Nur ein Sieg gegen Tony Thompson erhält Luan Krasniqis Traum vom zweiten WM-Kampf aufrecht.

Hamburg. Wer einst auf die Idee kam, Luan Krasniqis albanischen Vornamen ins Deutsche zu übersetzen und ihn unter dem Kampfnamen "Löwe" in den Ring zu schicken, daran kann sich der Boxprofi aus dem Hamburger Universum-Stall nicht mehr erinnern. Aber möchte man in diesem Bild bleiben, so ähnelt der 36 Jahre alte Schwergewichtler in diesen Tagen einem Raubtier, dem man das Fleisch entzogen und gleichzeitig eine Beißhemmung antrainiert hat. Krasniqi benimmt sich wie einer, den der Heißhunger plagt, der aber gleichzeitig weiß, dass erst am heutigen Sonnabend gegessen werden darf.

Um 22 Uhr (ZDF live) tritt Krasniqi in der Color-Line-Arena gegen den US-Amerikaner Tony Thompson an. Es geht in diesem WM-Ausscheidungskampf um das Recht, den Champion des Weltverbandes WBO herauszufordern. Doch für Krasniqi geht es noch um viel mehr. Verliert er den Kampf, kann er seinen Traum, erster deutscher Schwergewichts-Weltmeister nach dem legendären Max Schmeling zu werden, begraben. "Ich weiß, dass das meine letzte Chance ist, um Pflichtherausforderer zu werden", sagt er. "Wenn ich verliere, kann ich mich nur auf dem Markt der freiwilligen Herausforderer als Prügelopfer anbieten." Dazu hat der im Kosovo geborene Athlet keine Lust. Dafür ist sein Stolz viel zu groß.

Also muss ein Sieg her. Krasniqi hat dafür in seiner Heimat Rottweil im Schwarzwald mit seinem Team um Trainer Torsten Schmitz hart gearbeitet. "Wenn Luan seine Sparringsleistungen abrufen kann, dann geht der Kampf nicht über die Runden", prophezeit der Coach, und aus dem Mund des wortkargen Mecklenburgers klingt eine solche Aussage fast wie eine Kriegserklärung. Es sind freilich die einzigen forschen Töne, die aus dem Krasniqi-Lager zu hören waren. Der Sportler selbst wollte weder zu aus den USA verlauteten Aussagen ("Ich trete ihm in den Hintern") noch zu dem fast schon provokativ zur Schau gestellten Selbstbewusstsein seines Kontrahenten Stellung beziehen. "Ich werde im Ring antworten", das war alles, was dem zu gleichen Maßen konzentriert und nervös wirkenden Faustkämpfer zu entlocken war.

Krasniqi ist vorsichtig geworden. Er nimmt sich vor vorlauten Prognosen ebenso in Acht wie vor den Schulterklopfern, die sich in guten Zeiten in seinem Ruhm sonnten. Zu häufig hat er erlebt, dass sich nach weniger überzeugenden Kämpfen, von denen es in der Vergangenheit einige gegeben hatte, die Kritik an seinem Stil überschlug. Zuletzt war dies im März nach seinem mühsamen Punktsieg über Brian Minto - der Mann, der Axel Schulz in Rente geschickt hatte - der Fall gewesen. Zu langsam, zu abwartend, zu überheblich - so lauteten das vernichtende Urteile vieler Experten über den früheren Europameister.

Krasniqi weiß, dass er gegen weniger namhafte und ihm boxtechnisch unterlegene Gegner Probleme mit der Motivation hat. Aber er weiß auch, dass er in großen Kämpfen über sich hinauswachsen kann. Bestes Beispiel war die bis heute unvergessene Schlacht mit Lamon Brewster im September 2005. Es war Krasniqis erster und bislang einziger WM-Kampf, es war sein bislang einziger Auftritt als Hauptkämpfer in der Color-Line-Arena, und trotz der K.-o.-Niederlage in Runde neun war es der Kampf, der ihm die größten Sympathien eingebracht hat. Davon zehrt er bis heute, auch wenn er seit diesem Kampf sein Image bei seinen Kritikern, ein "Bruder Leichtfuß", ein "Chancenvergeber" zu sein, zementiert hat. "Gegen Thompson gibt es keine Schlacht wie gegen Brewster. Aber Tony geht wie ein Bulldozer nach vorn. Ich muss mein ganzes Können zeigen und bitte die Fans um Geduld", sagt Krasniqi.

Dass sein Gegner, der in der WBO-Rangliste einen Platz hinter Krasniqi auf Rang vier geführt wird, auf den Kampfnamen "Tiger" hört, ist eine Randnotiz, die man auch als gutes Omen auslegen kann. Schließlich ist der Löwe der König der Tiere. Luan Krasniqi ist bereit, sein Regiment zu verlängern. Dazu wird er heute Abend kräftig beißen müssen.