Im Rechtsstreit zwischen Felix Sturm und dem Boxstall Universum könnte es eine Art Bosman-Urteil geben. Heute ist die erste Anhörung.

Hamburg. Nicht immer wird Geschichte im Sport durch das geschrieben, was auf dem Spielfeld oder der Rennstrecke passiert. Manchmal sind es auch Verhandlungen in schmucklosen Gerichtsgebäuden, die einer Sportart entscheidende Veränderungen bescheren und sie in ihren Grundfesten erschüttern können. Das Bosman-Urteil, das 1995 das Transferrecht im europäischen Fußball reformierte und auch auf die Ausländerregelung in vielen anderen Sportarten Einfluss hatte, war so ein Fall. Dem Profiboxen in Deutschland steht möglicherweise ein ebenso einschneidendes Urteil bevor.

Heute um 10.30 Uhr ist am Landgericht Hamburg die erste mündliche Anhörung im Rechtsstreit zwischen Felix Sturm und dem Hamburger Profistall Universum angesetzt. Der 31 Jahre alte WBA-Superchampion im Mittelgewicht hatte im August seinen am 19. November 2009 auslaufenden Dreijahresvertrag fristlos gekündigt, weil er der Meinung ist, die Universum zustehende einseitige Option auf Verlängerung um weitere drei Jahre sei ungültig. Mit der anhängigen Feststellungsklage will Sturm, der sich in Köln mit der "Plus One Promotion" selbstständig gemacht hat, die Ungültigkeit dieser Option juristisch zementieren und zudem klären lassen, dass Berufsboxer zu jeder Zeit ihre Verträge kündigen können müssen.

Dabei berufen sich seine Anwälte Sebastian Cording (Hamburg) und Lukke Mörschner (Köln) auf Paragraph 627 BGB, der einem zur Dienstleistung Verpflichteten in einem dauernden Dienstverhältnis ohne feste Bezüge jederzeit ein Kündigungsrecht einräumt, sollte das Vertrauen zum Vertragspartner gestört sein. Dies ist laut Sturm nachhaltig der Fall gewesen. Universum hat seinerseits Widerklage gegen Sturm erhoben und will erreichen, dass dieser seinen Vertragspflichten nachkommt.

Als Präzedenzfall hatten Sturms Anwälte ein Urteil des Landgerichts Kleve ins Feld geführt, das Mitte März entschieden hatte, Universum habe mit dem Mittelgewichtler Koren Gevor Verträge nicht ausgehandelt, sondern sie ihm einseitig diktiert. Eine Kündigung mit Berufung auf Paragraph 627 sei deshalb wirksam. Gevor hat allerdings mittlerweile seine Klage zurückgezogen, ist zu Universum zurückgekehrt und hat öffentlich behauptet, immer fair behandelt worden zu sein.

Sturm, der die Verträge im Berufsboxen in Europa wegen der nicht vorhandenen Trennung zwischen Promoter und Manager für sittenwidrig hält, ist sich der Tragweite seiner Klage bewusst. Es gehe ihm jedoch nicht darum, einen dem Bosman-Urteil ähnlichen Präzedenzfall zu schaffen. "Mir geht es darum, dass Boxer ordentlich an dem beteiligt werden, was sie erwirtschaften." Er prangert an, "dass wir Sportler nicht wissen, was der Promoter wirklich an uns verdient und ob das, was wir bekommen, fair ist". Aus seiner Sicht ist es nicht tragbar, dass ein Promoter, der für den Sportler Kämpfe organisiert, gleichzeitig Manager dieses Sportlers ist und theoretisch mit sich selbst die Börsen aushandeln könnte. In den USA ist dieses Vorgehen durch den "Muhammad Ali Boxing Reform Act" verboten, eine Trennung zwischen Manager und Promoter gesetzlich vorgeschrieben.

Tatsächlich, und darauf berufen sich deutsche Promoter wie Universum, ist der Nutzen des "Ali Act" für Sportler umstritten. Profitieren tun davon hauptsächlich die Boxer, die bereits einen Namen haben und sich in Eigenregie große Kämpfe beschaffen können. Um aber einen kontinuierlichen Aufbau von Talenten leisten und langfristige Verträge mit Partnern aus dem Medienbereich eingehen zu können, braucht es Planungssicherheit. In den USA bleiben viele Talente deshalb auf der Strecke, weil sie sich das teure Gesamtpaket aus Manager, Trainer und Promoter nicht leisten können und niemand da ist, der viel Geld in sie investiert, bevor er die Rendite einfahren kann. In Deutschland entstehen die Probleme meist, wenn ein Sportler so gut im Geschäft ist, dass er sich die Eigenvermarktung leisten kann. Dann entsteht das Gefühl, der Promoter bereichere sich persönlich in nicht angemessener Weise und vernachlässige seinen Sportler. Daraus resultiert Unzufriedenheit bis hin zum Vertrauensverlust. Vor Sturm hatten sich zum Beispiel schon die Schwergewichts-Brüder Vitali und Wladimir Klitschko aus ähnlichen Überlegungen heraus selbstständig gemacht.

Fakt ist: Sollte ein rechtskräftiges Urteil feststellen, dass Boxer jederzeit ihren Vertrag kündigen können, hätte dies weitreichende Folgen. "Wenn Sturm Recht bekommt, kann Universum den Laden dicht machen", sagt ein Insider. Diese Einschätzung wird in der Universum-Geschäftsleitung, die derzeit um einen neuen TV-Vertrag kämpft, intern geteilt. Öffentlich mag sich, mit Hinweis auf das schwebende Verfahren, kein Universum-Verantwortlicher äußern. "Wenn es ein Urteil gäbe, das die Ungültigkeit von Optionen feststellt oder gar ein ständiges Kündigungsrecht für die Sportler, hätte das großen Einfluss auf das Berufsboxen in Europa", sagt Chris Meyer, Geschäftsführer von Universum-Konkurrent Sauerland Event aus Berlin. Zwar erwarte er, "dass Universums Verträge wasserdicht sind und sie deshalb Recht bekommen". Ein Entscheid zu Sturms Gunsten würde laut Meyer jedoch das derzeitige System zerstören. "Welcher Promoter investiert denn noch Geld in den Aufbau von Boxern, wenn er nicht die Sicherheit hat, nach dem Aufbau auch die Früchte der Arbeit ernten zu können?", fragt er.

Doch nicht nur für die Promoter steht die Zukunft auf dem Spiel, sondern auch für Sturm. Anfang September will er in Köln den ersten Kampf in Eigenregie absolvieren. Da ein Urteil des Landgerichts frühestens im Juli erwartet, der Verlierer jedoch sicher Berufung einlegen wird, ist mit einer rechtskräftigen Entscheidung nicht vor 2011 zu rechnen. Sollte jedoch letztlich Universum Recht bekommen, drohen Sturm Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe, sollte er seinen Vertrag tatsächlich gebrochen haben. Einen Rückzieher wie Gevor hat Sturm bereits ausgeschlossen, für Universum will er nie wieder boxen.