Der Rennstall des Weltmeisters Lewis Hamilton darf jetzt im Streit mit dem Weltverband Fia auf ein milderes Urteil in der “Lügen-Affäre“ hoffen. Bilder von den Gridgirls der Formel 1. Formel 1: Die Fahrer 2009.

Shanghai. Der Himmel über dem Shanghai International Circuit hätte Ron Dennis gefallen, schmutziges Grau gehörte für den BigMäc von McLaren stets zu den Lieblingsfarben. Anthrazitfarben ist auch sein Abschied aus der Formel 1, der gestern gut 8000 Kilometer vom Austragungsort des Großen Preises von China (So., 9 Uhr MESZ, RTL und Premiere) in England verkündet wurde: Der 61-Jährige, der den Rennstall seit 1981 geführt und zu einem der erfolgreichsten gemacht hat, überträgt die Verantwortung komplett auf Martin Whitmarsh. Das war zwar schon bei der Präsentation des Silberpfeils im Januar angekündigt worden, aber so richtig zum Renn-Rentner wollte der Brite nicht taugen. Er blieb mit Whitmarsh und Mercedes-Sportchef Norbert Haug im Führungsgremium von McLaren Racing, und tauchte wie selbstverständlich auch beim Saisonauftakt in Australien auf, wenn auch in Zivil. Dass er beim zweiten Rennen in Malaysia fehlte und sich dort die "Lügen-Affäre" um Lewis Hamilton entfaltete, die dem Team zur sportlich-technischen eine moralisch-rechtliche Krise beschert, wirft seine Schatten auf den letzten Schritt des Rücktritts auf Raten. Das Lieblingszitat des Patriarchen in Grau holt ihn ein: "Wem es zu heiß wird, der hat in der Küche nichts verloren."

Offiziell ist der Abschied kein Abstieg, sondern nur ein Umstieg: McLaren will künftig wieder auf eigene Rechnung Supersportwagen bauen und hat dafür - nachdem auch in diesem Geschäft Mercedes bisher der Partner war - einen eigenen Unternehmenszweig gegründet. Mercedes-Mann Haug sieht das ganz großzügig: "Ron nimmt eine neue, riesige Herausforderung an." Eine rein wirtschaftliche Entscheidung also, aber nur auf den ersten Blick.

Die Turbulenzen der vergangenen Wochen auf der Rennstrecke sind davon nicht zu trennen. Dennis: "Ich gebe zu, dass mit mir nicht leicht auszukommen ist. Ich gebe zu, dass ich immer hart für die Interessen von McLaren gekämpft habe. Max Mosley und Bernie Ecclestone sind über meine Entscheidung sicher nicht unglücklich." Offiziell um den Rücktritt gebeten, nein, das habe ihn niemand. So etwas lässt schon der Stolz des Mannes, der weiter mit 15 Prozent am Gesamtunternehmen McLaren beteiligt bleibt, nicht zu. Doch am 29. April muss sich das Team wegen der Vorkommnisse um die Falschaussagen von Melbourne vor dem Weltrat der Fia verantworten. Anklagepunkt, wie in der Spionageaffäre von 2007: McLaren habe das Ansehen des Sports beschädigt. Die saftigen 100 Millionen Dollar Strafe damals, so wird gemunkelt, hätten auch etwas mit persönlichen Aversionen zwischen Dennis und den Funktionären zu tun gehabt. Auch der auf Briefpapier von "McLaren Automotive" verbreitete Abtritt und die Tatsache, dass es kein offizielles Statement seines Ziehkindes Lewis Hamilton gibt, deuten auf eine peinlich genau eingehaltene Distanzierung von den Belangen des Rennteams hin. Dass muss den stets sehr auf Perfektion bedachten Dennis hinter der strahlenden Fassade schwer treffen. Whitmarsh, der nun auch die kaufmännische Verantwortung für das Rennteam trägt, wollte im silbernen Pavillon von Shanghai keinerlei Spekulationen kommentieren, räumte aber ein: "Es wäre gut, wenn die Beziehungen zwischen McLaren und dem Weltverband besser würden."

In der Londoner "Times" wird spekuliert, dass Ron Dennis mit Hamilton und dem inzwischen geschassten Teammanager Dave Ryan über ihr Verhalten in der Lügen-Affäre, die bisher nur mit der Aberkennung aller Punkte aus dem Rennen in Melbourne belegt wurde, telefonisch gesprochen habe. Whitmarsh hatte jedoch bestritten, dass die McLaren-Führungsebene in diesen Fall involviert gewesen ist. Ein entscheidender Punkt, wenn die Verhandlung gegen das Team ansteht. Die zweite Spekulation widmet sich dem angespannten Verhältnis zwischen Hamiltons Vater und Manager Anthony, dem in Malaysia die Wut über die Affäre anzusehen war, und der die Schuld dafür auf das Team abwälzen will, um seinen Sohn reinzuwaschen. Angeblich sollen die Hamiltons gedroht haben, das Team zu verlassen - und laut britischen Zeitungsberichten richtet sich der Zorn persönlich gegen Ron Dennis. Ausgerechnet gegen den Mann, dem der Weltmeister seine ganze Karriere zu verdanken hatte, und mit der Dennis zeigen konnte, dass er nicht nur siegfähige Rennwagen konstruieren lassen kann, sondern sogar einen Champion züchten kann. Der Beweis ist erbracht, Dennis hat seine Schuldigkeit getan. Der Ärger kann weitergehen.