Die HSV-Handballer verwerfen beim 31:33 gegen den THW Kiel ihre erste Meisterschaft. Wird der personelle Umbruch nun vorgezogen?

Hamburg. Es sind sportlich schmerzliche Momente wie jener am Pfingstsonnabend, zu denen Andreas Rudolph, 55, seinem ersten Impuls folgend, stets so schnell wie möglich Abstand zu gewinnen versucht. Der Präsident der HSV-Handballer geht dann auch räumlich auf Distanz zu seinen Mitstreitern. Nach der 31:33-(14:15)-Niederlage gegen den neuen Tabellenführer THW Kiel, die zwei Spieltage vor Saisonende der Bundesliga wohl das Aus im Kampf um die deutsche Handballmeisterschaft bedeutet, flog er für zwei Tage auf seine Finca nach Mallorca. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen - nur seine Gedanken wollte sich Rudolph machen, bevor er sich wahrscheinlich heute mit Sportchef Christian Fitzek, 49, zum Gespräch trifft.

Die beiden Männer werden viel zu bereden haben. Es geht um nicht weniger als die Zukunft der HSV-Handballer, um Personalentscheidungen und Strategien für die kommende Saison. "Es fällt auf, dass wir immer dann verlieren, wenn uns der Gegner körperlich überlegen ist. Das war in der Champions League gegen Ciudad Real so, das war auch diesmal gegen Kiel so. Denn technisch spielen wir nicht erst seit dieser Saison einen schönen Handball", hatte Rudolph vor seinem Abflug gesagt. In der Tat hatte die mangelnde Durchschlagskraft des Hamburger Rückraums den Handballgipfel gegen den Rekordmeister entschieden. Allein Domagoj Duvnjak leistete erfolgreich Widerstand, schoss aus der Distanz oder tankte sich an den Kreis durch. Sieben seiner neun Wurfversuche führten zu Toren, dagegen nur acht der 23 seiner Kollegen auf den zentralen Positionen.

Die Leistung des hoch talentierten Kroaten, der am 1. Juni 22 Jahre alt wird, befeuert eine Diskussion, die beim HSV eigentlich niemand führen will. Haben Weltklassespieler wie Guillaume Gille, 33, Marcin Ljewski, 32, Torsten Jansen, 33, oder Pascal Hens, 30, ihren Zenit überschritten, müssen sie zügiger als geplant ersetzt werden, oder sind andere Gründe ausschlaggebend, dass sie die Mannschaft nicht mehr aus kritischen Situationen herauswerfen können? Und natürlich muss sich Martin Schwalb seiner Verantwortung stellen. "Er ist der Trainer, mit dem wir Meister werden können", hatte Rudolph am 22. Oktober 2005 bei Schwalbs Amtsantritt gesagt. Damals stand der HSV im unteren Mittelfeld der Tabelle. Der Verein hat unter der sportlichen Führung des 47 Jahre alten Handballlehrers viel erreicht, wurde zweimal Pokalsieger, gewann 2007 den Europacup und qualifizierte sich jetzt zum vierten Mal in Folge für die Champions League. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Unter Schwalb entwickelte sich der HSV zu einer der besten Handballmannschaften der Welt, aber eben nicht zur besten. Die Meisterschaften feierten die Kieler, in der Champions League siegte Ciudad Real. Die beiden großen Titel, sie bleiben Rudolphs Ziel und die des Vereins, in den der Ahrensburger Medizinunternehmer in den vergangenen fünf Jahren rund 20 Millionen Euro investiert hat.

"Es war ja keine ganz schlechte Saison", hat Rudolph nach der Niederlage gegen Kiel auch noch gesagt. Auch Schwalb möchte sich eine Serie, "in der wir in der Bundesliga gerade dreimal verloren haben und uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Kiel geliefert haben", nicht kaputt reden lassen. Fragen aber bleiben. In ihren beiden besten Saisonspielen - in der Bundesliga das 29:29 in Kiel, nach dem Spielverlauf ein gefühlter Sieg, in der Champions League das 26:22 im Viertelfinalhinspiel gegen Ciudad Real - zeigten die Hamburger jene Extraklasse, die eines Teams voller Weltmeister und Olympiasieger würdig ist. Als es in den jeweiligen Rückspielen darum ging, die gestiegenen Erwartungen zu erfüllen, glitt der Mannschaft der Erfolg aus der Hand. War der Druck zu groß, die mentale Vorbereitung zu schlecht? Oder sind es diese Unabwägbarkeiten, Glück und Pech, Pfosten und Latte oder seltsame Schiedsrichterpfiffe, die Handballspiele auf höchstem Niveau weiter unkalkulierbar machen? Die Antworten des HSV stehen aus.

Ein Umbruch, hat Rudolph zuletzt betont, stünde erst 2011 an, wenn zahlreiche Verträge auslaufen. Bei dieser Aussage mag er davon ausgegangen sein, dass der HSV erstmals Meister wird. Jetzt könnte er diese Entscheidung überdenken. Wahrscheinlich ist das nicht. Harmonie, hat Rudolph im Abendblatt-Interview gesagt, würde er nie gegen Erfolg eintauschen wollen.

Untätig war der Verein allerdings nicht. Mit Markus Baur, 39, soll es Kontakt gegeben haben, dem Trainer, der zu Saisonbeginn in Lemgo geschasst worden war. Der Schwede Oscar Carlén, 22, von der SG Flensburg-Handewitt ist ein Kandidat für den rechten Rückraum. Auch mit ihm wurde bereits mehrmals gesprochen. Und mit Michael Kraus, 26, dem ehemaligen Nationalmannschaftskapitän, der von Rudolph hoch geschätzt wird, in Lemgo jedoch nicht mehr gelitten ist.

Zwei Punkte werden dem HSV am Saisonende zum Titel fehlen - ein kleiner Unterschied in der Tabelle, ein großer aber für alle, die am Sonnabend das Spiel gegen den THW Kiel sahen. Ein Weiter-so kann es nach dieser Begegnung eigentlich nicht geben.