Nach schwachem Beginn siegte die Bad Oldesloerin in drei Sätzen. Lisicki brach weinend zusammen und musste vom Court getragen werden.

Paris. Julia Görges im Freudentaumel, Sabine Lisicki im Gefühlschaos: Die Power-Frauen haben am vierten Tag der French Open für reichlich Emotionen gesorgt. Eine große Überraschung verpasste dabei Qualifikantin Lisicki, die nach dem Spiel weinend zusammenbrach und mit der Trage vom Court gebracht werden musste. Die Berlinerin konnte beim 6:4, 5:7, 5:7 in der zweiten Runde gegen die Weltranglistendritte Wera Swonarewa (Russland) einen Matchball und eine 5:2 Führung im entscheidenden Satz nicht nutzen.

Als einziger deutscher Tennisprofi bisher schaffte Görges den Einzug in die dritte Runde von Paris. Die Weltranglisten-18. hatte bereits mit 2:4 im zweiten Satz zurückgelegen, ehe sie das Blatt noch wenden konnte und mit 2:6, 7:5, 6:2 gegen Lucie Safarova (Tschechien) gewann. „Meine Leistung war am Anfang eines Grand Slams nicht würdig. Ich war gar nicht auf dem Platz und habe mich gefragt, was machst du hier eigentlich“, sagte Görges mit Blick auf ihre verschlafene Anfangsphase.

Auf den rechten Weg führte die 22-Jährige auch ihr selbst entworfenes Mental-Buch zurück, das sie bei den Seitenwechseln immer wieder zur Hand nahm: „Darin steht, was ich spielen soll. Mit Textmarker unterstrichen.“ Um einen Platz im Achtelfinale spielt Görges am Freitag gegen Lokalmatadorin Marion Bartoli (Frankreich/Nr. 11). „Zu den Turnierfavoriten zähle ich mich aber nicht“, erklärte die Stuttgart-Siegerin. Dagegen schieden Philipp Petzschner (Bayreuth) und Qualifikantin Mona Barthel (Bad Segeberg) aus.

Stuttgart-Viertelfinalstin Lisicki, die im vergangenen Jahr wegen einer hartnäckigen Knöchelverletzung insgesamt sechs Monate pausieren musste, hatte sich als Qualifikantin ins Hauptfeld von Paris gespielt. Vor der Wimbledon-Finalistin Swonarewa zeigte die 21-Jährige keinen Respekt und bestach durch ihre knallharten Grundschläge. Beim Stand von 5:2 im dritten Satz vergab Lisicki einen Matchball und musste sich danach wegen Kreislaufproblemen und Krämpfen behandeln lassen. Nach 2:40 Stunden war sie mit den Kräften am Ende.

Die Bollettieri-Schülerin war im August 2009 schon einmal die Nummer 22 der Weltrangliste, derzeit wird sie an Position 121 geführt. Zuletzt hatte sie bei zweitklassigen Turnieren um wichtige Punkte für das Klassement kämpfen müssen.

Während der 0:6, 6:7-K.o. von Barthel gegen Anastasia Pawljuschenkowa (Russland/Nr. 14) zu erwarten war, erlebte Wimbledon-Doppelsieger Petzschner eine böse Überraschung. Der Mannschaft-Weltmeister unterlag dem in der Weltrangliste 65 Plätze schwächer stehenden Qualifikanten Steve Darcis (Belgien) 5:7, 4:6, 4:6.

Petzschner haderte mit den vielen Linienbällen seines Gegners: „Das Verhältnis war 257:5 für ihn. Das war demoralisierend. Ich habe Schwierigkeiten, das zu akzeptieren.“ Damit hatten am Mittwoch und Donnerstag noch fünf weitere deutsche Profis die Chance, in die dritte Runde von Roland Garros einzuziehen.

Görges fand zunächst kein Mittel gegen das aggressive Spiel von Linkshänderin Safarova, die in der Rangliste 19 Plätze hinter der Fed-Cup-Spielerin steht. Erst nach dem 2:4-Rückstand im zweiten Durchgang gelang der jetzt immer sicherer agierende Bad Oldesloerin die Wende. „Ich habe mir selbst noch die Chance gegeben, das Match zu gewinnen. Das war der Knackpunkt“, meinte die Powerspielerin.

In den vergangenen Wochen hatte Görges mit zwei Siegen über die Branchenführerin Caroline Wozniacki (Dänemark) große Erwartungen geweckt. Großen Anteil am Aufstieg der hochaufgeschossenen Rechtshänderin hat Trainer Sascha Nensel. Der frühere Coach von Nicolas Kiefer machte Görges fitter und flexibler. „Ich konnte früher nur von der Grundlinie draufhauen und ’Bum-Bum’ spielen“, meinte Görges, die zur Verbesserung ihrer Psyche mit der früheren Profispielerin Eva Pfaff arbeitet.

Weiter auf Rekordjagd bleibt der Serbe Novak Djokovic. Der Melbourne-Sieger profitierte von der Aufgabe seines Gegners Victor Hanescu (Rumänien), der beim Stand von 6:4, 6:1, 2:3 für den Favoriten wegen einer Oberschenkelblessur nicht weiterspielen konnte. Für Djokovic war es der 39. Sieg in diesem Jahr. Den Startrekord hält John McEnroe mit 42 Erfolgen in Serie (1984). (sid)

Julia Görges: Nächster Aufschlag French Open

Von Björn Jensen

Für die Anreise zum zweiten Höhepunkt der Tennissaison hat Julia Görges ein ungewöhnliches Transportmittel ausgewählt. Heute am frühen Morgen wird sie in ihrer Wahlheimat Hannover einen Zug besteigen, der sie nach Paris bringt. In der französischen Hauptstadt starten am Sonntag die French Open, das zweite von vier Grand-Slam-Turnieren des Jahres. Die 22-Jährige aus Bad Oldesloe hätte mit dem Porsche anreisen können, den sie am Ostersonntag für den Turniersieg in Stuttgart erhalten hatte, oder, wie das Klischee einer Preisgeld-Millionärin vorschreibt, im Charterjet. Aber Görges folgt keinem Klischee, sie will sich treu bleiben, und dazu gehört, nach dem größten Erfolg ihrer jungen Karriere nicht die Bodenhaftung zu verlieren.

Schon die Bezeichnung "Preisgeld-Millionärin" passt ihr gar nicht. Zwar habe sie die Millionengrenze überschritten, "aber das hört sich so marktschreierisch an und verzerrt die Wirklichkeit, denn wenn man alle mit meiner Laufbahn verbundenen Kosten addiert und mit den Einnahmen saldiert, kommt da ein dickes Minus raus", sagt sie. So vernünftig denkt eine 22-Jährige nicht mal im besten Klischee, aber Görges scheint gelernt zu haben, in Phasen größter Euphorie nicht den Blick für das Wesentliche zu verlieren, und das ist für sie, sich von Spiel zu Spiel zu verbessern. "Dieser Job ist nie zu Ende, deshalb darf kein Erfolg den Blick dafür verstellen, dass man weiter hart arbeiten muss", sagt sie.

Auf Weltranglistenposition 32, das war vor der Saison ihr erklärtes Ziel, wollte sich die 1,80 Meter große Athletin hocharbeiten, um bei den Grand-Slam-Turnieren konstant gesetzt zu sein. Nun steht sie bereits auf Rang 18, und natürlich geht der Blick weiter nach oben, auch wenn sie abwiegelt, dass es zunächst nur darum ginge, die Position zu halten und nicht zu viel zu erwarten. "Ich denke jetzt nicht an die Top Ten, sondern nur daran, mich stetig zu verbessern; denn wenn das gelingt, kommt alles andere von allein", sagt sie. Aber den gewachsenen Respekt der Konkurrenz spürt sie selbstverständlich ebenso wie das Anspruchsdenken des nach Erfolgen dürstenden Umfelds. Da die besten 20 Spielerinnen der Welt automatisch zum erweiterten Favoritenkreis eines jeden Grand-Slam-Turniers gerechnet werden, dämmert es ihr, dass es eine Enttäuschung wäre, wenn sie die zweite Woche in Paris nicht auf dem Platz erleben würde. In ihrer defensiven Sprache sagt sie: "Ich habe bei Grand Slams bislang im Einzel nur einmal die dritte Runde erreicht, deshalb wäre ich mit dem Achtelfinale schon sehr zufrieden."

Nach dem Turniersieg in Stuttgart - "ein großartiges Gefühl, im eigenen Land erfolgreich zu sein" - und der anschließenden Halbfinalteilnahme in Madrid streikte der Körper, Görges musste wegen muskulärer Probleme im unteren Rücken ihre Teilnahme an den Turnieren in Rom und Brüssel absagen. Die Zeit hat sie genutzt, um zu regenerieren, vor allem für den Kopf war die Pause, die sie bei den Eltern in Bad Oldesloe genoss, wertvoll. "Die Verarbeitung dessen, was in den vergangenen Wochen geschehen ist, war neu für mich. Es gab eine Menge Sponsoren- und Medienanfragen, und ich merke, dass es manchmal zu viel wird", sagt sie. Zu lernen, Abstand zu bekommen und Nein zu sagen, sei der nächste Schritt, den sie machen müsse. "Andererseits muss ich auch lernen, mit dem gesteigerten Interesse klarzukommen."

Der sportliche Aufstieg ist die Komponente, die Görges auf dem Weg in den PR-Olymp noch gefehlt hatte. Ihr Äußeres hatte ihr schon als Teenager Beinamen wie "Tennis-Beauty" oder "Sexy Julia" eingebracht, doch nun, da das gute Aussehen vom guten Auftreten auf dem Platz verdrängt ist, sind namhafte Unternehmen aufmerksam geworden. Der neue Manager Stephan Peplies konnte kürzlich vermelden, seine Mandantin als Nachfolgerin von Topmodel Heidi Klum als neues Werbegesicht des Süßwarenherstellers Katjes vermittelt zu haben. Zudem wirbt sie für das Cascade-Sportresort in Lagos (Portugal), in dem der schwedische Exprofi Stefan Edberg eine Tennisschule betreibt, und für die Uhrenmarke Ingersoll. "Dass ich solche Marken repräsentieren darf, macht mich stolz", sagt Görges.

Natürlich hat sie in den Tagen in der Heimat auch darüber nachgedacht, was die Erfolge möglich gemacht hat. "2010 hatte ich oft nicht das Bewusstsein für die eigene Stärke. Mein Trainer Sascha Nensel hat mir beigebracht, weiterzudenken. Jetzt ist das Selbstbewusstsein da, dass ich mit den Besten mithalten kann", sagt sie. Es klingt wie ein Versprechen für die Zukunft.