Eisschnellauf: Jenny Wolf Sechste

TURIN. Jenny Wolf schüttelte nur ungläubig den Kopf, als "Rabenmutter" Swetlana Schurowa die seit 38 Jahren anhaltende Durststrecke Rußlands im Eis-Sprint über 500 Meter beendete. Mit Platz sechs (38,70/38,55 Sekunden) verpaßte die 27jährige Berlinerin den Platz auf dem Siegerpodest recht deutlich. Damit hielt die Medaillen-Abstinenz der deutschen Eisschnelläuferinnen auch nach der zweiten Entscheidung an. Vor vier Jahren hatten sie zum gleichen Zeitpunkt bereits drei Mal Edelmetall in der Tasche.

"Ich bin nicht am Boden zerstört", sagte Jenny Wolf fast trotzig, "aber vielleicht kommt heute abend noch ein wenig die Enttäuschung. Das Medaillenziel war realistisch, aber ich war nicht darauf abonniert. Dennoch ist es schade, daß es nicht geklappt hat", sagte die Germanistik-Studentin und gab zu: "Ich bin schon ein bißchen traurig." Nach einem Fehler in der zweiten Kurve des ersten Laufes waren alle Medaillen-Träume geplatzt. "Ich hatte im ersten Lauf meine Wunschgegnerin. Der Start war in Ordnung, aber mit der zweiten Kurve kann ich nicht zufrieden sein", meinte die Weltcup-Führende.

Hingegen krönte die 34jährige Schurowa mit Bestzeit im ersten Lauf 38,23 sowie 38,34 Sekunden im zweiten ihr Comeback nach der Entbindung ihres jetzt zweijährigen Sohnes Jaroslaw mit dem ersten Olympia-Erfolg für Rußlands Sprinterinnen seit 1968. In Grenoble hatte zuletzt Ljudmilla Titowa für die UdSSR Gold gewonnen.

Allerdings war die frisch gebackene Sprintweltmeisterin aus dem kleinen Örtchen Kirowsk mit Gewissensbissen nach Turin gereist. "Ich bin wirklich eine Rabenmutter, konnte mich in den letzten Wochen kaum um Jaroslaw kümmern. Aber ich habe ihm eine Medaille als Geschenk versprochen und hoffe, daß er mir jetzt verzeiht", schilderte die Russin, die schon 1996 WM-Gold auf der 500-Meter-Distanz verbucht hatte.

Härteste Konkurrentin der langen Blondine war erwartungsgemäß die zweimalige 500-Meter-Weltmeisterin Wang Manli. Die Hobby-Köchin aus Mingquang verpasste nach zwei starken Läufen (38,31/38,47) nur knapp das erste Gold für China im Eisschnellauf. Bronze ging durch Ren Hui gleichfalls an die Asiatinnen. Bittere Tränen weinte Ex-Weltmeisterin Marianne Timmer. Das niederländische "Eis-Model" wurde nach dem zweiten Fehlstart entsprechend des neuen Reglements disqualifiziert.

Wolfs Trainer Thomas Schubert suchte unterdessen nach Erklärungen für das Abschneiden der Deutschen: "Der Druck auf Jenny war nach dem medaillenlosen Abschneiden unserer Damen riesengroß. Irgendwie hatte jeder von ihr erwartet, daß sie das aufhebt, was die anderen liegen gelassen haben", meinte Schubert, der zuvor immer erklärte auch mit Platz vier oder fünf nicht unzufrieden zu sein.

Speziell für die 500-Meter Konkurrenz in Turin hatte sein Schützling an der Humboldt-Universität ein Frei-Semester eingelegt und vor der Saison viel mit den Shorttrackern trainiert, um die Kurventechnik zu verbessern. In glänzenden 10,39 Sekunden verbuchte sie im ersten Lauf die schnellste Startzeit im Olympic Oval, ehe die Kurven-Probleme wieder akut wurden. Indiskutabel war das Abschneiden der Erfurterin Pamela Zoellner auf Platz 24 (40,16/39,40). Auch die deutsche Meisterin Judith Hesse war als 19. (39,64/39,39) nur wenig schneller.

Vor dem heutigen Start des Wettbewerbs in der Team-Verfolgung ist das Wort "Krise" im deutschen Team jedoch Tabu. Auch die Frage, ob die deutschen Damen nur mit "Zickenterror" erfolgreich sein können, wurde von Anni Friesinger gleich gekontert: "Wir sind schließlich erwachsene Damen."