Tennis-Ass Julia Görges aus Bad Oldesloe steigert vor dem Grand-Slam-Turnier in Paris ihre Ansprüche. Sie ist Nummer 18 der Weltrangliste.

Hamburg. Für die Anreise zum zweiten Höhepunkt der Tennissaison hat Julia Görges ein ungewöhnliches Transportmittel ausgewählt. Heute am frühen Morgen wird sie in ihrer Wahlheimat Hannover einen Zug besteigen, der sie nach Paris bringt. In der französischen Hauptstadt starten am Sonntag die French Open, das zweite von vier Grand-Slam-Turnieren des Jahres. Die 22-Jährige aus Bad Oldesloe hätte mit dem Porsche anreisen können, den sie am Ostersonntag für den Turniersieg in Stuttgart erhalten hatte, oder, wie das Klischee einer Preisgeld-Millionärin vorschreibt, im Charterjet. Aber Görges folgt keinem Klischee, sie will sich treu bleiben, und dazu gehört, nach dem größten Erfolg ihrer jungen Karriere nicht die Bodenhaftung zu verlieren.

Schon die Bezeichnung "Preisgeld-Millionärin" passt ihr gar nicht. Zwar habe sie die Millionengrenze überschritten, "aber das hört sich so marktschreierisch an und verzerrt die Wirklichkeit, denn wenn man alle mit meiner Laufbahn verbundenen Kosten addiert und mit den Einnahmen saldiert, kommt da ein dickes Minus raus", sagt sie. So vernünftig denkt eine 22-Jährige nicht mal im besten Klischee, aber Görges scheint gelernt zu haben, in Phasen größter Euphorie nicht den Blick für das Wesentliche zu verlieren, und das ist für sie, sich von Spiel zu Spiel zu verbessern. "Dieser Job ist nie zu Ende, deshalb darf kein Erfolg den Blick dafür verstellen, dass man weiter hart arbeiten muss", sagt sie.

Auf Weltranglistenposition 32, das war vor der Saison ihr erklärtes Ziel, wollte sich die 1,80 Meter große Athletin hocharbeiten, um bei den Grand-Slam-Turnieren konstant gesetzt zu sein. Nun steht sie bereits auf Rang 18, und natürlich geht der Blick weiter nach oben, auch wenn sie abwiegelt, dass es zunächst nur darum ginge, die Position zu halten und nicht zu viel zu erwarten. "Ich denke jetzt nicht an die Top Ten, sondern nur daran, mich stetig zu verbessern; denn wenn das gelingt, kommt alles andere von allein", sagt sie. Aber den gewachsenen Respekt der Konkurrenz spürt sie selbstverständlich ebenso wie das Anspruchsdenken des nach Erfolgen dürstenden Umfelds. Da die besten 20 Spielerinnen der Welt automatisch zum erweiterten Favoritenkreis eines jeden Grand-Slam-Turniers gerechnet werden, dämmert es ihr, dass es eine Enttäuschung wäre, wenn sie die zweite Woche in Paris nicht auf dem Platz erleben würde. In ihrer defensiven Sprache sagt sie: "Ich habe bei Grand Slams bislang im Einzel nur einmal die dritte Runde erreicht, deshalb wäre ich mit dem Achtelfinale schon sehr zufrieden."

Nach dem Turniersieg in Stuttgart - "ein großartiges Gefühl, im eigenen Land erfolgreich zu sein" - und der anschließenden Halbfinalteilnahme in Madrid streikte der Körper, Görges musste wegen muskulärer Probleme im unteren Rücken ihre Teilnahme an den Turnieren in Rom und Brüssel absagen. Die Zeit hat sie genutzt, um zu regenerieren, vor allem für den Kopf war die Pause, die sie bei den Eltern in Bad Oldesloe genoss, wertvoll. "Die Verarbeitung dessen, was in den vergangenen Wochen geschehen ist, war neu für mich. Es gab eine Menge Sponsoren- und Medienanfragen, und ich merke, dass es manchmal zu viel wird", sagt sie. Zu lernen, Abstand zu bekommen und Nein zu sagen, sei der nächste Schritt, den sie machen müsse. "Andererseits muss ich auch lernen, mit dem gesteigerten Interesse klarzukommen."

Der sportliche Aufstieg ist die Komponente, die Görges auf dem Weg in den PR-Olymp noch gefehlt hatte. Ihr Äußeres hatte ihr schon als Teenager Beinamen wie "Tennis-Beauty" oder "Sexy Julia" eingebracht, doch nun, da das gute Aussehen vom guten Auftreten auf dem Platz verdrängt ist, sind namhafte Unternehmen aufmerksam geworden. Der neue Manager Stephan Peplies konnte kürzlich vermelden, seine Mandantin als Nachfolgerin von Topmodel Heidi Klum als neues Werbegesicht des Süßwarenherstellers Katjes vermittelt zu haben. Zudem wirbt sie für das Cascade-Sportresort in Lagos (Portugal), in dem der schwedische Exprofi Stefan Edberg eine Tennisschule betreibt, und für die Uhrenmarke Ingersoll. "Dass ich solche Marken repräsentieren darf, macht mich stolz", sagt Görges.

Natürlich hat sie in den Tagen in der Heimat auch darüber nachgedacht, was die Erfolge möglich gemacht hat. "2010 hatte ich oft nicht das Bewusstsein für die eigene Stärke. Mein Trainer Sascha Nensel hat mir beigebracht, weiterzudenken. Jetzt ist das Selbstbewusstsein da, dass ich mit den Besten mithalten kann", sagt sie. Es klingt wie ein Versprechen für die Zukunft.