich mich vielleicht nicht immer vollständig aufs Boxen konzentriert habe, weil ich auch andere Dinge gut kann". Nun muss der Mensch Krasniqi, der gelernter Kaufmann und Dolmetscher ist und sich in Deutschland als fairer und kluger Sportsmann einen Namen gemacht hat, über den Sportler Krasniqi siegen und die einzige Entscheidung fällen, die Sinn macht, wenn er nicht als Prügelknabe enden will.